Vor 50 Jahren schuf Georg Baselitz Bilder von „Helden“ – die so gar nicht danach aussehen. Wie widersprüchlich Helden sein können, davon handelt unsere aktuelle Ausstellung.
Erst Jahre nach ihrer Entstehung erhielt Baselitz‘ zentraler Bilderzyklus seinen kraftvollen Titel: „Die Helden“, oder auch: „Neue Typen“. 1965/66, in kürzester Zeit also, schuf der junge Künstler mit rund 60 Gemälden und 130 Zeichnungen unterschiedliche Ausführungen des immer selben Motivs. Die menschliche Gestalt, bildmittig und in kraftvollen Pinselstrichen dargestellt, stand im Zentrum dieser intensiven Schaffenszeit.
Auch Baselitz selbst hatte von Anfang an einzelne seiner Gemälde und Zeichnungen mit „Der Held“ oder „Der neue Typ“ betitelt. Die Körper dieser „Helden“ dominieren die Bildkompositionen, aber ein machtvoller, ein heldenhafter Auftritt sieht anders aus. Abgebildet sind keine kraftstrotzenden, mutig dreinblickenden Frauen und Männer. Stattdessen: versehrte Gestalten mit zerrissener Kleidung und unsicherem Stand. Taumelnd – oft halbnackt und mit entblößtem Genital – bewegen sie sich durch die Bildräume, Blut tropft aus offenen Wunden. Baselitz erzählt uns dazu keine Geschichte, und schon gar keine Heldengeschichte. Vielmehr scheinen die Figuren verloren, vom Geschehen losgelöst, in nur rudimentär (be-)greifbaren Landschaften zu stehen.
Aber was verstehen wir unter einer Heldin, einem Helden? Eine mutige Person, die sich durch besondere Talente oder Überzeugungen ausgezeichnet, die sich mit List und Tat für etwas Größeres, ein allgemeines Wohl einsetzt. Die griechische und römische Mythologie ist voller solcher Heroen, man denke allein an Herkules oder Odysseus. Aber auch das Christentum kennt sie, Figuren wie Jaenne d’Arc, die für ihren Glauben einstehen – und mit ihrem Leben bezahlen. Die Liste kann beliebig fortgeführt werden, hinein in die Geschichte, die Literatur, aber auch in unsere Zeit, hin zum populären Kino, Comic oder Sport.
Helden beziehungsweise immer auch unsere Vorstellungen von ihnen sind stets beeinflusst durch die gesellschaftlichen, politischen und religiösen Rahmenbedingungen – und den damit verknüpften Werten. Es sind Figuren, deren Handeln bewertet wird, auch noch Jahre nach ihrer realen oder fiktiven, überlieferten oder vermeintlichen Existenz. Gerade aufgrund ihres generationenüberfassenden Einflusses werden sie bisweilen zu einem späteren Zeitpunkt wieder kritisch bedacht, ihr Status und öffentliches Bild hinterfragt. Beispielsweise finden wir heute keine Gründe mehr, die (Kriegs-)Helden der Zeit des Nationalsozialismus als solche anzuerkennen. Sie wurden als Kriegsverbrecher und Mörder angeklagt und verurteilt.
Baselitz‘ Helden entstanden in einer Zeit, in der die Erinnerung an eben jene Kriegs-„Helden“ noch präsent war, in Deutschland hatte die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit, entgegen zahlreicher Widerstände, gerade erst begonnen. 1963 eröffnete in Frankfurt am Main der erste Auschwitz-Prozess, im gleichen Jahr erhielt die Bundeszentrale für politische Bildung ihren bis heute bestehenden Namen. Nicht nur die Spitzen des nationalsozialistischen Regimes wurden angeklagt, auch die gesamtgesellschaftlichen Verflechtungen und Verantwortlichkeiten wurden erstmals öffentlich thematisiert.
Baselitz, 1938 bei Dresden geboren, hatte Nationalsozialismus und Krieg, aber auch Nachkriegszeit, Wiederaufbau und Wirtschaftswunder miterlebt. Die politischen und gesellschaftlichen Umstürze zogen auch einen Wandel der Werte und Bewertungen ihrer Helden mit sich. Der tapfere, siegreiche Soldat des nationalsozialistischen Weltbildes wurde in der DDR durch den „Helden der Arbeit“ ersetzt, und in der BRD von den Hollywood-„Helden“ abgelöst. In seinen Bildern nähert sich Baselitz weder dem einen noch dem anderen an (auch wenn seine „Typen“ der staatsgewollten Typisierung in der DDR wohl näher stehen als dem propagierten Individualismus der Bundesrepublik).
Die Gemälde und Zeichnungen Georg Baselitz’ zeigen keine unantastbaren, entrückten Gestalten im Moment ihrer heroischen Tat, es sind vielmehr gebrochene, fragende Helden – unserer (nachträglichen) Kritik ausgesetzt. Aber auch der Betrachter steht, angesichts ihrer Präsenz, unsicher vor ihnen. Es ist ein Ringen beider – Abgebildeter wie Betrachtender – um Haltung.
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