Seit Menschengedenken fristete dieses Gemälde ein Schattendasein im Depot – dabei ist das Madonnenbild Sassoferratos ein Meisterwerk des Barock. Seine brillanten Farben hat nun eine Restaurierung zutage gefördert.
Die ganze Geschichte nimmt ihren Anfang bei einem meiner Besuche im Pariser Louvre. Dort hängt in einem kleinen Kabinett fernab der Besucherströme ein Madonnenbild des römischen Barockmalers Sassoferrato. Das knappe Label weist darauf hin, dass eine weitere Fassung dieses Gemäldes „au Städelsches Kunstinstitut de Francfort“ bewahrt werde. So ist es. Ein erfreutes Lächeln huscht über mein Gesicht. Und paart sich sogleich mit dem Unbehagen darüber, dass eben jenes Bild seit jeher unbeachtet in unserem Depot hängt, von keinem Besucher gesehen, ohne Rahmen. Es ist von einem extrem vergilbten, fleckigen Firnis überzogen, der seine delikate Farbigkeit kaum mehr erkennen lässt und die Feinheiten der Malerei, die Plastizität der Formen gänzlich verunklärt. Manch einer würde es vielleicht für ein schäbiges Andachtsbild vom Flohmarkt halten. Man täte dem Maler wahrlich keinen Gefallen, sein Werk in diesem Zustand auszustellen.
Zurück in Frankfurt beschäftigt mich die Sache weiter, und irgendwann tut sich ein günstiges Zeitfenster auf. Das Bild wird aus den Katakomben des Depots zur Untersuchung in die Restaurierungswerkstatt verbracht – der erste, entscheidende Schritt. Gemeinsam mit dem Leiter der Gemälderestaurierung, Stephan Knobloch, kommen wir zu dem Schluss, dass eine grundlegende Konservierung und Restaurierung erfolgversprechend wäre. Auch das Louvre-Bild, so wird mir bei der Recherche bewusst, war erst durch eine Restaurierung 1997/98 wieder in seiner Qualität erfahrbar geworden.
Dipl.-Restauratorin Annegret Volk, die bereits beim Schächer-Fragment des Meisters von Flémalle ihre Brillanz unter Beweis gestellt hat, wird mit dem Projekt betraut. Stück für Stück nimmt sie den alten Firnis samt Retuschen und Übermalungen ab.
Bereits nach wenigen Tagen kommt Sassoferratos intensiv leuchtendes Kolorit wieder zum Vorschein: das edle Blau des Madonnenmantels, das helle Rot ihres Kleides, das zarte Beige des Schleiers, das strahlende Weiß des Tuches – die typischen Marienfarben in absoluter Brillanz. Auch die Hauttöne sind aufs Subtilste differenziert, von den porzellanhaften Zügen der Maria bis hin zum vertriebenen Rouge ihrer Wangen.
Unglaublich plastisch sind nun alle Formen herausgearbeitet, die durch den milchigen Überzug bis zur Unkenntlichkeit verschliffen waren, etwa beim Köpfchen des Jesusknaben, in den Falten des Marienschleiers oder in der weißen Binde ganz rechts. Annegret Volk hat einige schadhafte Stellen reversibel retuschiert, vor allem in den dunkleren Blautönen. Der letzte Schliff kommt durch einen neuen Firnis, der das Tiefenlicht verstärkt und die ästhetische Einheit des Bildes wiederherstellt. Unser aller Erwartungen sind übertroffen, ein großartiges Gefühl.
Den Maler unseres wiedergewonnenen Gemäldes, Giovanni Battista Salvi (1609–1685), pflegt man nach seinem bei Ancona gelegenen Geburtsort Sassoferrato zu nennen. Ab 1629 arbeitet er in Rom, zunächst bei Domenichino, einem aus Bologna stammenden Hauptmeister des italienischen Barock.
Sassoferratos wichtigste künstlerische Vorbilder sind sein Zeitgenosse Guido Reni, aber auch die Meister der Renaissance, allen voran Raffael und Perugino. Deren Gemälde imitiert und kopiert er teilweise bis zur Verwechselbarkeit. Dieser nachahmende Rückbezug auf italienische Klassiker stellt eine bemerkenswerte Sonderposition im Barock dar und macht Sassoferrato gleichsam zum fernen Vorläufer der Nazarener des 19. Jahrhunderts.
Zu Sassoferratos Repertoire gehören Porträts und Kirchenausstattungen. Seine absolute Spezialität aber sind wertvolle Andachtsbilder, vor allem der Madonna mit Kind, die zu seiner Zeit einen großen Absatzmarkt haben. Pictor Virginum, Madonnenmaler, lautet passenderweise Sassoferratos Beiname. Sein Erfolgsrezept: Feinheit und Eleganz der Malerei gepaart mit einem tief empfundenen religiösen Sentiment. Hinzu kommt eine ökonomische Arbeitsweise, die nicht vor der steten Wiederholung einmal gefundener Bildlösungen zurückscheut – bei gleichbleibend hoher Ausführungsqualität.
So haben sich von manchen Kompositionen Sassoferratos Dutzende Fassungen von seiner Hand erhalten. Die Suche nach einem ersten „Original“ wäre dabei zweck- und sinnlos. Die Replik stellt keine minderwertige Vervielfältigung dar, sondern sein künstlerisches Prinzip. Da sich Stil und Kompositionen über die vielen Jahrzehnte seines Schaffens kaum gewandelt zu haben scheinen und fest datierte Werke äußerst rar sind, lässt sich auch die Frage nach der Datierung von Sassoferratos Gemälden meist nicht beantworten. Für das Städel Bild, von dem es nur eine weitere Fassung gibt (diejenige im Louvre), vermute ich eine Entstehung um die Mitte des 17. Jahrhunderts – in Sassoferratos bester Zeit.
Um in den großen Italiener-Saal des Städel Museums einziehen zu können, bedurfte Sassoferratos Gemälde schließlich noch eines adäquaten Rahmens. Durch die großzügige Förderung mehrerer Unterstützer haben wir einen italienischen Originalrahmen des 17. Jahrhunderts erwerben können. Mit seinem kräftigen geschnitzten Profil und einer kühlen, fast silbrigen Vergoldung bringt er die ästhetische Wirkung des Bildes trefflich zur Geltung. In der Sammlungspräsentation bildet der Sassoferrato fortan das Pendant zu Guercinos motivisch ähnlicher und doch ganz anders aufgefasster Madonna mit Kind.
Jetzt schließt sich auf glückliche Weise nach über 120 Jahren ein Kreis: Als Schenkung von Josephine und Anton Brentano war das Bild 1895 aus der alten Sammlung Brentano-Birckenstock ins Städel Museum gelangt. Und nun ermöglicht das Engagement einiger Freunde unseres Hauses, die sich für das Projekt haben begeistern lassen, einen würdigen Rahmen für das wiedergewonnene Werk. Im doppelten Sinne.
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