Mit 18 schuf Pablo Picasso seine erste Druckgrafik. Das Medium mit seinen unendlichen Spielarten ließ den Autodidakten nie mehr los. Das Städel gibt nun einen Einblick in seine druckgrafischen Experimente.
Schon im Kindesalter legte Pablo Picasso in zahlreichen Zeichnungen und einigen Gemälden Zeugnis seiner künstlerischen Begabung ab – womit sich der Mythos seiner Genialität schon zu Lebzeiten begründete. Seine erste Radierung fertigte er 1899, im Alter von 18 Jahren an. Die Arbeit, von der nur ein einziger Abzug bekannt ist, sollte vorerst ein alleinstehender Versuch bleiben.
Erst fünf Jahre später, nachdem er sich endgültig in Paris niedergelassen hatte, wendete sich der junge spanische Künstler erneut und nun intensiv der Druckgrafik zu. Picasso hatte 1904 ein kleines Studio in Montmartre bezogen, im legendären Bateau-Lavoir, einem heruntergekommenen Ateliergebäude. Schnell siedelte sich hier ein illustrer Freundeskreis an, die so genannte bande Picasso, zu der unter anderem Amedeo Modigliani, Juan Gris, Guillaume Apollinaire, Jean Cocteau und Henri Matisse gehörten. Der von ihnen gepflegte bohème-Lebensstil spiegelt sich in den ersten Radierungen Picassos wider.
Pablo Picasso, Salomé, 1905, Abzug 1913, 1962, Linolschnitt in fünf Farben von zwei Platten: Grau, Gelb, Rot, Hellblau und Violett auf Arches-Velinpapier, 626 x 444 mm (Blatt), Städel Museum, Frankfurt am Main, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019
1913 kaufte der Pariser Kunsthändler Ambroise Vollard von Picasso 14 Platten aus den Jahren 1904 bis 1906 auf und verlegte sie als Serie Les Saltimbanques. Bereits 1914 erwarb das Städel Museum eine vollständige Folge für seine Sammlung, die nun auch die Ausstellung „Picasso. Druckgrafik als Experiment“ eröffnet. Sie markiert den Übergang von Picassos Blauer zur Rosa Periode: Die Darstellungen von Armut und Trauer werden von Szenen aus der Artistenwelt abgelöst. In diesen Radierungen schildert Picasso technisch virtuos das soziale Außenseitertum der Akrobaten und Harlekine, dies nun jedoch ganz im Sinne des Bohemiens mit einem neuen Selbstbewusstsein. Anhand der Serie Les Saltimbanques lässt sich ablesen, wie sich Picasso das druckgrafische Medium erobert: Ist seine erste, großformatige Radierung Le Repas Frugal (1904) meisterhaft mit fein schraffierten Flächen ausgearbeitet, gestaltete er ein Jahr später in seinem Werk La Toilette de la mère Raum und Fläche allein durch die Zeichnung der Konturlinien.
Pablo Picasso, Le Repas frugal (Das karge Mahl), 1904, Abzug 1913 aus der Folge „Les Saltimbanques“, Radierung auf Van Gelder-Velinpapier, 610 x 466 mm (Blatt); 463 x 377 mm (Platte), Städel Museum, Frankfurt am Main, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019
Wahrscheinlich wurde Picasso von seinem Freund und Künstlerkollegen Ricardo Canals in die Technik des Tiefdrucks eingeführt, zu der auch die Radierung gehört. Denn Druckgrafik war kein Bestandteil von Picassos akademischer Ausbildung gewesen. Für sein weiteres druckgrafisches Schaffen sollten immer wieder professionelle Drucker von Bedeutung sein. Sie vermittelten dem wissbegierigen Künstler neue Verfahren, die dieser sich daraufhin zu eigen machte und auf seine ganz eigene Weise anwendete.
Pablo Picasso, Minotaure aveugle guidé par une Fillette dans la Nuit (Der blinde Minotaurus von einem Mädchen durch die Nacht geführt), 1934, Radierung und Aquatinta auf Vergépapier, 24,7 x 34,7 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main, Graphische Sammlung, Foto: Städel Museum, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019
Zwischen 1930 und 1937 entstand Picassos druckgrafisches Hauptwerk, die insgesamt 100 Blatt umfassende Suite Vollard. Die Entstehung der Serie ging einher mit einem Einschnitt im Leben des 50-Jährigen: der Trennung von seiner Ehefrau Olga Kokhlova und seiner Beziehung zur jungen Marie-Thérèse Walter. Die Begegnung mit dem Pariser Drucker Roger Lacourière führte dazu, dass sich Picasso in dieser Zeit neue Techniken des Tiefdrucks aneignete, wie die Aquatinta, das Mezzotinto oder das Zuckeraussprengverfahren. Deren malerisch-flächige Effekte kombinierte er kühn mit dem feinen Lineament der Radierung. Es entstanden so Blätter starker emotionaler Ausdruckskraft.
Mehr als 40 Jahre lang arbeitete Picasso mit verschiedenen Varianten des Tiefdrucks. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, als die Begegnung mit dem Pariser Drucker Fernand Mourlot ein neue Begeisterung entfachte: die Lithografie. Für über ein Jahrzehnt dominierte diese Flachdrucktechnik daraufhin sein grafisches Werk. Dabei experimentierte Picasso mit völlig unüblichen Werkzeugen – etwa Schaber oder Kratzeisen – oder nutzte unkonventionelle Lösungsmittel zur Vorbereitung des Druckprozesses. Mourlot erinnerte sich lebhaft, wie diese unortodoxe Vorgehensweise die Fähigkeiten seiner Kunstdrucker auf die Probe stellte: „Er hörte sehr gut zu, dann tat er genau das Gegenteil dessen, was man ihm beigebracht hatte und es hat funktioniert.“
Pablo Picasso, Buste Modern Style (Jugendstil-Büste), 1949, Pinsellithografie mit Gouache (Umdruck) auf Arches-Velinpapier, 655 x 498 mm (Blatt), 642 x 496 mm (Darstellung), Städel Museum, Frankfurt am Main, ©VG Bild-Kunst, Bonn 2019
Dass es sich bei aller Experimentierfreude des Künstlers jedoch nicht um reinen Wagemut handelte, bewies dieser noch im hohen Alter. 1954 lernte Picasso den auf Linolschnitte spezialisierten Drucker Hidalgo Arnéra kennen. Mit über 70 Jahren vertiefte sich der Künstler in die Technik und verhalf ihr zu einer ungekannten Blüte – in nur zehn Jahren entstanden mehr als 200 Werke. Besonders interessierte ihn das Prinzip der „verlorenen Platte“: Hierbei wird eine einzige Druckplatte kontinuierlich weiter geschnitten, und die Zwischenzustände werden in verschiedenen Farben auf denselben Bogen Papier übereinander gedruckt. Die Linoldrucke sind somit das Ergebnis höchster Präzision und Konzentration – und sein druckgrafisches Oeuvre ein Beweis seiner genialen Kunst, der Picasso willentlich „alles andere geopfert hat“.
Ausstellungsansicht „Picasso. Druckgrafik als Experiment“. Foto: Städel Museum, Frankfurt am Main
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