Navigation menu

Der weibliche Blick

Der Akt gilt in der Kunstgeschichte als „Königsdisziplin“. Hat Lotte Laserstein als Künstlerin einen anderen Blick auf jenes Motiv, an dem sich vor allem männliche Künstler seit Jahrhunderten abarbeiten?

Theresa Franke — 7. März 2019

Läuft man durch die Ausstellung „Lotte Laserstein. Von Angesicht zu Angesicht“ begegnet man nicht nur eindrücklichen Porträts, die die Berliner Malerin von ihren Berliner Zeitgenossen geschaffen hat. Unter den Werken aus ihrer Weimarer Schaffenszeit finden sich auch viele Aktdarstellungen, sowohl Zeichnungen als auch Gemälde; neben wenigen Männern vor allem Frauen. Sie wirken ungewohnt „anders“, denkt man. Aber anders als was?

Ausstellungsansicht „Lotte Laserstein. Von Angesicht zu Angesicht“, Foto: Städel Museum, Frankfurt am Main

Ausstellungsansicht „Lotte Laserstein. Von Angesicht zu Angesicht“, Foto: Städel Museum, Frankfurt am Main

Der Akt ist eines der ältesten Genres der Kunst und gilt bis heute als eine der „Königsdisziplinen“. Aus der griechischen Antike kennt man zahlreiche muskulöse und vor allem männliche Körper. Im Mittelalter werden Aktdarstellungen nur bei religiösen Themen geduldet. Ab der Renaissance rückt dann der Mensch in den Fokus des Interesses, auch sein Körper. Das Studium des nackten menschlichen Körpers wird von nun an systematisiert und zum Schwerpunkt der akademischen Ausbildung gemacht. Doch auch weiterhin ist Nacktheit nur in religiösen, später auch bei mythologischen oder historischen Darstellungen erlaubt. Das 19. Jahrhundert lockert diese Einschränkung zunehmend auf: In der Kunst begegnen wir nackten Personen nun auch in Alltagssituationen. Eins ändert sich seit der Renaissance jedoch kaum: Der Großteil der dargestellten nackten Körper gehört Frauen.

Jacopo Palma Vecchio Zwei ruhende Nymphen, um 1510–15, Öl auf Pappelholz, Städel Museum Frankfurt am Main

Palma Vecchio, Zwei ruhende Nymphen, um 1510–15, Öl auf Pappelholz, Städel Museum Frankfurt am Main (aktuell zu sehen in der Ausstellung „Tizian und die Renaissance in Venedig“)

Der weibliche Akt war seit jeher bei männlichen Künstlern beliebt, um ihre Könnerschaft zu zeigen. Bei Künstlerinnen hingegen galt das Zeichnen nach einem lebenden nackten Modell als „unschicklich“. Für männliche Künstler gehörte das Studium am Aktmodell zur akademischen Ausbildung – zu der ihre Kolleginnen lange Zeit keinen Zugang hatten. In Deutschland wurden Frauen erst ab 1919 an den Kunstakademien aufgenommen. Eine dieser ersten Frauen war Lotte Laserstein.

Lotte Laserstein, In meinem Atelier, 1928, Öl auf Holz, 46 × 73 cm, Privatbesitz, Foto: Lotte-Laserstein-Archiv / Krausse, Berlin, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Lotte Laserstein, In meinem Atelier, 1928, Öl auf Holz, Privatbesitz, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019, Foto: Lotte-Laserstein-Archiv Krausse, Berlin

Für viele von Lasersteins Gemälde und Zeichnungen stand ihre Freundin Traute Rose Modell. Ihre enge Verbindung scheint sich in den Bildern widerzuspiegeln, was Spekulationen über ein intimes Verhältnis zwischen den beiden Frauen angeregt hat. Eindeutige Belege lassen sich dazu im Nachlass der Künstlerin jedoch nicht finden. In dem Gemälde In meinem Atelier (1928) zum Beispiel nimmt der nackte Körper Trautes den gesamten Vordergrund ein. Sie liegt auf einem kunstvoll drapierten weißen Laken, den Kopf von den Betrachtenden abgewandt, die Augen geschlossen. Laserstein selbst ist im weißen Malerkittel an der Staffelei zu sehen. Mit einer großen Farbpalette in der Hand scheint sie ganz ins Malen vertieft.

