Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen: Auch Albrecht Dürer kam um eine gründliche Ausbildung nicht herum. Seine Künstlervita beginnt in Nürnberg, doch seine Reisen führten ihn in verschiedenste Länder Europas. Welche Einflüsse sich im Œuvre des umtriebigen, stetig an seiner Perfektion feilenden Meisters niedergeschlagen haben und welchen Einfluss er als reifer Maler und Grafiker schließlich selbst ausübte, erfahrt Ihr in unserem Blogbeitrag.
Reisen bildet, so sagt man. Diese Weisheit galt früher genau wie heute. Als junger Lehrling bricht Albrecht Dürer (1471–1528) im April 1490 auf Geheiß seines Vaters zur Gesellenwanderung auf. Dies war damals – wie heute – zur Vervollkommnung der beruflichen Kenntnisse bei Handwerksgesellen üblich. Der 19-Jährige hat gerade seine Ausbildung bei dem Nürnberger Maler Michael Wolgemut (1434–1519) abgeschlossen. Lückenlos belegt ist der Ablauf seiner Wanderschaft nicht; mit Sicherheit angenommen werden jedoch die oberrheinischen Stationen Colmar, Basel und Straßburg. Einflüsse in seinem Frühwerk legen nahe, dass ihn seine Reise auch an den Mittelrhein geführt hat, wo in dieser Zeit der sogenannte „Hausbuchmeister“ wirkte, dessen Bildsprache in Dürers frühen Grafiken ihren Niederschlag findet.
Zwei Jahre lang hört man nichts vom jungen Dürer. Seine Spur findet sich erst 1492 im Elsass wieder – dem eigentlichen Ziel seiner ersten Gesellenreise. Bei dem in Colmar ansässigen Kupferstecher und Maler Martin Schongauer (um 1450–1491) erhofft er sich meisterliche Unterweisung nicht nur in der Malerei, sondern auch auf dem Gebiet des Kupferstechens, die der Elsässer wie kein zweiter seiner Zunft beherrscht. Schon während seiner Ausbildung bei Wolgemut hatte Dürer Arbeiten von „Schön Merten“ kennengelernt. Doch er kommt zu spät nach Colmar. Der große Meister ist bereits im Jahr zuvor verstorben. Gänzlich umsonst war der Abstecher dorthin aber nicht: Schongauers Brüder überlassen ihm einige Zeichnungen und Stiche, mit denen sich Dürer produktiv auseinanderzusetzen weiß. Anleihen an das Vorbild finden sich anschließend nicht nur in Werken dieser frühen Schaffensphase, auch spätere Arbeiten verraten noch das an Schongauers Werken geschulte Auge. Deutlich wird dies beispielsweise am „Kopf eines alten Mannes mit langem Bart“. Die Gegenüberstellung mit Schongauers „Der Heilige Antonius, von Dämonen gepeinigt“ (1470–1475) zeigt, dass Dürer hier auf einen Gesichtstypus zurückgreift, wie ihn der Altmeister etwa für seinen Heiligenkopf verwendet hat: Schütteres Haupthaar, der in zwei Stränge unterteilte Bart und ein besonnener Blick charakterisieren auch das Antlitz von Dürers ausdrucksstarker Kopfstudie aus der Zeit um 1505. Die Federzeichnung entsteht zu einer Zeit, in der er mit seinem Illustrationszyklus zur „Apokalypse“ des Johannes (1498) europaweiten Ruhm als Künstler erlangt und das einstige Vorbild technisch wie bildschöpferisch übertroffen hat.
