Navigation menu

Heimlicher Held

Dass die Renaissance in Venedig sich nicht nur um den Großmeister Tizian drehte, zeigt die aktuelle Ausstellung im Städel. Kurator Bastian Eclercy stellt uns einen heimlichen Helden der Schau vor.

Bastian Eclercy — 28. März 2019

Bassano? Das ist zunächst einmal eine kleine Stadt nordwestlich von Venedig, einst Teil des Herrschaftsgebiets der venezianischen Republik. Seit dem 20. Jahrhundert heißt sie Bassano del Grappa (und dies nicht etwa nach den Getränkevorlieben ihrer Bewohner, sondern nach einem nahegelegenen Berg, dem Monte Grappa). Den Namen dieses beschaulichen Städtchens nahm aber auch sein bedeutendster Bewohner im Zeitalter der Renaissance an: der Maler Jacopo dal Ponte, alias Jacopo Bassano (um 1510–1592).

Jacopo Bassano, Bildnis des Bernardo Morosini, 1542, Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister

Jacopo Bassano, Bildnis des Bernardo Morosini, 1542, Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister

Aus der Provinz ins Zentrum und zurück

Bassano ist der talentierteste Spross einer Malerdynastie, die von seinem Vater – und frühen Lehrer – Francesco bis zu seinen vier Söhnen reicht, die Jacopos Werkstatt später erfolgreich fortführen sollten. Etwa zwanzig Jahre jünger als Tizian, kommt er aus der Provinz nach Venedig, dem Hotspot der Kunstszene in Oberitalien. Zwar zieht er schon 1539 wieder in seine Heimatstadt zurück und lässt sich dort dauerhaft nieder, doch bestimmt Bassano von dort aus die venezianische Malerei ganz wesentlich mit. Seine Auftraggeber stammen nicht nur aus Venedig, sondern auch vom italienischen Festland. Die Nähe und gleichzeitige Distanz zur Lagunenstadt kommen ihm offenbar besonders entgegen.

Jacopo Bassano, Pastorale Szene, um 1560, Madrid, Museo Nacional Thyssen-Bornemisza

Jacopo Bassano, Pastorale Szene, um 1560, Madrid, Museo Nacional Thyssen-Bornemisza

Auftritt eines Vergessenen

Zu Unrecht ist uns sein Name heute weit weniger geläufig als diejenigen der „großen Drei“:  des weltgewandten Alleskönners Tizian, des exzentrisch-düsteren Tintoretto und des virtuos-eleganten Veronese. Gemessen an der Kühnheit und Qualität seiner Malerei müsste Jacopo Bassano eigentlich der rechtmäßige Vierte im Bunde sein. In der Ausstellung Tizian und die Renaissance in Venedig hat er nun mit acht Gemälden und drei Zeichnungen, darunter etliche Hauptwerke, endlich seinen großen Auftritt – auf Augenhöhe mit den berühmten Zeitgenossen.

$extendedTitle

Johannes in der Wildnis

Die Sprengkraft und Raffinesse von Bassanos Malerei wird anschaulich an einem seiner spektakulärsten Gemälde. 1558 ließ ein gewisser Bartolomeo Testa in der Franziskanerkirche von Bassano del Grappa eine Kapelle mit einem Altarbild ausstatten, mit dem er Jacopo beauftragte. Es hat sich im dortigen Museo Civico erhalten. Sowohl das Querformat als auch das Thema sind für ein Altarbild ziemlich ungewöhnlich.

Jacopo Bassano, Der heilige Johannes der Täufer in der Wildnis, 1558, Bassano del Grappa, Museo Civico

Jacopo Bassano, Der heilige Johannes der Täufer in der Wildnis, 1558, Bassano del Grappa, Museo Civico

In dem Gemälde wird Johannes der Täufer in der Wildnis vom göttlichen Licht getroffen und auf diese Weise zu seiner Aufgabe als Vorläufer Christi berufen. Diese seltene Darstellung kombiniert zwei Stellen in den Evangelien. Im Johannes-Prolog heißt es über den Täufer: „Ein Mensch trat auf, von Gott gesandt; sein Name war Johannes. Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kommen. Er war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht“ (Joh 1,6–8). Gottes Auftrag an Johannes bestand also darin, für Christus, das Licht, Zeugnis zu geben. Dass ihn dieser Auftrag in der Wildnis ereilte, geht aus dem Lukas-Evangelium hervor: „Da erging das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias, in der Wildnis“ (Lk 3,2).

