Gläser, Socken, Spülarmaturen – in den 1920er-Jahren entdeckten Fotografen Alltagsgegenstände für sich. Mal mit, mal ohne Auftrag. Wir nehmen einige dieser Fotografien genauer unter die Lupe.
Obwohl bereits 1861 die erste Reklame ein fotografisches Bild integrierte, war das Genre der Werbefotografie in Deutschland bis nach dem Ende des Ersten Weltkrieges eine Seltenheit. Begünstigt durch billige Kredite investierte die deutsche Industrie in den 1920er Jahren großflächig in Werbeanzeigen. In nur wenigen Jahren bestimmte Werbung zunehmend das Stadtbild durch aufwendig gestaltete Schaufenster, Leuchtreklamen und Plakate.
Auch die Fotografie profitierte von dieser Entwicklung, war jedoch vorwiegend in Zeitschriften zu finden, da es bis 1925 nur wenige Druckereien gab, die in der Lage waren Fotografien großflächig zu reproduzieren.
Vertreterinnen und Vertreter aus dem Dienstleistungssektor erhofften sich von Fotografien einen stärkeren Verkaufseffekt. Viele der Fotografien, die im Kapitel zur Werbefotografie in der Ausstellung „Neu Sehen. Die Fotografie der 20er und 30er Jahre“ zu sehen sind, entstanden im Auftrag von Firmen. Das traditionsreiche Textilunternehmen Bemberg aus Wuppertal engagierte beispielsweise Hans Finsler zur Aufnahme ihrer Sockenkollektion. Für die Aufnahme sind verschiedene Modelle im Wechsel von hellen und dunklen Tonungen, gemusterten und monochromen Flächen aneinandergereiht. Das an der Sockenunterseite eingestickte Logo der Firma „Echt Bemberg“ ist subtil ins Bild gesetzt.
Dabei war Finsler bei aller technischen Raffinesse ein Autodidakt: 1922 bekam er zunächst als Bibliothekar und Dozent für Kunstgeschichte eine Anstellung an der Kunstgewerbeschule Burg Giebichstein in Halle, die das Pendant zum Bauhaus in Weimar darstellte. Fünf Jahre später richtete Finsler eine Fotoklasse ein und trug durch seine Sachaufnahmen entscheidend zur medialen Vermarktung der Schule bei. Über die Anfänge der Werbefotografie berichtet Finsler 1969, dass das eigentlich Revolutionäre der Werbefotografie die Rückbesinnung auf einfache Gestaltungsmittel gewesen sei: „Man fragte nach den Grundlagen. […] Ich fragte, zunächst ganz unsystematisch: Was ist die Fotografie? Welches sind die Gesetze der Dinge, die ich aufnehme? Gibt es in der Fotografie eine Wertung der Dinge? Sieht die Fotografie anders als das Auge?“
Bereits Zeitgenossen erkannten das außergewöhnliche Talent des Werbefotografen: „Finsler dichtet mit der Kamera“, schrieb beispielsweise Eberhard Hölscher 1931 begeistert in der Zeitschrift Gebrauchsgraphik, die er redaktionell betreute. Wie modern die Aufnahmen auf damalige Zeitgenossen gewirkt haben müssen, zeigen die gezeichneten Werbedarstellungen des gleichen Unternehmens, die noch 1927 in der Zeitschrift verwendet worden waren.
Zahlreiche Fotografinnen und Fotografen weiteten ihr bisheriges Bildrepertoire aus und widmeten sich der Werbefotografie. Der in Frankfurt ansässige Fotograf „Dr. Paul Wolff“ (der Titel stammte noch von seiner früheren Tätigkeit als Arzt) stellte ganze Bildserien sozusagen auf Vorrat her. So auch „Einstieg in die Straßenbahn“, eine von heute 20 unter diesem Titel bekannte Fotografien, die Wolff allesamt für den L.B.O.-Strumpf-Hersteller anfertigte. Das Bild wurde als Werbemotiv jedoch abgewiesen, worauf auf der Rückseite eine handschriftliche Notiz mit „Nicht angenommen“ verweist. Ob überhaupt eine Aufnahme Wolffs verwendet wurde, ist heute nicht mehr überliefert. Womöglich gab es einen anderen Fotografen, der den Zuschlag bekam.
Ähnlich wie im Bereich der Illustrierten Presse war in der Werbung das schnelllebige Geschäft mit Bildern auf eine ökonomische Nutzbarkeit hin angelegt. Zum Zeitpunkt der Aufnahme stand oft gar nicht fest, für was oder für wen die Fotografie warb.
Das zeigt beispielhaft ein Selbstporträt von Elisabeth Hase. Die ehemalige Mitarbeiterin von Paul Wolff und Studentin der Kunstgewerbeschule, der späteren Städelschule, machte von sich Aufnahmen in den unterschiedlichsten Situationen. Das Foto einer telefonierenden Frau zeigt Hase, entstand um 1930 und tauchte als Werbung für eine Druckerei erst 1935 auf. Die damaligen Fotografinnen und Fotografen hatten, um auf dem Markt mithalten zu können, ihre Dienstleistungen durch innovative Vermarktung herauszustellen – und sich selbst zur Marke zu machen. Auch, wenn in den seltensten Fällen ihre Namen auf den Werbeanzeigen wiederzufinden sind. Sie dienten als anonyme Bildlieferanten.
Im Museum sind Werbefotografien längst eigenständige Kunstwerke geworden. Dabei ist meist nicht mehr bekannt, zu welchem Zweck sie entstanden sind. Ihr Funktionswert ist heute ein anderer, doch die Anziehungskraft ist geblieben: Als eingerahmtes Werk an der Wand eines Museums lenkt nichts von der ästhetischen Gestaltungsweise ab. Die aktuelle Ausstellung geht auf Spurensuche und führt auch wieder die Gebrauchskontexte dieser Werke vor Augen.
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