Kurze Haare, lockere Hosen: In den Zwanzigern befreit sich die Mode vom engen Korsett der Kaiserzeit – die „Neue Frau“ steht für Emanzipation. Lotte Laserstein macht sie zu ihrem wichtigsten Bildthema.
Deutschland diskutiert über Frauenquoten und den Gender Pay Gap – der Kampf für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt hat in den letzten Jahren neuen Schwung bekommen. Dabei ist der Kern der Debatte nicht neu. Schon vor über 100 Jahren strebten Frauen nach mehr Gleichberechtigung. Das Jahr 1918, in dem Lotte Laserstein in Berlin ihr Abitur ablegte, markiert dabei eine Zeitenwende für die Emanzipation: Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs war die Monarchie gestürzt und die Republik aus dem Boden gestampft worden.
Frauen kämpften für ihre politischen Rechte und erstritten sich 1918 das allgemeine Wahlrecht. Während der Abwesenheit der Männer im Krieg übernahmen sie auch notwendigerweise deren gesellschaftliche Funktionen. So gewannen sie ein stärkeres Selbstverständnis im Familien- und Berufsleben und eine gewisse materielle Unabhängigkeit von Eltern und Ehemännern. Vor allem in den Großstädten entstand ein neuer Typus der modernen Frau – unverheiratet und berufstätig, aber trotzdem noch durchweg schlechter bezahlt als die männlichen Kollegen.
Auch in der Mode machte sich der gesellschaftliche Umbruch bemerkbar: Die sogenannte Neue Frau zeigte sich nicht mehr in körperverhüllenden und streng taillierten Kleidern, sondern funktional in bequemen Outfits, die Bewegungsfreiheit gaben und sogar das Sporttreiben ermöglichten. Bubikopf, Hängerkleid und Zigarette – das weibliche Erscheinungsbild erlangte Kultstatus, wurde Symbol der feministischen Bewegung und Inbegriff eines Zeitgeistes der Goldenen Zwanziger.
Die veränderte Rolle der Frau fand auch Einzug in die Bildwelten Lasersteins, die selbst eine ebensolche emanzipierte Städterin verkörperte. Zwei Jahre nachdem Kunstakademien endlich beiden Geschlechtern die Türen geöffnet hatten, schrieb sie sich an der Berliner Hochschule für die Bildenden Künste ein, wo sie bis 1927 ihr Meisterstudium absolvierte.
Nach der professionellen Ausbildung fokussierte sie sich ganz auf ihre Karriere. In zahlreichen Selbstbildnissen malte sich die Künstlerin fortan mit maskulinem Kurzhaarschnitt, ernstem Blick und weißem Kittel bei der Arbeit an der Staffelei und bediente sich damit einer Darstellungstradition männlicher Künstler, darunter Albrecht Dürer. Indem sie immer wieder auf das Motivrepertoire der Kunstgeschichte zurückgreift, weist sie sich stolz als akademisch gebildete Expertin aus.
Daneben entwickelte sie vor allem in der Gestalt ihrer Freundin Traute Rose neue weibliche Identifikationsbilder. Ihr Lieblingsmodell verkörperte das zeitgenössische Ideal der modernen Frau par exellence: Traute Rose hatte Ausdruckstanz bei Mary Wigmann studiert, ließ sich zur Porträtfotografin ausbilden, war athletisch, rauchte, trug kurze Haare und Marlene-Hosen.
Für Laserstein schlüpfte sie etwa in die Rolle des sportlichen Girls mit Tennisschläger und spiegelt damit die auffallende Sportbegeisterung wider, die in breiten Teilen der Bevölkerung auflebte und viele zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler inspirierte.
Während es in den Jahrzehnten zuvor noch als im hohen Maße unsittlich und gesundheitsschädigend galt, wenn Frauen Sport ausübten, stand körperliche Fitness in den 20er-Jahren für Modernität. Eine schlanke, jugendliche Figur unterstützte zudem die figurbetonten Trends der Modeindustrie.
Oft zeigt Laserstein ihre Muse auch in typischen Posen, die einem Magazin entsprungen sein könnten. Das Zeitschriftenwesen erlebte einen enormen Aufschwung, zahlreiche neue Gesellschafts- und Hochglanzmagazine sprossen aus dem Boden und verbanden Alltagsthemen mit Populärkultur. Mit Grafikillustrationen und der aufkommenden Glamour- und Modefotografie prägten sie entscheidend das moderne Weiblichkeitsbild, das durchaus auch für Irritationen und Uneinigkeit sorgte.
Wie soll die Neue Frau aussehen? Diese Frage scheint nicht nur die Modeindustrie und Printmedien umgetrieben zu haben. Das gesellschaftliche Interesse zeigte sich auch in den aufkommenden Miss-Wahlen: 1927 wurde Hildegard Kwandt zur ersten Miss Germany gekürt. Im Jahr darauf rief die Kosmetikfirma Elida Künstlerinnen und Künstler dazu auf, Das schönste deutsche Frauenporträt zu entwickeln – ein Wettbewerb an dem sich auch Lotte Laserstein erfolgreich beteiligte.
Aktuelle Ausstellungen, digitale Angebote und Veranstaltungen kompakt. Mit dem Städel E-Mail-Newsletter kommen die neuesten Informationen regelmäßig direkt zu Ihnen.