Grundlage für die viel beachtete Ausstellung „Monet und die Geburt des Impressionismus“ mit Leihgaben aus aller Welt sind sieben bedeutende Gemälde des frühen Impressionismus, die sich in der Sammlung des Städel Museums befinden. Wie aber kamen diese Werke ans Haus?
Mit dem Ankauf von Claude Monets 1868/69 gemaltem Bild „Das Mittagessen“ im Jahr 1910 wollte der damalige Städel-Direktor Georg Swarzenski (1876–1957) „in die vorderste Reihe der modernen Gallerien“ aufrücken und sah die Chance dazu zum Greifen nahe: „Es ist mir gelungen, mit den letzten noch lebenden Hauptmeistern der Französischen Malerei des 19. Jahrhunderts in Verbindung zu treten, dadurch eröffnet sich die Möglichkeit, an die ich selbst nicht mehr zu glauben wagte, einige Werke von ihnen noch zu bekommen“, schrieb er vor nunmehr 105 Jahren an den Frankfurter Oberbürgermeister Franz Adickes; zu einem Zeitpunkt also, als es im deutschen Kaiserreich keinesfalls selbstverständlich war, sich für französische Kunst einzusetzen. Heute zählt „Das Mittagessen“ zu den wichtigsten Bildern des Städel Museums und ist das zentrale Werk in der Ausstellung „Monet und die Geburt des Impressionismus“, die noch bis zum 28. Juni zu sehen ist.
Zwar war „Das Mittagessen“ für Claude Monet (1840–1926) ein wichtiges Schlüsselwerk, doch brachte es ihm zunächst einmal eine Enttäuschung: Als er es 1870 beim Pariser Salon einreichte, wurde es abgelehnt – ein herber Schlag, denn der Salon war zu dieser Zeit die Instanz für zeitgenössische Künstler. Nur wer bei den Jahresausstellungen seine Arbeiten präsentieren durfte, galt gemeinhin als erfolgreich. Die Ablehnung erfolgte in der Regel ohne Begründung der auswählenden Jury. An der impressionistischen Malweise jedenfalls kann es nicht gelegen haben, denn den entscheidenden Schritt zur Auflösung des Bildgegenstandes in eine atmosphärische Darstellung mit lichten Farbspuren hatte Monet zu diesem Zeitpunkt noch nicht gemacht. Trotzdem war „Das Mittagessen“ eine Provokation. Im Format eines Historienbildes – monumentale 231,5 mal 151,5 Zentimeter groß – zeigt es eine Szene aus dem privaten Familienleben des Malers; ein Sujet, das sonst, wenn überhaupt, in kleinformatigen, intimen Genredarstellungen aufgegriffen wurde. Bei Monet ist der Bildraum eng gefasst und zeigt mehrere Figuren um einen gedeckten Tisch. An diesem sitzt Camille Doncieux, die Freundin Monets (verheiratet waren sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht). Sie ist Jean zugewandt, dem unehelichen Kind der beiden. Auch wenn nicht jeder Betrachter davon gewusst haben muss, war dieser Familienstand ein gesellschaftlich undenkbares Bildthema. Am Fenster steht eine unbekannte Frau in schwarzer Kleidung; das Zimmermädchen im Hintergrund verschwindet halb hinter einer Schranktür. Das dargestellte Figurenensemble entzieht sich einer einfachen Interpretation und orientiert sich an den Figurenbildern von Künstlerkollegen wie Édouard Manet (1832–1883). Erst als „Das Mittagessen“ vom Pariser Salon abgelehnt wurde, konnte sich Monet von diesem Vorbild befreien. Ein vergleichbares Interieur hat er nicht wieder gemalt.
Trotz des einstigen Misserfolgs im Pariser Salon bezeichnet Georg Swarzenski „Das Mittagessen“ in seinem Brief an den Frankfurter Oberbürgermeister als Hauptwerk Monets, „dessen Erwerbung ein Ereignis ersten Ranges bedeuten würde“. Swarzenski wusste, dass Monet das Bild fünf Jahre nach der Entstehung auf der ersten Impressionisten-Ausstellung ausgestellt hatte, die ab dem 15. April 1874 am Boulevard des Capucines 35 im Studio des Fotografen Nadar einen Monat lang lief. Entgegen des weitverbreiteten Mythos war die Ausstellung ein großer Erfolg: Über 7.000 Besucher und zahlreiche, hauptsächlich positive Besprechungen begleiteten das Ereignis.
Vermittelt über den französischen Kunsthändler Paul Durand-Ruel (1831–1922) bot sich Swarzenski im Jahr 1910 also die Möglichkeit, ein Bild aus der Geburtsstunde des Impressionismus zu erwerben. Diese Phase interessierte ihn besonders stark: Zwischen seinem Amtsantritt 1906 und dem Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 erwarb er fast alle Werke des französischen Impressionismus, die sich heute in der Sammlung des Städel Museums befinden: darunter Édouard Manets „Krocketpartie“ (1873), Edgar Degasʼ „Orchestermusiker“ von 1872 sowie Werke von Camille Corot (1796–1875) und Charles-François Daubigny (1817–1878). Sie alle stammen aus den 1860er- und 1870er-Jahren. Das erste impressionistische Bild des Städel konnte bereits 1899 durch den Städelschen Museums-Verein im Jahr seiner Gründung erworben werden: Alfred Sisleys „Seine-Ufer im Herbst“ von 1872. Eine mutige Entscheidung, denn zur gleichen Zeit musste der Direktor der Berliner Nationalgalerie, Hugo von Tschudi (1851–1911), seine frisch angekauften Gemälde des französischen Impressionismus aus der Sammlungspräsentation entfernen, weil Kaiser Wilhelm II. durch sie den patriotischen Nutzen der nationalen Sammlung gefährdet sah. Im Jahr darauf erwarb der damalige Städel-Direktor Ludwig Justi (1876–1957) Claude Monets „Häuser am Ufer der Zaan“ von 1871.
Nicht nur dem Kaiser werden diese Ankäufe missfallen haben, denn spätestens seit dem Deutsch-Französischen-Krieg galt Frankreich als Erzfeind deutscher National-Gesinnter. Hinzu kam, dass die impressionistische Malweise in ihrer formalen Radikalität auch noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Auge konservativer Akademiker beleidigte. Was die Gemüter so erregte, zeigt das zweite „Mittagessen“, das derzeit ebenfalls in der Monet-Ausstellung als Leihgabe aus dem Pariser Musée dʼOrsay zu sehen ist: „Das Mittagessen: dekorative Tafel“ malte Claude Monet um 1873 und präsentierte es drei Jahre später in der zweiten Impressionisten-Ausstellung, die in den Pariser Verkaufsräumen von Durand-Ruel stattfand. Wieder wählte der Maler mit 160 mal 201 Zentimetern ein auffällig großes Format, das mit seinen Maßen alle anderen Bilder übertraf. Bewusst greift Monet das gleiche Bildthema auf – doch setzt er es diesmal in neuem Stil um. Die Malweise ist locker; das dunkle, vermeintlich bürgerliche Interieur ist durch einen sommerlichen, lichtdurchfluteten Garten ersetzt. Die Figuren dominieren nicht mehr den Bildraum, sondern gehen in die atmosphärische Darstellung ihres Umraums über. Monet hatte zu jenem Stil gefunden, der ihn unumstößlich zu einem der „Hauptmeister der Französischen Malerei des 19. Jahrhunderts“ machte.
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