Vor 80 Jahren, im Sommer 1939, war die Hetzausstellung „Entartete Kunst“ in Frankfurt zu sehen. Dort hing auch Max Beckmanns Gemälde „Der Strand“ – das einst zur Städel Sammlung gehörte. Heute fehlt von ihm jede Spur.
„Auf kanariengelber Strandfläche stehen oder sitzen eine Reihe von Menschen in Badeanzügen. Sie füllen den Vordergrund. Dahinter das grüne Meer und ein weissbewölkter Himmel. In der Mitte macht ein Mann im blauen Bademantel einen Handstand … Vorne auf einem Badetuch ein Paar (er im Pyjama, sie nackend) unter einem Schirm … Die Farben des Bildes sind hell und leuchtend.“ Harmlos und sachlich liest sich der Eintrag im Inventarbuch des Städel Museums zu Max Beckmanns Gemälde Der Strand (Am Lido).
Menschen und ein Liebespaar, die sich heiter, ausgelassen und entspannt an einem Sommertag an einem italienischen Strand tummeln. Dargestellt ist auch Mathilde Beckmann, genannt Quappi, die Frau des Künstlers. Eine vermeintliche Idylle? Bei genauerem Hinsehen findet man in der unteren Bildmitte links, achtlos in den Sand geworfen, eine Ausgabe der faschistischen Zeitung Il Popolo di Roma.
Das halbbekleidete Liebespaar im Vordergrund, Beckmanns moderne Malweise, aber auch das satirische Detail, das den italienischen Faschismus kommentiert, machten das „Strandbild“ schon Ende der Zwanzigerjahre zu einem Skandal. Am 2. Juli 1937 wurde das umstrittene Gemälde von den Nazis „sichergestellt,“ um es in der Ausstellung „Entartete Kunst“ in München zu präsentieren.
Die Ausstellung wanderte durch mehr als zehn Städte. Das Beckmann-Gemälde reiste mit: von München nach Berlin, Leipzig, Düsseldorf, Salzburg, Hamburg, Stettin, Weimar und Wien – und schließlich nach Frankfurt: Vor genau 80 Jahren, im Sommer 1939, zog die Femeausstellung „Entartete Kunst“ in die Bockenheimer Landstrasse 8. In Frankfurt, wo das Gemälde entstanden war und zum ersten Mal öffentlich gezeigt wurde, wurde es vermutlich auch das letzte Mal gesehen, denn es gilt bis heute als verschollen.
Das großformatige Beckmann-Bild, fast zwei mal drei Meter, war ein Auftragswerk der Stadt Frankfurt gewesen. Es war ursprünglich für ein öffentliches Gebäude geplant, das „Volksbildungsheim.“ In dieser kommunalen Einrichtung wurden in den Jahren der Weimarer Republik unter anderem Konzerte und Theateraufführungen organisiert. Die Finanzierung des Gemäldes kam daher von einer städtischen Stelle, der „Frankfurter Künstlerhilfe,“ zu deren Aufgaben auch die Förderung der Frankfurter Kunst durch den Ankauf besonders qualitätsvoller Arbeiten hiesiger Künstler zählte. 10.000 Reichsmark hatte man Beckmann gezahlt, der seit 1915 in Frankfurt lebte und seit 1925 an der städtischen Kunstgewerbeschule Malerei unterrichtete.
„Frankfurt 1927: Der Strand. Begonnen 28. September 1926, beendet 6. April 1927 abends ½ 10 Städel“ hatte Beckmann in seinen eigenen Aufzeichnungen notiert. Die Leitung des Volksbildungsheims lehnte das Gemälde jedoch ab. Stattdessen überließ die Stadt das Werk dem Städel Museum, was in einigen Kreisen heftige Reaktionen provozierte: Eine religiöse Organisation bezeichnete es als „höchst unsittlich“ und verwies auf Paragraph 184 des Strafgesetzbuches, der die Verbreitung unzüchtiger Abbildungen untersagte. Der Direktor des Städel Museums, Georg Swarzenski, erhielt sogar ein Schreiben vom Oberstaatsanwalt.
Swarzenski war mit Max Beckmann eng befreundet und stand hinter der Erwerbung des Gemäldes. Er verfasste ein Gutachten, in dem er den Vorwurf der Anstößigkeit entschieden zurückwies. Ein Jahr später schickte er das Gemälde – nichtsdestotrotz – auf die Biennale nach Venedig. Und wieder erhitzten sich die Gemüter: In Italien sah man in dem Gemälde einen Angriff auf den Faschismus, in Deutschland erhoben die völkisch-national Gesinnten ihre Stimme gegen die Ausstellung des Gemäldes im deutschen Pavillon.