Bassano verortet die Berufung in einer unwirtlichen Landschaft aus Felsen und knorrigen Bäumen, die fast gänzlich in Brauntönen gehalten ist. Die kantigen, in Diagonalen gesetzten Formen laden die Atmosphäre dramatisch auf. Links öffnet sich das Dickicht und gibt den Ausblick in die Weite frei. Während hier das natürliche Licht zum Vorschein kommt, fällt von rechts oben in feinen hellen Strahlen das göttliche Licht ein und trifft auf Johannes, den ausgemergelten Eremiten. Er sitzt auf einem Felsen, wird aus der Lektüre gerissen und muss sich ob der Wirkung des plötzlichen Lichtwunders mit dem rechten Arm nach hinten abstützen, um die Balance zu wahren. Sein Charakterkopf mit wilder Haar- und Barttracht zeichnet sich vor dem blauen Himmel ab. In der visionären Schau Gottes blickt er dem Licht entschlossen entgegen, wodurch er bekundet, dass er seine Aufgabe annimmt.

Jacopo Bassano, Der heilige Johannes der Täufer in der Wildnis, Detail, 1558, Bassano del Grappa, Museo Civico

Jacopo Bassano, Der heilige Johannes der Täufer in der Wildnis, Detail, 1558, Bassano del Grappa, Museo Civico

Bassano und die Folgen

Noch während Bassano mit seiner Kunst in Venedig wirkt, zieht es den kretischen Ikonenmaler El Greco 1567 in die Stadt. Dort erlernt er die westliche Malereitradition und knüpft dabei unter anderem an die expressive Inbrunst von Bassanos Kunst an, die später für El Grecos eigenen Stil wichtig werden sollte. Und etwas später wird noch ein anderer Revolutionär der Kunstgeschichte von Bassano lernen: Caravaggio. Ihn dürften vor allem die Hell-Dunkel-Effekte in dessen Malerei, aber auch dessen ausgeprägte Neigung zum Genrehaft-Alltäglichen interessiert haben. Schauen wir uns etwa Bassanos großformatige Anbetung der Hirten aus Rom an: Hier rückt die Heilige Familie beinahe an den Rand des Geschehens. Im Mittelpunkt stehen die derben Gestalten der Hirten mit ihren zerschlissenen Gewändern – und den schmutzigen Fußsohlen, die später für Caravaggio als typisch gelten werden.

Jacopo Bassano, Anbetung der Hirten, um 1555-60, Rom, Galleria Corsini

Jacopo Bassano, Anbetung der Hirten, um 1555-60, Rom, Galleria Corsini

Farbexperimente

Bassano war aber auch einer der großen Zeichner der venezianischen Renaissance und ein reichlich ungewöhnlicher. Als erster und im 16. Jahrhundert einziger Künstler in Venedig und im Veneto experimentierte er mit der Verwendung mehrerer farbiger Kreiden – üblich waren bis dahin nur Schwarz und Rot. Sein Stil ist unverkennbar: Mit schwarzer Kreide oder Kohle schuf er eine hochgradig expressive, geradezu ungestüme Linienzeichnung und kolorierte diese flächig mit verschiedenen Buntfarben.  Zeichen- und Malprozess näherten sich hier in vorher nicht dagewesener Form einander an.

Jacopo Bassano, Studie für eine liegende Figur, um 1560-70 (?), Frankfurt am Main, Städel Museum, Graphische Sammlung

Jacopo Bassano, Studie für eine liegende Figur, um 1560-70 (?), Frankfurt am Main, Städel Museum, Graphische Sammlung

Eine Figurenstudie in der Graphischen Sammlung des Städel Museums steht dafür beispielhaft. Der Jüngling, der sich entspannt zurücklehnt, ist in wild bewegtem Duktus mit immer wieder neu ansetzenden, sich überlagernden und verdichtenden Linien gezeichnet, die teilweise zu Schattenpartien verwischt sind. Gesicht und Arme werden nur flüchtigst angedeutet, mancher Bereich verbleibt im Amorphen. Aus diesem schwarzen Liniengespinst leuchten das Orange des Hemdes und das Gelb der Hose hervor, die mit der Kreide flächig, aber so dünn aufgetragen sind, dass Blattgrund und Linien durchscheinen. Im letzten Schritt hat Bassano noch mit Weiß die Lichter gesetzt.

Solche Zeichnungen mit mehrfarbigen Kreiden („disegni coloriti“) werden schon im 16. Jahrhundert als Pastelle bezeichnet. So stellen Bassanos koloristische Experimente einen bemerkenswerten Sonderweg in der frühen Geschichte des Pastells dar, das im 18. Jahrhundert zur Blüte gelangen sollte.

Jacopo Bassano, Studie für eine Gefangennahme Christi, 1568, Paris, Musée du Louvre, Département des Arts Graphiques

Jacopo Bassano, Studie für eine Gefangennahme Christi, 1568, Paris, Musée du Louvre, Département des Arts Graphiques


Der Autor Dr. Bastian Eclercy hat die Ausstellung  kuratiert und empfiehlt allen (neuen) Bassano-Liebhabern zur Vertiefung den reich bebilderten Katalog.