Jacques-Émile Blanche, Junges Mädchen nach dem Maskenball (La petite masque), 1906, Öl auf Leinwand, Städel Museum, Frankfurt am Main

Jacques-Émile Blanche, Junges Mädchen nach dem Maskenball (La petite masque), 1906, Öl auf Leinwand, Städel Museum, Frankfurt am Main

Trautes Pose erinnert an klassische Venusdarstellungen Alter Meister, aber auch an zeitgenössischere Darstellungen: Jacques-Émile Blanche zeigt ein Junges Mädchen nach dem Maskenball (1906), wie es sich gedankenverloren auf einem Diwan räkelt,  Kleid und Maske hat sie achtlos neben sich geworfen. Wir sehen die junge Frau hier in einer intimen Situation, in der sie sich unbeobachtet fühlt. Blanche situiert die Betrachtenden hier also in die Position der ungestörten Beobachter, der Voyeure: Sie können genau hinschauen und müssen nicht befürchten, vom Blick des Mädchens „ertappt“ zu werden.

Laserstein hingegen zeigt hier keine vermeintliche Alltagsszene, in die die Betrachtenden unerlaubterweise mit ihren Blicken eindringen. Sie malt feinfühlig, vermittelt Sinnlichkeit und Nähe und unterscheidet sich in dieser Hinsicht auch von den offensiv sexuell aufgeladenen Darstellungen der Neuen Sachlichkeit, wie sie bei Otto Dix, Christian Schad oder Karl Hubbuch zu finden sind. Die Situation ist bewusst inszeniert: Traute ist ihr Modell und sie selbst ist die Malerin. Beide sind in einem Arbeitskontext zu sehen, der Nacktheit erfordert. Dennoch ist die Szene intim. Auch Traute hat den Blick von den Betrachtenden abgewendet – eher ein Ausdruck der Vertrautheit zwischen den beiden Frauen. Außerdem zeigt Laserstein Trautes Körper nicht idealisiert mit ebenmäßig glatter Haut und weiblichen Rundungen, sondern stellt durch dessen Unebenheit ihr ganzes Können als Aktmalerin unter Beweis. Sich selbst präsentiert sie als arbeitende, geschulte Malerin; ihr Modell als eigenständiges Subjekt, als ihre Freundin.

Lotte Laserstein, Vor dem Spiegel, 1930/31, Öl auf Leinwand, The Bute Collection at Mount Stuart, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Lotte Laserstein, Vor dem Spiegel, 1930/31, Öl auf Leinwand, The Bute Collection at Mount Stuart, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Das Bild Vor dem Spiegel (1930/31) zeigt eine ähnliche Situation: Im Vordergrund steht die nackte Rose vor einem Spiegel, dahinter sieht man Laserstein in ihre Arbeit an der Staffelei vertieft. Durch die Spiegelung gelingt es Laserstein geschickt, Trautes Körper gleichzeitig von vorne und von hinten zu zeigen. Traute steht nah vor dem Spiegel und schaut sich dabei direkt an: Die selbstbewusste junge Frau hat kein Problem mit ihrer Nacktheit, die weder vor sich selbst noch vor den Betrachtenden etwas verbergen möchte. Umgekehrt müssen wir uns auch nicht ertappt fühlen – selbst wenn Traute nur einmal leicht nach links blicken würde, um uns hinter ihrem Spiegel direkt anzusehen.

Lotte Laserstein, Ich und mein Modell, 1929/30
Öl auf Leinwand, 49,5 × 69,5 cm, The Bute Collection at Mount Stuart, © VG Bild-Kunst, Bonn 2018
Foto: Städel Museum

Lotte Laserstein, Ich und mein Modell, 1929/30, Öl auf Leinwand, The Bute Collection at Mount Stuart, © VG Bild-Kunst, Bonn 2018, Foto: Städel Museum, Frankfurt am Main

Nicht umsonst bezeichnete Laserstein in ihren Briefen die Bilder, auf denen Traute und sie zu sehen sind, auch als „unsere Bilder“. Sie weiß, dass zu einem guten Aktbildnis auch ein gutes Modell gehört – ein Subjekt mit einer eigenen Geschichte.


Die Autorin Theresa Franke arbeitet in der Presseabteilung des Städel Museums.

Die Ausstellung „Lotte Laserstein. Von Angesicht zu Angesicht“ läuft noch bis 17. März 2019 im Städel Museum.

Diskussion

Fragen oder Feedback? Schreiben Sie uns!

Mehr Stories

  • Lotte Laserstein, Liegendes Mädchen auf Blau, um 1931, Öl auf Papier, 69 × 93 cm, Privatbesitz, Courtesy DAS VERBORGENE MUSEUM, Berlin, Foto: Privatbesitz, Courtesy DAS VERBORGENE MUSEUM, Berlin, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019
    Lasersteins Frauenbilder

    Der Frauen neue Kleider

    Kurze Haare, lockere Hosen: In den Zwanzigern befreit sich die Mode vom engen Korsett der Kaiserzeit – die „Neue Frau“ steht für Emanzipation. Lotte Laserstein macht sie zu ihrem wichtigsten Bildthema.

