Von der „Lady in Red“ über Schiefermalgründe bis hin zum Mittagessen in der Städelschule – wir sprachen mit dem neuen Städel-Kustos Bastian Eclercy über seine ersten 100 Tage am Museum und seine Pläne für die Sammlung der italienischen, französischen und spanischen Malerei bis 1800.
Herr Eclercy, seit Anfang dieses Jahres sind Sie im Städel als Kustos für italienische, französische und spanische Malerei bis 1800 tätig. Womit waren und sind Sie in diesen ersten – sprichwörtlich hundert – Tagen beschäftigt? Hundert Tage Schonfrist gibt es am Museum natürlich nicht, das wäre ja auch ziemlich langweilig… Da mir das Haus schon vertraut war, konnte ich mich von Anfang an in die ersten Projekte stürzen. So habe ich gleich die reizvolle Gelegenheit genutzt, eigene Spuren in den Sammlungsräumen zu hinterlassen und die italienische Malerei der Hochrenaissance und des Manierismus komplett umgehängt. In neuen Zusammenhängen und Nachbarschaften wirken dieselben Bilder erstaunlich anders; es lohnt sich also – und sowieso immer – diesen Saal wieder einmal aufzusuchen. Gemeinsam mit meinem Kollegen Jochen Sander richte ich außerdem gerade in zwei Kabinetträumen eine Präsentation aus Eigenbestand zu Bildrückseiten ein. Unter dem Titel „Vice Versa – Kehrseiten der Malerei“ gewähren wir ab April einen ebenso ungewöhnlichen wie exklusiven Einblick in das, was dem Betrachter sonst verborgen bleibt, und zeigen das Museum als Forschungslaboratorium. Wer weiß denn schon, dass man beispielsweise auch auf Schiefer malen kann, und wer hat eine solche Tafel schon mal von hinten gesehen? Mein Hauptprojekt war und ist aber die Vorbereitung einer großen Ausstellung zum Florentiner Manierismus, die für Anfang 2016 im Städel geplant ist. Ein absolutes Lieblingsthema von mir, das ich schon an meinem früheren Arbeitsort in Hannover verfolgt habe. Das sind Bilder von unglaublicher Virtuosität und einer spektakulären Ästhetik, die den Betrachter in ihren Bann zieht. Ein Konzept steht schon und die ersten Leihzusagen trudeln allmählich ein. Was für ein Privileg, sich jeden Tag mit diesen großartigen Stücken beschäftigen zu dürfen.
Was zeichnet aus Ihrer Sicht die Städelsche Altmeister-Sammlung der italienischen, französischen und spanischen Malerei besonders aus? Es ist kein sehr großer Sammlungsbereich, aber die Dichte an Highlights ist enorm. Fra Angelico, Mantegna, Botticelli, Bellini, Tizian, Bronzino, Guercino, Tiepolo, Poussin, Watteau, Chardin… Die Italiener, mein eigener Forschungsschwerpunkt seit Studienzeiten, dominieren bei Weitem. Wie auch sonst im Städel ist eher enzyklopädisch als in größeren Werkgruppen gesammelt worden, daher kommt die ungemeine Bandbreite an Künstlern, die hier vertreten sind. Die zahlreichen Leihanfragen aus den großen Museen der Welt, die über meinen Schreibtisch gehen, belegen den Rang dieser Sammlung, und es gehört zum Bewegendsten, ein „eigenes“ Bild dann einmal in Florenz oder New York an der Wand einer wichtigen Ausstellung zu sehen.
Gibt es darunter ein Werk, das Sie sich auch jeden Tag aufs Neue anschauen können? Und warum? Genau das zeichnet ja ein Meisterwerk aus. Neuerdings darf man diesen lange verteufelten Begriff wieder benutzen, und ich tue dies eben für solche Bilder, auf die man immer wieder fasziniert zurückkommt. Zu Beginn meines Studiums habe ich einmal befürchtet, dass mit der Professionalisierung der Kunstbetrachtung der Genuss abnehmen könnte. Das Gegenteil ist der Fall. Man liebt das, was man am besten kennt, und will das, was man liebt, immer besser kennenlernen. Mein derzeitiger Favorit in meinem Sammlungsbereich ist ganz klar Bronzinos um 1530 entstandenes „Bildnis einer Dame in Rot“, ein Meisterwerk der Florentiner Malerei des Manierismus. Ich habe es in die Blickachse gehängt, um auch den Blick unserer Besucher darauf zu lenken und sie dafür zu begeistern. Natürlich wird die „Lady in Red“, die nach meinem Wunsch ähnlich wie Botticellis „Simonetta“ in der Außenwahrnehmung zu einer Ikone der Sammlung werden soll, auch in der geplanten Ausstellung eine Hauptrolle spielen.
Das Städel Museum ist für Sie kein unbekanntes Haus. Von 2007 bis 2010 waren Sie zunächst wissenschaftlicher Volontär, dann wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Altmeisterabteilung des Städel. Wie würden Sie die Entwicklung des Hauses in den Jahren dazwischen beschreiben? In der Tat nimmt man solche Entwicklungen vielleicht am eindringlichsten wahr, wenn man einige Jahre – in meinem Fall knapp vier – anderswo verbracht hat. Jenseits der sichtbaren Veränderungen mit dem Erweiterungsbau und dem gewaltigen Ausbau der Sammlung der Gegenwartskunst fallen mir besonders die vielen Neuerungen in der Infrastruktur des Hauses auf: neue Sammlungsdatenbank, neue Depots, digitale Röntgenanlage… Für die Alten Meister fundamental ist freilich die im Zuge des Umbaus veränderte räumliche Erschließung der Galerie im zweiten Stock mit dem mittleren Zugang und den zentralen Blickachsen. Nur das vertraute Mittagessen in der Städelschule ist erfreulicherweise gänzlich unverändert geblieben.
In welche Richtung würden Sie die Sammlung gerne weiterentwickeln? Das Städel gehört ja zu den nicht mehr sehr zahlreichen Häusern in Deutschland, die überhaupt noch die Möglichkeit haben, die Sammlung maßgeblich zu erweitern. Es geht dabei nie um „ein Bild mehr“, sondern immer darum, mit einer Neuerwerbung einen neuen Akzent in der Sammlung zu setzen, sie anders zu interpretieren, ein neues Licht auch auf die schon vorhandenen Werke zu werfen. Damit sind wir wieder beim „Meisterwerk“. Die größte Lücke der Altmeister-Sammlung liegt sicherlich in der italienischen Malerei des Früh- und Hochbarock, also dem 17. Jahrhundert. Bei den anderen Schulen ist dieses Goldene Zeitalter sehr gut vertreten, etwa bei den Holländern und Flamen, den Deutschen oder den Franzosen. Auch verfügen wir über herausragende Bestände an Italienern des 14. bis 16. sowie des 18. Jahrhunderts. Bei den italienischen Meistern des 17. Jahrhunderts haben wir, ganz typisch für den Geschmack einer bürgerlichen Sammlung, Nachholbedarf. Und dies obwohl das ein großartiges Kapitel Kunstgeschichte ist. Wir arbeiten daran.
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