In der Altmeister-Galerie ist zurzeit zu sehen, was sonst eher verborgen bleibt: die Rückseite von Gemälden. Die Sonderpräsentation „Vice Versa“ gewährt in zwei Kabinetträumen nicht nur einen exklusiven Blick, sondern erklärt auch, welche Erkenntnisse die Kehrseiten der Malerei für uns bereithalten.
In der derzeit zu sehenden Kabinettpräsentation „Vice Versa. Kehrseiten der Malerei“ erfährt der Besucher anhand einer Auswahl von Gemälden des 14. bis 18. Jahrhunderts unter anderem, wie sich Restaurierungen vergangener Zeiten auf den Rückseiten ablesen lassen oder was Inschriften erzählen. Aber auch, wie das Bild eigentlich in den Rahmen kommt, – denn dies ist vielschichtiger, als vielleicht zunächst erwartet: Bis weit ins 16. Jahrhundert hinein wurde meistens auf Holz gemalt, später setzte sich Leinwand als Bildträger durch. Egal welches der Medien verwendet wurde, heute werden beide in der Regel in einen abgestuften Holzrahmen gelegt und durch von hinten angeschraubte Metallplättchen gehalten. Holztafeln des Spätmittelalters waren jedoch ursprünglich durch eine Nut-Feder-Konstruktion fest mit dem Rahmen verbunden.
Ebenfalls war es möglich, dass Rahmen und Bild, wie im Fall der Marientafel von Hugo van der Goes (um 1440–1482) aus dem Jahr 1479, aus einem Stück gearbeitet wurden. Da Profilrahmen und Wasserschlag Teil der Tafel sind, musste die vertieft liegende Fläche für das Bild sorgfältig herausgeschnitzt werden. Besonders an diesem Bild aus der Städel Sammlung ist, dass die Besitzer etwa zehn Jahre nach Fertigstellung einen anderen Künstler beauftragten, das Marienbild zu einem kleinen Klappaltar zu erweitern. Die plastisch gearbeiteten Wappenschilde dienen seitdem als Halterung für die Mitteltafel, die zur näheren Betrachtung – auch heute noch – aus dem Rahmen genommen werden kann.
Bei anderen Bildern lässt sich auf der Rückseite ablesen, dass sie ursprünglich nicht an der Wand hingen, sondern vermutlich erst Laufe des 19. Jahrhunderts zur „Flachware“ umgearbeitet wurden. Recht offensichtlich ist dies etwa bei einer Kreuzigungstafel aus dem Umkreis eines Dürer-Schülers von 1510/20. Die Tafel bildete damals ursprünglich den Flügel eines Klappaltars. Das bedeutet, dass die heute zum Teil bis auf das Holz abgearbeitete Rückseite, die reich geschmückte Innenseite eines Altarflügels war. Mithilfe eines vergoldeten Gipsgrunds wurde kostbarer Brokatstoff nachgeahmt; mittig war das Relief einer schreitenden Figur angebracht, von der sich heute leider nur noch Umrisse ausmachen lassen.
Bei den Tafeln eines Sieneser Meisters des frühen 15. Jahrhunderts muss man schon etwas genauer hinschauen, um den Sachverhalt zu verstehen: Auf der Rückseite sind nicht nur die typischen Löcher des Holzwurms zu sehen, sondern auch seine horizontal verlaufenden Fraßgänge. Da sich der Wurm aber nicht an der Oberfläche, sondern im Innern des Holzes durchfrisst, kann es sich nur um eine nachträgliche Dünnung der Bretter handeln. Beim rückseitigen Abtragen des Holzes mithilfe eines halbrunden Schrupp-Hobels – die Bearbeitungsspuren sind noch deutlich zu erkennen – wurden die Fraßgänge also erst freigelegt. Thema und Format lassen zweifellos auf Cassone-Bilder schließen, die eine meist aus Anlass einer Hochzeit gefertigte Truhe zierten. Zu einem uns unbekannten Zeitpunkt nahm man sie aus der Außenwand der Truhe heraus und sägte sie für ihre Neuverwendung als Galeriebilder zurecht: Aus der dicken Vertäfelung einer Truhe wurden gerahmte Wandbilder.
Oft ist den Vorderseiten nicht anzusehen, dass auch recht ungewöhnliche Materialien als Bildträger verwendet wurden. Kupfer zählt dabei noch zu den üblichen Materialien: Anders als Holz oder Leinwand verzieht es sich nicht und reflektiert die Ölfarben gut. Als die Herstellungsverfahren von Kupferplatten weit genug ausgereift waren, kamen diese als Malgrund in Mode und sind in den Jahrzehnten um 1600 relativ häufig anzutreffen. Eher ungewöhnlich ist hingegen, dass ein Landschaftsbild von 1614 auf die Rückseite einer Spielkarte des 15. Jahrhunderts gemalt worden ist – auch dies ist in der Präsentation zu sehen. Ebenso selten sind bemalte Schiefer- und Marmortafeln – allesamt in der Sonderschau vertreten. So benutzte der Tiroler Maler Ignaz Unterberger (1742/1748–1797) für seine beiden um 1775/90 gefertigten mythologischen Bilder beispielsweise feinsten Weißmarmor. Der Clou besteht darin, dass er mit der Malerei nicht nur Marmor imitierte, sondern auch den steinernen Malgrund durchscheinen ließ und nur mittels dünner Farbschichten schattierte.
Bei vielen Porträts ist der Name des Dargestellten auf der Rückseite notiert, oft ist die Rückseite aber auch aufwendig mit Wappen, Inschriften und Künstlermonogramm bemalt. Darüber hinaus können Gemälderückseiten manchmal fast die gesamte, wechselvolle Geschichte eines Werkes preisgeben: Inschriften, Klebezettel und Etiketten bilden zusammen mit Spuren restauratorischer Eingriffe ein wahrhaftes „Archiv des Bildes“. Das lässt sich an keinem Beispiel so gut zeigen wie bei Jan van Scorels (1492–1562) um 1530 entstandenen Bildnisses eines Mannes. Der Klebezettel an der oberen rechten Ecke gibt an, dass 1849 der Firnis, also der klare Schutzanstrich, abgenommen wurde; mittig informiert eine aufgeklebte Visitenkarte über die Vorbesitzerin und darunter ist auch die alte, inzwischen fälschliche Zuschreibung des Werks an den Künstler Quentin Massys (1466–1530) dokumentiert. Es zeigt sich also: Betrachtet man die Sache mal aus einer anderen Perspektive, lassen sich viele Fragen zum Zustand, zur Provenienz und Zuschreibungsgeschichte mitunter direkt beantworten. Auch wenn wir die Antworten nicht immer gleich auf dem Silbertablett serviert bekommen: Ein Blick auf die Rückseite lohnt sich in jedem Fall.
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