Dass die Renaissance in Venedig sich nicht nur um den Großmeister Tizian drehte, zeigt die aktuelle Ausstellung im Städel. Kurator Bastian Eclercy stellt uns einen heimlichen Helden der Schau vor.
Bassano? Das ist zunächst einmal eine kleine Stadt nordwestlich von Venedig, einst Teil des Herrschaftsgebiets der venezianischen Republik. Seit dem 20. Jahrhundert heißt sie Bassano del Grappa (und dies nicht etwa nach den Getränkevorlieben ihrer Bewohner, sondern nach einem nahegelegenen Berg, dem Monte Grappa). Den Namen dieses beschaulichen Städtchens nahm aber auch sein bedeutendster Bewohner im Zeitalter der Renaissance an: der Maler Jacopo dal Ponte, alias Jacopo Bassano (um 1510–1592).
Bassano ist der talentierteste Spross einer Malerdynastie, die von seinem Vater – und frühen Lehrer – Francesco bis zu seinen vier Söhnen reicht, die Jacopos Werkstatt später erfolgreich fortführen sollten. Etwa zwanzig Jahre jünger als Tizian, kommt er aus der Provinz nach Venedig, dem Hotspot der Kunstszene in Oberitalien. Zwar zieht er schon 1539 wieder in seine Heimatstadt zurück und lässt sich dort dauerhaft nieder, doch bestimmt Bassano von dort aus die venezianische Malerei ganz wesentlich mit. Seine Auftraggeber stammen nicht nur aus Venedig, sondern auch vom italienischen Festland. Die Nähe und gleichzeitige Distanz zur Lagunenstadt kommen ihm offenbar besonders entgegen.
Zu Unrecht ist uns sein Name heute weit weniger geläufig als diejenigen der „großen Drei“: des weltgewandten Alleskönners Tizian, des exzentrisch-düsteren Tintoretto und des virtuos-eleganten Veronese. Gemessen an der Kühnheit und Qualität seiner Malerei müsste Jacopo Bassano eigentlich der rechtmäßige Vierte im Bunde sein. In der Ausstellung Tizian und die Renaissance in Venedig hat er nun mit acht Gemälden und drei Zeichnungen, darunter etliche Hauptwerke, endlich seinen großen Auftritt – auf Augenhöhe mit den berühmten Zeitgenossen.
Die Sprengkraft und Raffinesse von Bassanos Malerei wird anschaulich an einem seiner spektakulärsten Gemälde. 1558 ließ ein gewisser Bartolomeo Testa in der Franziskanerkirche von Bassano del Grappa eine Kapelle mit einem Altarbild ausstatten, mit dem er Jacopo beauftragte. Es hat sich im dortigen Museo Civico erhalten. Sowohl das Querformat als auch das Thema sind für ein Altarbild ziemlich ungewöhnlich.
In dem Gemälde wird Johannes der Täufer in der Wildnis vom göttlichen Licht getroffen und auf diese Weise zu seiner Aufgabe als Vorläufer Christi berufen. Diese seltene Darstellung kombiniert zwei Stellen in den Evangelien. Im Johannes-Prolog heißt es über den Täufer: „Ein Mensch trat auf, von Gott gesandt; sein Name war Johannes. Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kommen. Er war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht“ (Joh 1,6–8). Gottes Auftrag an Johannes bestand also darin, für Christus, das Licht, Zeugnis zu geben. Dass ihn dieser Auftrag in der Wildnis ereilte, geht aus dem Lukas-Evangelium hervor: „Da erging das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias, in der Wildnis“ (Lk 3,2).
Bassano verortet die Berufung in einer unwirtlichen Landschaft aus Felsen und knorrigen Bäumen, die fast gänzlich in Brauntönen gehalten ist. Die kantigen, in Diagonalen gesetzten Formen laden die Atmosphäre dramatisch auf. Links öffnet sich das Dickicht und gibt den Ausblick in die Weite frei. Während hier das natürliche Licht zum Vorschein kommt, fällt von rechts oben in feinen hellen Strahlen das göttliche Licht ein und trifft auf Johannes, den ausgemergelten Eremiten. Er sitzt auf einem Felsen, wird aus der Lektüre gerissen und muss sich ob der Wirkung des plötzlichen Lichtwunders mit dem rechten Arm nach hinten abstützen, um die Balance zu wahren. Sein Charakterkopf mit wilder Haar- und Barttracht zeichnet sich vor dem blauen Himmel ab. In der visionären Schau Gottes blickt er dem Licht entschlossen entgegen, wodurch er bekundet, dass er seine Aufgabe annimmt.
Noch während Bassano mit seiner Kunst in Venedig wirkt, zieht es den kretischen Ikonenmaler El Greco 1567 in die Stadt. Dort erlernt er die westliche Malereitradition und knüpft dabei unter anderem an die expressive Inbrunst von Bassanos Kunst an, die später für El Grecos eigenen Stil wichtig werden sollte. Und etwas später wird noch ein anderer Revolutionär der Kunstgeschichte von Bassano lernen: Caravaggio. Ihn dürften vor allem die Hell-Dunkel-Effekte in dessen Malerei, aber auch dessen ausgeprägte Neigung zum Genrehaft-Alltäglichen interessiert haben. Schauen wir uns etwa Bassanos großformatige Anbetung der Hirten aus Rom an: Hier rückt die Heilige Familie beinahe an den Rand des Geschehens. Im Mittelpunkt stehen die derben Gestalten der Hirten mit ihren zerschlissenen Gewändern – und den schmutzigen Fußsohlen, die später für Caravaggio als typisch gelten werden.
Bassano war aber auch einer der großen Zeichner der venezianischen Renaissance und ein reichlich ungewöhnlicher. Als erster und im 16. Jahrhundert einziger Künstler in Venedig und im Veneto experimentierte er mit der Verwendung mehrerer farbiger Kreiden – üblich waren bis dahin nur Schwarz und Rot. Sein Stil ist unverkennbar: Mit schwarzer Kreide oder Kohle schuf er eine hochgradig expressive, geradezu ungestüme Linienzeichnung und kolorierte diese flächig mit verschiedenen Buntfarben. Zeichen- und Malprozess näherten sich hier in vorher nicht dagewesener Form einander an.
Eine Figurenstudie in der Graphischen Sammlung des Städel Museums steht dafür beispielhaft. Der Jüngling, der sich entspannt zurücklehnt, ist in wild bewegtem Duktus mit immer wieder neu ansetzenden, sich überlagernden und verdichtenden Linien gezeichnet, die teilweise zu Schattenpartien verwischt sind. Gesicht und Arme werden nur flüchtigst angedeutet, mancher Bereich verbleibt im Amorphen. Aus diesem schwarzen Liniengespinst leuchten das Orange des Hemdes und das Gelb der Hose hervor, die mit der Kreide flächig, aber so dünn aufgetragen sind, dass Blattgrund und Linien durchscheinen. Im letzten Schritt hat Bassano noch mit Weiß die Lichter gesetzt.
Solche Zeichnungen mit mehrfarbigen Kreiden („disegni coloriti“) werden schon im 16. Jahrhundert als Pastelle bezeichnet. So stellen Bassanos koloristische Experimente einen bemerkenswerten Sonderweg in der frühen Geschichte des Pastells dar, das im 18. Jahrhundert zur Blüte gelangen sollte.
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