Kunst oder Kommerz? Modefotografie bewegt sich zwischen den Welten von Werbung, Modemagazin und – seit wenigen Jahren – Museum. Die Grenzverschiebung begann in den 1930er-Jahren, mit Pionieren wie Edward Steichen oder Dora Maar.
Heute ist manches Fashion-Shooting so aufwendig wie der Dreh eines Kinofilms: Mal sind es die Sanddünen der Sahara, mal ein Bazar in Marokko, die als Kulisse für Bildstrecken in Modemagazinen oder für Werbekampagnen dienen. Bei den Inszenierungen geht es nicht nur um Mode, sondern auch um die Vermittlung eines Zeitgeistes. Aber wann wird Modefotografie zur Kunst? Vor allem in den 1930er-Jahren etablierte sich die Modefotografie als eigenständiges kreatives Genre durch Fotografinnen und Fotografen wie Edward Steichen, François Kollar oder Dora Maar. Ihre Arbeiten befinden sich heute weltweit in Museen, auch in der Sammlung des Städel.
Mit dem Wirtschaftsaufschwung in vielen Industrieländern in den 1920er-Jahren erfuhr die Mode eine Blütezeit. Kleidung wurde zu einem Ausdruck der eigenen Persönlichkeit. Auf dieses Interesse reagierten die Redaktionen illustrierter Zeitschriften mit einer Neugestaltung des bisherigen Formats. Fotografien lösten zunehmend die zuvor gezeichneten Illustrationen ab.
Einer, der das Erscheinungsbild von Modezeitschriften durch seine Fotografien revolutionierte, war der Amerikaner Edward Steichen (1879 –1973). 1923 wurde er führender Fotograf beim Condé-Nast-Verlag und war damit für die Illustrierung der Modemagazine verantwortlich. Mit seinen Bildern wollte er Geschichten erzählen. Für die Shootings ließ er aufwendige Kulissen bauen und engagierte Stylisten. Steichen hatte eine genaue Vorstellung von der Bedeutung seiner Fotografien: „Es gibt manche Kunst im Louvre, die in einer Peep-Show als Pornografie verurteilt würde. Im Louvre ist es Kunst – machen Sie aus der Vogue einen Louvre.“
Bei seinen Bildfindungen hat er sich vielfach von der Kunst inspirieren lassen, wie die Aufnahme von Gwili André, eine heute in Vergessenheit geratene dänische Schauspielerin, zeigt. In ihrem wehenden Gewand erinnert sie an die Nike von Samothrake aus dem Louvre, dem Inbegriff antiker Schönheit. Mit bildhauerischem Gespür für Formen und Körper wird das Modell wie eine Siegesgöttin präsentiert, worin sich auch ein neues Rollenverständnis der sich emanzipierenden Frau ausdrückt. Steichens Fotografien prägten die Vorstellung von Glamour und setzen bis heute Maßstäbe in der Modefotografie.
Auch François Kollar (1904–1979), der 1924 von Ungarn nach Frankreich emigrierte, wählte für seine Fotografien eine ästhetische und freie Inszenierung von Mode. Lange Jahre arbeitete er mit Coco Chanel zusammen. Die aus armen Verhältnissen stammende Französin hatte sich durch harte Arbeit ein Modeimperium aufgebaut und verkörperte selbst idealtypisch die berufstätige und unabhängige Frau, für die sie auch ihre Mode entwarf: elegant und frei.
Als Vorbild einer ganzen Frauengeneration posierte sie auch für die Werbekampagne ihres legendären Damendufts Chanel No.5, unzählige Male in Harper’s Bazaar veröffentlicht. Als Kulisse wählte Kollar das Hotel-Apartment RITZ, in dem die Ikone ihrerzeit lebte. Kollar präsentiert Chanel als glamouröse Grande Dame.
Daneben fotografierte Kollar ihre Schmuckkollektionen, die er mit illusionistischen Gestaltungsmitteln in nahsichtigen Ausschnitten inszenierte. Die Hände lenken den Blick auf das Accessoire: Hier geht es nicht nur ums Ansehen, sondern auch ums Fühlen des Materials. Heute ist bei vielen dieser Bilder nicht bekannt, zu welchem Zweck sie entstanden.
Gleiches gilt für eine Fotografie von Dora Maar, die vermutlich für Dauerwellen Werbung machte: Zu sehen ist der Hinterkopf eines Models, der sich scharf vom dunklen Hintergrund absetzt. Durch die beiden Lichtquellen, von hinten und links oben, entsteht ein Spiel von Lichtreflexen, das die Haare fast lebendig erscheinen lässt. Maar, die eigentlich Malerin war, gehörte dem Kreis der Pariser Surrealisten um Man Ray und André Breton an. Ihre künstlerische Experimentierfreude zeigt sich in freien Arbeiten genauso wie in Aufträgen.
Seit dem Wirken von Fotografen wie Steichen, Kollar oder Maar in den 1930er-Jahren bilden Modefotografien eine Allianz zwischen Kunst und Werbung. Dennoch war dieses Genre bis vor wenigen Jahrzehnten nicht in Museumssammlungen vertreten. Wegen des kommerziellen Zwecks wurde den Fotografien jeglicher künstlerischer Wert abgesprochen – dabei hatte die Kunst Eingang in den Alltag gefunden.
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