Anlässlich unserer Jubiläumsausstellung „Dialog der Meisterwerke“ stellen wir Euch besondere Werke aus der Sammlung vor – was sie auszeichnet und welches Werk ihnen als Pendant während der Ausstellung zur Seite gestellt wurde. Den Auftakt macht Guercinos „Madonna mit Kind“.
Mit der Unterzeichnung der letzten Version seines Testaments am 15. März 1815 legte der Bankier und Kaufmann Johann Friedrich Städel den Grundstein für das Städel Museum, in dem er sein gesamtes Vermögen sowie seine Kunstsammlung der nach ihm zu benennenden Stiftung vermachte. Und auch noch 200 Jahre später wird das Museum durch ein breites bürgerschaftliches Engagement getragen. So unterstützen und prägen beispielsweise einzelne Bürger mit herausragenden Schenkungen das Museum. Eines dieser großzügigen Geschenke gelangte kurz vor Weihnachten 2010 ans Haus. Aber was schenkt man einem Museum zum Fest ? Ganz einfach, ein Bild natürlich. Nun ja, nicht irgendeines – für den altehrwürdigen Saal des italienischen Barock im Städel darf es gerne ein Meisterwerk sein. Und so stiftete das Frankfurter Ehepaar Barbara und Eduard Beaucamp dem Städel im Dezember 2010 ein bedeutendes Gemälde des italienischen Barockmalers Guercino (1591–1666) aus dessen bester Zeit.
Das Werk wurde von der Porzellanspezialistin und dem Kunstkritiker selbst entdeckt und als Werk des Bologneser Meisters identifiziert. Die 1981 im Auktionshaus Arnold in Frankfurt als vermeintliche Nachahmung oder Kopie des 19. Jahrhunderts angebotene „Madonna mit Kind“ hatten sie für einen niedrigen Betrag ersteigert; im Rahmen einer Restaurierungsmaßnahme ließen sie die alte Kleisterdoublierung entfernen sowie den vergilbten Firnis abnehmen. Die neuen Besitzer gelangten aufgrund der herausragenden Qualität der Malerei und des charakteristischen Stils rasch zu der Einsicht, ein eigenhändiges Werk Guercinos erworben zu haben. Sie stützten sich dabei auf eingehende Vergleiche, insbesondere auch mit seiner in der der aktuellen Städel-Ausstellung „Dialog der Meisterwerke“ als Pendant gegenübergestellten „Mystischen Vermählung der heiligen Katharina“ aus der Berliner Gemäldegalerie, und wandten sich an die Guercino-Kenner Erich Schleier und Denis Mahon, die als Erste anhand von Fotografien die Zuschreibung bestätigten. 1988 wurde das Bild im Kontext einer Ausstellung zu Guercinos Zeitgenossen Guido Reni (1575–1642) in der Frankfurter Schirn als Vergleichsbeispiel erstmals öffentlich präsentiert und im selben Jahr von dem Kunsthistoriker Luigi Salerno in sein Guercino-Werkverzeichnis aufgenommen. Seither ist es in der Literatur fest etabliert und hat sich bei Guercino-Ausstellungen in Bologna (1991) und Mailand (2003) neben gesicherten Werken aus derselben Phase bewährt.
Von den Bildrändern überschnitten und ganz nahe an den Betrachter herangerückt, steht oder sitzt die Gottesmutter in Halbfigur vor einem bräunlichen Hintergrund. Die Schulterlinie verleiht der Figur ein Bewegungsmoment, auch wenn die damit suggerierte Drehung des Oberkörpers anatomisch nicht ganz überzeugend bewältigt wird, da die Schultern in derselben Raumebene zu liegen scheinen. Das Haupt sanft geneigt, blickt Maria liebevoll auf den Jesusknaben, den sie mit der Rechten zart an ihre Brust drückt. Dabei berühren ihre Finger das göttliche Kind nicht, sondern nur das weiße Tuch, auf das sie es rücklings gebettet hat. Der propere, im Profil wiedergegebene Knabe mit den geröteten Pausbacken liegt fast waagerecht in den Armen der Mutter und schläft friedlich. Maria trägt über dem weißen Untergewand ein brombeerfarbenes Kleid, das an der rechten Brust geöffnet ist, mit der sie Jesus offenbar gerade gesäugt hat. Ein schalartiges hellbraunes Tuch definiert den Ausschnitt; der blaue Mantel ist in einer langen Bahn über die Schulter gelegt. Den Kopf Mariens umhüllt ein Turban aus einem plissierten Tuch, ein orientalisierendes Lieblingsmotiv Guercinos. Guercino verbindet hier theologische Symbolik mit der menschlich anrührenden Intimität des innigen Mutter-Kind-Verhältnisses, die dem Betrachter im Wortsinne nahegebracht wird.
Giovanni Francesco Barbieri, den man wegen eines Augenleidens „il Guercino“, den Schieläugigen, nannte, zählt zu den prägenden Künstlerpersönlichkeiten des italienischen Barock. 1591 in Cento zwischen Bologna und Ferrara geboren, kam er schon früh mit der Kunst Ludovico Carraccis (1555–1619) in Berührung, der nicht sein Lehrer, aber ein maßgebliches Vorbild wurde. Auf einer Reise nach Venedig 1618 machte er sich mit der großen Tradition der venezianischen Malerei vertraut, eine Begegnung, die vor allem für sein samtig leuchtendes Kolorit der folgenden Jahre ganz entscheidend war. 1621 berief ihn der neu gewählte Papst Gregor XV. aus der Bologneser Patrizierfamilie der Ludovisi, der vor allem Künstler aus seiner Heimat förderte, nach Rom, wo Guercino hochrangige Aufträge ausführte. Mit dem Tod des Papstes 1623 endete das kurze, aber folgenreiche römische Intermezzo Guercinos, der nach Cento zurückkehrte, wo sich sein Stil bald grundlegend wandelte. Bemerkenswerterweise war der Weggang aus der Emilia nach Rom hingegen nicht mit einem künstlerischen Bruch einhergegangen, sondern zeichnete sich vielmehr durch ein hohes Maß an stilistischer Kontinuität aus.
Kennzeichnend für diese Periode, die wohl Guercinos eigenständigsten Beitrag zur italienischen Barockmalerei darstellt, sind das kräftige, weiche Impasto und der cremige Schmelz des Farbauftrags sowie die satten, dunklen, im Licht aufglänzenden Weinrot-, Blau- und Brauntöne: jenes bereits erwähnte Kolorit „alla veneziana“, das – wie Denis Mahon es formulierte – „die Fülle und Opulenz von Samtstoffen und reifen Früchten nachahmt“ und auch die farbliche Delikatesse des Städel-Bildes ausmacht. Das feine Helldunkel, mit dem Guercino die Formen plastisch modelliert, geht dabei weniger auf Caravaggio als vielmehr auf eine spezifisch emilianische Chiaroscuro-Tradition zurück, die schon mit Correggio einsetzte und von den Carracci zur Perfektion gebracht wurde. Wohl zu Beginn von Guercinos Rom-Aufenthalt um 1621/22 dürfte die Frankfurter Madonna entstanden sein.
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