Während des Spanischen Bürgerkriegs schuf Picasso sein erstes politisches Werk – eine Radierfolge. Ursprünglich als Parodie auf Franco angelegt, nimmt die Bildgeschichte nach „Guernica“ eine völlig neue Form an.
Von 1936 bis 1939 wütete in Spanien der Bürgerkrieg. Faschistische Militärs unter General Franco kämpften – unterstützt von Portugal, Italien und dem nationalsozialistischen Deutschland – gegen die demokratisch gewählte, sozialistische Regierung Spaniens.
Mitten in den Kriegswirren, Anfang des Jahres 1937, suchte eine Gruppe spanischer Delegierter Pablo Picasso in seinem Pariser Atelier auf. Man bat den Künstler um einen Beitrag für den spanischen Pavillon auf der kommenden Weltausstellung, die noch im selben Jahr in Paris stattfinden sollte. Dass die Wahl auf Picasso fiel, den international bekanntesten Künstler Spaniens, verwundert nicht. Bereits ein Jahr zuvor war er zum ehrenamtlichen Direktor des Museo del Prado ernannt worden. Eines war Picasso zu Beginn des Jahres 1937 jedoch nicht: ein ausgesprochen politischer Künstler. Und so versuchte er auch den Wunsch der spanischen Vertreter nach einem repräsentativen künstlerischen – einem politischen – Statement zu umgehen. Statt mit einem großformatigen Gemälde begann Picasso mit der Arbeit an einem Radierzyklus, der stark an einen Comicstrip erinnert.
Traum und Lüge Francos, so der Titel des Zyklus‘, besteht aus insgesamt 18 Szenen, die sich auf zwei Blätter verteilen. Dass durch den Druck die Darstellung letztlich seitenverkehrt erscheinen würde, beachtete Picasso nicht, beziehungsweise bezog er diese Eigenschaft der Druckgrafik bewusst in seine Werkkonzeption ein, und so verläuft die Bildfolge entgegen der Leserichtung von oben rechts nach unten links. Sie orientiert sich an einer in Spanien etablierten Form der politischen Kunst, den erzählerischen Bilderbogen der so genannten Aleluyas. Picasso selbst berief sich wiederholt auf Goyas Radierfolge Los desastres de la guerra (1812–1820) als Vorbild für seine Arbeit.
Die verschiedenen Bildsequenzen zeigen eine monsterhaft verzerrte Franco-Karikatur, die auf ihrem Eroberungszug durch Spanien Verwüstung und Unheil anrichtet. Die lächerliche General-Figur selbst muss aber auch immer wieder Niederlagen im Kampf gegen einen majestätischen Stier – ein Sinnbild für das stolze spanische Volk – erleiden. Picassos ursprünglicher Entwurf sah vor, die einzelnen Bildfelder auseinanderzuschneiden und als Postkarten im Pavillon zu verkaufen. Diese Idee sollte er jedoch nie verwirklichen.
Am 26. April 1937 wurde die baskische Kleinstadt Gernika dem Erdboden gleichgemacht. Bei den Luftangriffen der nationalsozialistischen Legion Condor und des italienischen Corpo Truppe Volontarie kamen mehrere hundert Mensch ums Leben, fast ausschließlich Zivilisten. Picasso konnte sich dem Grauen der kriegerischen Ereignisse nicht mehr entziehen. Unter dem Eindruck dieser Zerstörung machte er sich umgehend an die Arbeit an seinem Monumentalwerk Guernica (Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid) und vollendete es innerhalb kürzester Zeit. Picasso, der bis dahin politisch zurückhaltende Künstler, hatte damit die bis heute wohl bekannteste Ikone gegen Kriegsverbrechen geschaffen.
Nach Vollendung des Gemäldes setzte Picasso seine Arbeit an den beiden Radierplatten von Traum und Lüge Francos fort. Dabei änderte er die Thematik: An die Stelle der grotesken Karikatur des Generals tritt in den letzten Bildfeldern der zweiten Platte die verzweifelte Gestalt einer weinenden Frau und ihres toten Kindes. Es handelt sich um ein Motiv aus Guernica, das Picasso zur Schilderung der grausamen Schrecken des Krieges entwickelt hatte.
Die Radierungen von Traum und Lüge Francos bilden somit eine Klammer um Guernica, sind gleichzeitig ein Vorher und Naher: Picasso hat mit der zunächst eher humoristischen Kritik in Form einer Parodie das Gemälde vorbereitet und im Nachgang sein eigenes Schaffen reflektiert. Die Radierungen werden dabei nicht nur zum Zeugnis eines künstlerischen Prozesses: Traum und Lüge Francos ist Picassos erstes politisches Werk, das gleichzeitig den Weg seiner eigenen Politisierung nachvollziehbar macht.Nachdem Picasso die Radierplatten von Traum und Lüge Francos am 7. Juni 1937 fertiggestellt hatte, verfasste er ein Spottgedicht, das in surrealistischer Manier Worte des Ekels, des Grauens und der Trauer aneinanderreiht: „Schreie von Kindern, Schreie von Frauen, Schreie von Vögeln, Schreie von Blumen, Schreie von Holzstücken und Steinen, Schreie von Ziegelsteinen, Schreie von Möbeln, Schreie von Betten, Stühlen, Gardinen, Töpfen, Katzen, Papieren…“
Die zwei Radierungen fügte er mit einem Druck des handgeschriebenen Gedichts in einem selbst gestalteten Umschlag zu einer Mappe zusammen. Statt, wie ursprünglich geplant, einzelner Postkarten verkaufte er dieses komplexe Gesamtwerk im spanischen Pavillon auf der Weltausstellung. Den Erlös spendete er zugunsten der spanischen Republik.
Von dem Mappenwerk mit blauem Umschlag produzierte Picasso 850 Exemplare. Eines davon hat das Städel Museum nun anlässlich der aktuellen Picasso-Ausstellung als großzügige Schenkung erhalten. In der Ausstellung wird es ergänzt um die originalen Druckplatten des Radierzyklus‘ aus dem Kölner Museum Ludwig und bringt uns so den spannenden Prozess von Picassos erstem politischem Werk näher.
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