Der großzügigen Schenkung der Frankfurter Mäzenin Dagmar Westberg verdanken wir einen der wichtigsten Neuzugänge der Städelschen Altmeistersammlung in den letzten zehn Jahren: den „Heiligen Jakobus den Älteren“, ein frühes Hauptwerk des Jusepe de Ribera aus seiner römischen Zeit.
Ribera zählt zu den bedeutendsten Malern des 17. Jahrhunderts und vereint die künstlerischen Errungenschaften zweier europäischer Schulen in einer Person. Aus Játiva in der Provinz Valencia gebürtig, kann er als der wichtigste spanische Maler neben Velázquez gelten, doch verbrachte er sein ganzes Künstlerleben in Italien – zunächst in Rom, danach im spanischen Vizekönigtum Neapel – und gehört damit auch zu den einflussreichsten Malern des italienischen Barock. Die großen Museen der Welt bewahren seine Werke, allen voran der Prado in Madrid und das Museo di Capodimonte in Neapel. Im Frankfurter Städel bedeutete das Fehlen eines Gemäldes von seiner Hand eine schmerzliche Lücke. Besonders vermisst wurde ein frühes Werk Riberas aus der stark von seiner Begegnung mit der Kunst Caravaggios geprägten Periode. Mindestens vier Jahre, von etwa 1612 bis 1616, hielt sich der Anfang Zwanzigjährige in Rom auf und geriet dort in den Bann jenes Meisters der Hell-Dunkel-Malerei und des Naturstudiums.
Nur wenige Schriftquellen erhellen diese Werkphase Riberas, die erst in jüngster Zeit die verdiente Aufmerksamkeit der Forschung und des Publikums gefunden hat, insbesondere durch eine große Ausstellung in Madrid und Neapel 2011/12. Die Forschung erhielt dadurch einen regelrechten Schub, und so ist Riberas Frühwerk derzeit eines der am intensivsten diskutierten Themen in der Literatur zum italienischen Barock. Die großen Altmeister-Sammlungen nehmen dabei eine Schlüsselrolle ein. Neben der genannten Ausstellung sind bedeutende Ankäufe in diesem Bereich zu verzeichnen, so 2012 die Erwerbung eines großformatigen Leinwandbildes des „Reuigen Petrus“ durch das Metropolitan Museum in New York und im selben Jahr der Ankauf eines „Johannes Evangelista“ durch den Louvre in Paris. Mit dem Neuzugang durch die Schenkung von Dagmar Westberg sind wir in der glücklichen Lage, dass sich das Städel an dieser ganz aktuellen Diskussion mit einem gewichtigen Beitrag beteiligen kann.
In unserem Haus schließt das bislang in einer Privatsammlung bewahrte und seit 1927 nie mehr öffentlich gezeigte Werk eine empfindliche Lücke, ja vielleicht die größte Lücke der Altmeister-Sammlung überhaupt. So reich die Bestände an holländischer, deutscher, flämischer und französischer Malerei des 17. Jahrhunderts, jenes sogenannten Goldenen Zeitalters, im Städel sind, so wenig hat man sich in der Vergangenheit – ganz typisch für eine bürgerliche Sammlung – für die italienische Malerei des Früh- und Hochbarock interessiert, die eher dem Geschmack fürstlicher Sammler entsprach. Gerade die Ursprünge der europäischen Barockmalerei, die in Italien in den Jahrzehnten um 1600 liegen, waren nur unzureichend vertreten. Einen ersten wichtigen Schritt bedeutete die Schenkung der Guercino-Madonna aus der Sammlung Beaucamp 2010. Mit Riberas „Jakobus“ ist nun ein herausragendes Beispiel der frühen Caravaggio-Rezeption in die Sammlung gelangt, das sich im großen Italiener-Saal glänzend behauptet und einen eindrucksvollen Akzent setzt.
Eine monumentale, lebensgroße Halbfigur von geradezu skulpturaler Präsenz tritt uns hier entgegen. Der Apostel steht vor einer dunklen Wand und wird durch einen sich auf dieser markant abzeichnenden Lichtkegel von links oben beleuchtet – eine Lichtsituation, wie sie für Caravaggio und seine Nachfolger ganz typisch ist. In der Rechten hält er mit fester Hand sein Attribut, den langen Pilgerstab, mit der vor den Körper gehaltenen linken Hand umklammert er ein Buch. Auf sein Pilgertum verweist auch das im Licht aufglänzende Abzeichen, das er sich oberhalb der Brust ans Gewand geheftet hat. Die von Wetter und Arbeit gegerbten, im Wortsinne zupackenden Hände des Jakobus sind in einem geradezu provozierenden Naturalismus gegeben, den Caravaggio in die Kunst eingeführt hat. Sein Gewand, eine hellgraue Tunika und darüber ein leuchtend roter Mantel, ist nicht reich an Verzierung, wohl aber an Volumen. In einer großen Bahn hat Jakobus den Mantel über die linke Schulter gelegt und rafft ihn mit der linken Hand, so dass der kräftige Stoff ein schön geformtes Gebirge von Falten ausbildet. Durch Licht und Schatten gewinnt das beinahe abstrakte Faltenmuster des tief durchschluchteten Stoffes an wuchtiger Plastizität. Die leichte, aber merkliche Drehung des Körpers mit der Wendung der linken Schulter zum Betrachter und die Gegenläufigkeit der Arme und Hände verleihen der Figur ein dynamisches Moment. Die Monumentalität der Haltung, der wie schützend vor den Körper gelegte Arm und das dem Betrachter plastisch entgegendrängende Faltenwerk verstärken die Präsenz des Apostels bei seinem Auftritt auf der Bühne des Bildes.