Die Ausstellung „Tizian und die Renaissance in Venedig“ läuft noch bis 26. Mai 2019 im Städel Museum.

Diskussion

Fragen oder Feedback? Schreiben Sie uns!

Mehr Stories

  • Jacopo de‘ Barbari, Ansicht von Venedig, 1498–1500, Holzschnitt auf 6 zusammengefügten Blättern, 137 × 284 cm, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Graphische Sammlung
    Das alte Venedig

    La Serenissima!

    Die Glänzende – so nannte man zu Tizians Zeit die stolze Stadt auf dem Wasser. Und stolz waren die Venezianer nicht nur auf das schöne Licht, sondern auch auf ihr politisches System, ihre Handels- und Innovationskraft.

  • Tizian, Knabe mit Hunden in einer Landschaft, um 1570–76, Rotterdam, Museum Boijmans Van Beuningen
    Tizian

    Meister der Pinselstriche

    Etwa 70 Jahre bestimmte Tizian das Kunstgeschehen in Venedig. Über einen Künstler, der sich in seiner langen und erfolgreichen Schaffenszeit immer wieder neu erfunden hat.

  • Ausstellungsansicht „Tizian und die Renaissance in Venedig“, Städel Museum, Frankfurt am Main, Foto: Städel Museum
    Tizian und die Renaissance in Venedig

    Stadt der Individualisten

    Tizian ist der Star der neuen Städel Ausstellung – aber keineswegs der einzige Maler, den es zu entdecken gibt. Kurator Bastian Eclercy im Gespräch über eine Zeit, als Venedig „the place to be“ war.

  • Sassoferrato, Maria, das Kind anbetend, um 1640-60 (?), Frankfurt, Städel Museum (Zustand nach der Restaurierung)
    Restaurierung von Sassoferrato

    Meisterwerk ans Licht gekommen

    Seit Menschengedenken fristete dieses Gemälde ein Schattendasein im Depot – dabei ist das Madonnenbild Sassoferratos ein Meisterwerk des Barock. Seine brillanten Farben hat nun eine Restaurierung zutage gefördert.

Newsletter

Wer ihn hat,
hat mehr vom Städel.

Aktuelle Ausstellungen, digitale Angebote und Veranstaltungen kompakt. Mit dem Städel E-Mail-Newsletter kommen die neuesten Informationen regelmäßig direkt zu Ihnen.

Beliebt

  • Honoré Daumier

    Zur Ernsthaftigkeit der Komik

    Wie Karikaturen funktionieren und warum Daumier für sie ins Gefängnis kam.

  • Der Film zur Ausstellung

    Honoré Daumier. Die Sammlung Hellwig

  • Die Ausstellungen im Städel

    Highlights 2024

    Unser Ausblick auf 2024: Freut euch auf faszinierende Werke von Honoré Daumier und Käthe Kollwitz, lernt die Städel / Frauen kennen, entschlüsselt die Bildwelten von Muntean/Rosenblum, erlebt die Faszination italienischer Barockzeichnungen und reist zurück in Rembrandts Amsterdam des 17. Jahrhunderts.

  • Städel Mixtape

    #34 Jan van Eyck – Lucca-Madonna, ca. 1437

    Ein ruhiger Moment mit Kerzenschein, ihr seid so vertieft, dass ihr alles um euch herum vergesst: Vor rund 600 Jahren ging es den Menschen ähnlich, wenn sie vor Jan van Eycks „Lucca-Madonna“ gebetet haben. In diesem STÄDEL MIXTAPE geht es um das Andachts-Bild eines raffinierten Geschichtenerzählers. 

  • Städel | Frauen

    Louise Schmidt: Bildhauerin!

    Teil 2 der Porträt-Reihe „Städel | Frauen“.

  • ARTEMIS Digital

    Digitales Kunsterlebnis trifft wegweisende Demenz-Forschung

    Wie sieht eine digitale Anwendung aus, die Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen zeit- und ortsungebunden einen anregenden Zugang zur Kunst ermöglicht? Ein Interview über das Forschungsprojekt ARTEMIS, über Lebensqualität trotz Krankheit und die Kraft der Kunst.

  • Gastkommentar

    Kunst & Schwarze Löcher mit Astrophysikerin Silke Britzen

    Was sieht eine Astrophysikerin in den Werken der Städel Sammlung? In diesem Gastkommentar eröffnet Silke Britzen (Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn) ihre individuelle Sichtweise auf die Kunstwerke im Städel Museum.