  • Kunst|Stücke

    Lotte Laserstein: Russisches Mädchen mit Puderdose

    Sammlungshighlights des Städel Museums in unterhaltsamen und informativen Filmen – das sind die Kunst|Stücke. Entdecken Sie spannende Details zu Kunstwerken aus ungewöhnlichen Blickwinkeln in unter zwei Minuten. Im Fokus dieser Folge steht Lotte Lasersteins Werk „Russisches Mädchen mit Puderdose“ (1928).

  • Lotte Laserstein an der Staffelei, ca. 1955, Berlinische Galerie
    Laserstein im Exil

    Neuanfang in Schweden

    Gerade hatte sie sich als junge Künstlerin etabliert – da beendete der Nationalsozialismus Lotte Lasersteins Karriere: Im schwedischen Exil musste sie sich alles wieder aufbauen. Über einen Neubeginn in der Fremde.

  • Lotte Laserstein, Abend über Potsdam, 1930, Öl auf Holz, 111 x 205,7 cm, Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin, Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Roman März © VG Bild-Kunst, Bonn 2018
    Lasersteins Abend über Postdam

    Zeitenwende

    Mitten in der Weltwirtschaftskrise malte Lotte Laserstein 1930 ihr Hauptwerk „Abend über Potsdam“. Wie entstand das Gemälde? Und was sagt es über die Künstlerin und ihre Zeit aus?

  • Lotte Laserstein (1898–1993); Russisches Mädchen mit Puderdose, 1928; Öl auf Holz, 31,7 x 41 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main; Foto: Städel Museum – ARTOTHEK; © VG Bild-Kunst, Bonn
    Lasersteins Karrierestrategien

    Selbst ist die Künstlerin!

    Eine Karriere lag ihr als Frau nicht gerade zu Füßen. Trotzdem brachte es Lotte Laserstein zu beachtlichem Erfolg und finanzieller Unabhängigkeit – mit Strategien, die 100 Jahre später noch genauso wirksam sind.

Newsletter

Wer ihn hat,
hat mehr vom Städel.

Aktuelle Ausstellungen, digitale Angebote und Veranstaltungen kompakt. Mit dem Städel E-Mail-Newsletter kommen die neuesten Informationen regelmäßig direkt zu Ihnen.

Beliebt

  • Städel | Frauen

    Marie Held: Kunsthändlerin!

    Teil 5 der Porträt-Reihe „Städel | Frauen“.

  • Fantasie & Leidenschaft

    Eine Spurensuche

    Bei der Untersuchung von über 100 italienischen Barockzeichnungen kamen in der Graphischen Sammlung bislang verborgene Details ans Licht.

  • Städel Mixtape

    Kann man Kunst hören?

    Musikjournalistin und Moderatorin Liz Remter spricht über Ihre Arbeit und den Entstehungsprozess des Podcasts.

  • Städel | Frauen

    Künstlerinnen-Netzwerke in der Moderne

    Kuratorin Eva-Maria Höllerer verdeutlicht, wie wichtig Netzwerke für die Lebens- und Karrierewege von Künstlerinnen um 1900 waren und beleuchtet deren Unterstützungsgemeinschaften.

  • Muntean/Rosenblum

    Nicht-Orte

    Anonyme Räume, flüchtige Begegnungen: Kuratorin Svenja Grosser erklärt, was es mit Nicht-Orten auf sich hat.

  • Städel Mixtape

    #42 Albrecht Dürer - Rhinocerus (Das Rhinozeros), 1515

    Ein Kunstwerk – ein Soundtrack: Der Podcast von Städel Museum und ByteFM.

  • Alte Meister

    Sammler, Stifter, Vorbild

    Sammlungsleiter Bastian Eclercy und Jochen Sander im Interview zum neuen Stifter-Saal.

  • ARTEMIS Digital

    Digitales Kunsterlebnis trifft wegweisende Demenz-Forschung

    Wie sieht eine digitale Anwendung aus, die Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen zeit- und ortsungebunden einen anregenden Zugang zur Kunst ermöglicht? Ein Interview über das Forschungsprojekt ARTEMIS, über Lebensqualität trotz Krankheit und die Kraft der Kunst.

  • Städel Dach

    Hoch hinaus

    Die Architekten Michael Schumacher und Kai Otto sprechen über Konzept, Inspirationen und die Bedeutung des Städel Dachs für Besucher und die Stadt.

  • Gastkommentar

    Kunst und die innere Uhr mit Chronobiologe Manuel Spitschan

    Was sieht ein Chronobiologe in den Werken der Städel Sammlung?

  • Städel Digital

    Städel Universe: Von der Idee zum Game

    Im Interview gibt Antje Lindner aus dem Projektteam Einblicke in die Entstehung der hybriden Anwendung.

  • Engagement

    Die „Causa Städel“

    Was an Städels letztem Willen so besonders war und worauf man heute achten sollte, wenn man gemeinnützig vererben möchte.