Auf der Suche nach neuen, innovativen Kompositionen ging Rubens teilweise rigoros vor – und griff auch mal zur Schere. Wir haben uns seinen kreativen Prozess genauer angeschaut.
Die Angst vor dem leeren Blatt Papier war Rubens vermutlich fremd. Denn nur selten, vielleicht sogar nie, entstanden seine Bildideen „aus dem Nichts“. Im Gegenteil: Rubens’ Gemälde haben ihren Ursprung meist in den Kunstwerken anderer. Ob antike Skulptur oder berühmter Zeitgenosse – Rubens bediente sich freimütig und entnahm ganze Motive bei seinen Vorbildern. Aber wie eignete er sich diese genau an?
Rubens besaß einen enormen Fundus an Zeichnungen. Schon als junger Mann sammelte er Grafiken anderer Künstler oder fertigte selbst Studien nach berühmten Kunstwerken an. Besonders intensiv tat er dies während seines Italienaufenthalts von 1600 bis 1608. Wenn es darum ging, daraus etwas Neues zu konzipieren, überarbeitete er diese Vorlagen oder zerschnitt sie sogar, um sie neu zusammenzufügen.
Teilweise verwendete er diese „Collagen“ (Achtung: Anachronismus) und Zeichnungen erst Jahre später, um sie in ein Gemälde einfließen zu lassen. Mit geschärftem Blick suchte er dabei nach besonders ausdrucksstarken Elementen und formulierte sie für seine Zwecke um.
Besonders selbstbewusst war Rubens im Umgang mit Zeichnungen anderer Künstler. Indem er diese überarbeitete, machte er sie sich mit seinem Stil zu Eigen. Sein direkter Eingriff beschränkte sich dabei manchmal auf Schattierungen und die Verstärkung der Linienführung.
Ein Beispiel dafür ist die Bestrafung Hamans, eine Zeichnung Bartolomeo Passarottis nach dem entsprechenden Fresko Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle. Rubens akzentuierte diese nochmals mit Feder und brauner Tinte. Um 180 Grad gedreht und mithilfe weiterer eigener Zeichnungen und Vorbilder entwickelte er daraus wenige Jahre später den rücklings auf den Felsen geketteten Prometheus.
Gezielt gesetzte Schraffuren erzeugen eine Plastizität, die an eine Skulptur erinnert. Die antike Bildhauerkunst war für Rubens zeitlebens eine wichtige Referenz und ästhetischer Maßstab. Wir wissen, dass er dazu nicht nur die Originale in Italien studierte, sondern sich später sogar Gipsabgüsse und Modelle in seine Werkstatt in Antwerpen liefern ließ.
Bei einer weiteren Zeichnung Passarottis nach dem Jüngsten Gericht Michelangelos in der Sixtina ging Rubens sogar noch einen Schritt weiter: Er schnitt seine Vorlage zurecht, klebte sie auf ein weiteres Stück Papier und entwickelte so eine völlig neue Komposition mit dem Heiligen Bartholomäus und Maria Magdalena.
So ging Rubens auch bei seinen eigenen Studien vor, etwa in seiner bereits erwähnten Kopie der Schlachtenszene von Barthel Beham. Wir haben es hier aber mit mehr als Bastelarbeit zu tun: Rubens wählte ganz bewusst die eindringlichsten Motive, Haltungen und Gesten aus, immer mit einem vorausschauenden Blick auf ihre spätere Verwendbarkeit für seine Malerei. Mit dem Neuarrangement der Ausschnitte erzeugt er zudem neue Interaktionen der Figuren untereinander.
Noch entschiedener zerschnitt er eine andere anonyme Zeichnung, wiederum eine Kopie von Michelangelos Fresko in Rom. Die roten Linien zeigen, dass Rubens ganze Personen oder Teile der Körper ausschnitt, um sie neu anzuordnen und selbst zu erweitern. Diese Collage findet erst Jahre später Einzug in Die eherne Schlange, eines seiner Spätwerke. Der nach vorn geneigte Mann, der mit der um seinen Hals geschlungenen Schlange kämpft, taucht darin im Hintergrund wieder auf.
Das Arbeiten auf und mit Papier ermöglichte Rubens einen flexiblen und schnellen Entwurfsprozess. Sein Weg zu einer neuen Komposition war dennoch komplex und durchdacht. Diese Arbeiten auf Papier waren nicht zum Verkauf vorgesehen. In der Ausstellung Rubens. Kraft der Verwandlung können wir sie dennoch für ihre eigene Ästhetik bewundern. Sie zeigen uns aber auch, wie wichtig seine Vorbilder für Rubens waren – er sie aber immer selbstbewusst, kreativ und oft auch ziemlich rigoros in seine eigene Sprache zu übersetzen wusste.
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