Die besondere Kunst Riberas zeigt sich indes in der Art und Weise, wie er diese Wucht in der Figur selbst wieder relativiert. Es ist das sanft zur Seite geneigte Haupt des Jakobus, das noch eine andere Facette des Heiligen ins Spiel bringt. Ribera setzt den Kopf besonders in Szene, in dem er ihn als einzigen Teil der Figur direkt im Lichtkegel platziert und sogar noch mit einer Lichtaureole hinterfängt. Ganz frontal blickt der Apostel aus tiefdunklen, glänzenden Augen auf den Betrachter, den Mund leicht geöffnet. Alles an diesem Antlitz ist fein, edel und elegant, der Schwung der Lippen, der Konturen der Ohren und der bewegten Strähnen des braun gelockten Haares. Die Sanftheit des Gesichtes steht in subtilem Kontrast zum kraftvollen Ausdruck des Körpers. Diese Ambivalenz zwischen Auftritt und Erscheinung, zwischen Präsenz und Entrückung kennzeichnet das Gemälde als ein feinsinnig durchdachtes Meisterwerk des frühen Ribera.
Das neuzeitliche Heiligenbild setzt generell weniger auf die Zeichensprache überlieferter Typen und Attribute zur Charakterisierung des Dargestellten als vielmehr auf Ausdruck und Körpersprache der Figur selbst. Ribera verbindet in seiner Interpretation des „Heiligen Jakobus“ die Momenthaftigkeit des Pilgers auf seinem Weg, der dem Betrachter begegnet, mit der überzeitlichen Bedeutung des Apostels als Zeuge des Wirkens Jesu. Nach der biblischen Überlieferung war Jakobus der Bruder des Evangelisten Johannes und wurde mit diesem gemeinsam als einer der ersten zum Jünger berufen. Auf Geheiß des Königs Herodes erlitt er für sein Zeugnis das Martyrium der Enthauptung. Erst die spätere legendarische Literatur bringt Jakobus mit der iberischen Halbinsel in Verbindung und berichtet, dass er in Spanien gepredigt haben soll; außerdem sei der Leichnam des Märtyrers durch ein Wunder mit einem Schiff nach Spanien gelangt. Anfang des 9. Jahrhunderts entdeckte man die Gebeine des Jakobus in Santiago de Compostela, das sich in der Folgezeit neben Rom und Jerusalem zum wichtigsten Pilgerzentrum der christlichen Welt entwickelte und den Apostel zum spanischen Nationalheiligen machte. Seit dem Hochmittelalter wird er meist als Pilger mit Stab, Hut und der Jakobsmuschel als Pilgerzeichen dargestellt, oft mit einem Buch in der Hand – eine eigentümliche Übertragung des Pilgertums der ihn verehrenden Gläubigen auf den Heiligen selbst, der damit vom Zielpunkt zu einer Art Rollenmodell für die Jakobs-Pilger wurde.
In den Jahren um 1600, kurz vor der Entstehung unseres Bildes, setzte im päpstlichen Rom eine theologische Debatte über die Missionstätigkeit des Jakobus in Spanien ein: Clemens VIII. beauftragte eine Kommission mit der Überarbeitung des „Breviarium Romanum“, das die Texte des Stundengebets enthält. Die römischen Kardinäle in diesem Gremium zweifelten an, dass Jakobus tatsächlich als Prediger in Spanien gewirkt habe. Der spanische König Philipp III. intervenierte daraufhin über seinen Botschafter beim Heiligen Stuhl. Nach längeren Verhandlungen einigte man sich auf eine Kompromissformel, welche die Spanien-Mission des Jakobus zumindest als örtliche Überlieferungstradition kodifizierte. 1631 setzte sich der spanische Klerus in einem erneuten Anlauf sogar gänzlich gegen die quellenkritischen Zweifler innerhalb des römischen Kardinalskollegiums durch. Der Rang des spanischen Nationalapostels und die für die iberische Halbinsel religiös, wirtschaftlich und politisch enorm bedeutsame Pilgerfahrt zum Heiligen Jakobus waren damit ein für allemal gesichert. Vor dem Hintergrund dieser brisanten Diskussion kann man ermessen, welch wichtige Rolle der suggestiven Evidenz eindringlicher Bilder des Jakobus im Rom jener Jahre zugekommen sein dürfte, die den Heiligen lebensnah und würdevoll in seiner Doppelrolle als Pilger und Apostel vor Augen stellten.
Der subtile Auftritt des Jakobus in Riberas Gemälde wird auch die Besucher des Städel ab sofort in seinen Bann ziehen – Widerstand zwecklos.
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