Bevor Dürer ins heimatliche Nürnberg zurückkehrt, führt ihn seine Gesellenwanderung weiter nach Basel, wo er mutmaßlich als Entwerfer für Buch-Holzschnitte tätig ist, sowie in die Stadt Straßburg, deren Maler- und Glaserwerkstätten er wohl aufsuchte. 1494 kehrt er zurück in seine Vaterstadt Nürnberg und heiratet dort Agnes Frey; doch es hält ihn nicht lange und er begibt sich um 1494herum erneut auf Reisen, diesmal nach Italien. Bei der Überquerung der Alpen entsteht eine Reihe höchst eindrücklicher Landschaftsaquarelle, die – auch die in der Dürer-Ausstellung im Städel gezeigten – „Brennerstraße bei Eisacktal“ oder den „Trintperg“ am Ufer der Etsch zeigen. Ob Dürer auf seiner ersten Italienreise bis nach Venedig kam, ist vielfach diskutiert worden. Eine Federzeichnung aus dem Bestand des Städel Museums jedenfalls legt dies nahe. Sie zeigt die beiden Figuren „Nürnbergerin und Venezianerin“ (um 1495) und vereint neben zwei unterschiedlichen Trachtenstudien auch zwei Zeichenstile. Während beim Gewand der Nürnberger Bürgerin die bewegte „deutsche“ Kreuzschraffur dominiert, ist das Kleid der Italienerin durch parallel geführte Linien modelliert. Dass Dürer zu diesem Zeitpunkt eine Venezianerin – wohl eine Kurtisane, die grotesk überhöhte Schuhe trägt – , darstellt, lässt auf eine Begegnung mit Einwohnern schließen und macht einen Aufenthalt in der Lagunenstadt plausibel. Demzufolge ist es auch mehr als denkbar, dass sich der Künstler vor Ort mit der venezianischen Malerei auseinandergesetzt hat – seine Arbeiten erstrahlen fortan in einer Farbintensität, für die etwa Giovanni Bellinis Werke, die ebenfalls in der Präsentation im Städel zu sehen sind, vorbildhaft gewesen sein mögen.
Im Jahr 1505 – Dürer leitet als anerkannter Meister inzwischen seine eigene Werkstatt – bricht der Nürnberger erneut gen Italien auf. Durch die wirkungsvolle Verbreitung seiner monogrammierten Druckgrafik weilt er diesmal nicht als Unbekannter im Süden. „Es sind sehr vornehme Menschen unter den Italienern, die zunehmend meine Gesellschaft suchen […]: vernünftige, gebildete Leute, gute Lautenspieler und Pfeifer, Kunstverständige […], und sie erweisen mir Ehre und Freundschaft“. Der Deutsche stößt also auf ein Publikum, das seine Werke kennt und schätzt, ja bald sammelt und künstlerisch rezipiert. Mehr noch: Dürers Ruhm war nunmehr so groß geworden, dass es sich für den Kupferstecher Marcantonio Raimondi lohnte, die Werke seines deutschen Kollegen samt Signatur zu kopieren. Giorgio Vasari berichtet zumindest von einer Verfügung, die Dürer am venezianischen Gericht gegen den Kopisten erwirkt haben soll, zumindest gegen die Verwendung seines Monogramms „AD“.
Aber Dürer weiß in Italien weit mehr anzufangen, als Gerichtsverfahren anhängig zu machen. Getrieben feilt er auch auf dem Höhepunkt seines Erfolgs an seiner Kunstfertigkeit. Es sind Namen wie Andrea Mantegna, Giovanni Bellini oder Jacopo deʼ Barbari, deren künstlerische Einflüsse sich in seinem Werk wiederfinden, nicht aber einfach widerspiegeln. Die bloße Übernahme von Inhalten oder Techniken war Dürers Sache nicht. Er versteht es, sich Gesehenes anzuverwandeln und zur Vollendung zu führen. Insbesondere in seinen Holzschnitt-Zyklen schafft er Bilder voller Detailreichtum, Dynamik und überbordender Fantasie. Mit der Rezeption der italienischen Renaissance ziehen Neuerungen in Dürers Werk ein: Aktdarstellungen, ein veredeltes Kolorit und nicht zuletzt das Dreiviertelprofil. Aus der Beschäftigung mit der venezianischen Porträttradition heraus entstehen Werke wie das derzeit im Städel in der Dürer-Ausstellung zu sehende „Bildnis eines jungen Mannes“ (1506).
Mit solchen Arbeiten im Gepäck kehrt Dürer im Frühjahr 1507 nach Nürnberg zurück und legt den Grundstein für eine nordalpine Renaissance, die in der Folge wiederum eine ganze Künstlergeneration beeinflusst – nicht nur in Deutschland. Auch in den Niederlanden, wohin ihn zwischen 1520 und 1521 seine letzte große Reise führt, hinterlässt er unter flämischen Künstlerkollegen großen Eindruck. Als dort gefeierter Künstler reist er zusammen mit seiner Frau Agnes von Antwerpen über Brüssel nach Brügge und Gent und nimmt sich Zeit für das Studium altniederländischer Meister, deren Kunst er ausdrücklich lobt. Zurück in der Heimat wendet sich der Meister jetzt vermehrt seinen Schriften zu und hält das über viele Jahre bildlich Umgesetzte schließlich auch theoretisch fest, so zum Beispiel in seinen „Vier Büchern von menschlicher Proportion“, das von seiner Frau Agnes kurz nach seinem Tod herausgebraucht wurde.
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