Keine drei Jahre später sollten sich mit der Machtübernahme der Nazis die Vorzeichen für die einst liberal und progressiv bestimmte Frankfurter Kunst- und Kulturpolitik drastisch ändern: Der neue Oberbürgermeister der Stadt, Friedrich Krebs, war NSDAP Mitglied und Ortstgruppenleiter des Kampfbundes für Kultur, einer radikalen Vereinigung, die „undeutsche Kunst“ anprangerte. Schon im April 1933 entließen die Nationalsozialisten Swarzenski aufgrund seiner jüdischen Herkunft aus seinem Amt als Generaldirektor der Städtischen Museen. Die expressionistische Kunst des Städel wanderte ins Depot. Beckmann verlor seine Professur an der Kunstgewerbeschule. Das „Volksbildungsheim“ war nun fest in den Händen der NS-Propagandamaschine „Deutsches Volksbildungswerk,“ einer Abteilung der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude.“ Bereits 1936 zeigte man in Frankfurt dort eine Vorläufer-Ausstellung „entarteter Kunst“ bestückt mit Werken von unter anderem Otto Dix und George Grosz.
Im Juli 1937 erschien im Städel Museum eine Kommission des Reichspropagandaministeriums, um Werke für die in München geplante Ausstellung „Entartete Kunst“ auszuwählen. 25 Werke wurden abgezogen. In der Ausstellung selbst, die in den Münchener Hofgarten Arkaden stattfand, waren fünfzehn Gemälde aus dem Städel vertreten. Im Haus der Deutschen Kunst gegenüber zeigte man hingegen was unter nicht-„entarteter Kunst“ zu verstehen war.
Zehn Gemälde von Max Beckmann – auch das Strandbild – und zahllose Arbeiten auf Papier fielen der Beschlagnahmeaktion „Entartete Kunst“ zum Opfer. Über 20.000 Werke wurden insgesamt aus den öffentlichen Museen entfernt, die durch ein nachträglich erlassenes Gesetz im Mai 1938 entschädigungslos enteignet worden waren.
Als die Frankfurter Station im neuen Ausstellungshaus der Stadt in der Bockenheimer Landstrasse 8 im Juni 1939 eröffnet wurde, war Georg Swarzenski, Beckmanns Freund und Förderer, bereits in die USA geflohen, Beckmann selbst lebte im Exil in Amsterdam. Die Stadt Frankfurt hatte sich die Villa in der Bockenheimer Landstrasse 1937 aus ehemals jüdischem Besitz angeeignet: Seit 1917 hatte das Gebäude dem damals hochbetagten Kunstsammler und Mäzen Max von Goldschmidt-Rothschild gehört. Im ersten Stock befanden sich die Räume der Kunsthandlung Hugo Helbing. Ihr Inhaber Arthur Kaufmann musste nach dem Ankauf seine Galerie räumen. Die Villa wurde von der Stadt zu einem Kunstausstellungshaus im Sinne nationalsozialistischer Propaganda- und Weltanschauung umgebaut.
Angeblich 700 Exponate – mehrheitlich Arbeiten auf Papier – konnten in der Ausstellung „Entartete Kunst“ in Frankfurt besichtigt werden. Sie ging mit einer brutalen antisemitischen Hetzkampagne in der Presse einher. Bis heute unklar ist, wie viele Werke aus dem ehemaligen Besitz des Städel dort gezeigt wurden. Gesichert ist jedoch, dass das großformatige Gemälde Der Strand dort ausgestellt war.
Die Ausstellung, deren Eintritt für Erwachsene über 21 Jahren frei war (für Jugendliche war der Besuch aufgrund des „gefährdenden“ Inhalts untersagt), war von 10 bis 21 Uhr geöffnet. Viermal täglich fanden dort öffentliche Führungen statt. Einem Bericht der Frankfurter Zeitung vom 23. Juli 1939 zufolge verzeichnete die Ausstellung angeblich gigantische Besucherzahlen: rund 1800 Menschen sollen sich täglich durch die engen Räumlichkeiten gedrängt haben, in deren letztem Saal „entartete Musik“ zu hören war.
Das Ausstellungshaus in der Bockenheimer Landstrasse 8 wurde 1944 zerstört, seine unheilvolle Geschichte geriet in Vergessenheit. Dass an diesem Ort einmal die Ausstellung „Entartete Kunst“ Einzug gehalten hat, ist heute kaum noch bekannt. Und von dem schicksalhaften Hauptwerk der Ausstellung Der Strand (Am Lido) fehlt bis heute jede Spur.
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