Hinter den Kulissen stehen sie seit Wochen bereit. Jetzt glänzt die deutschlandweit erste Ausstellung zur Skulptur im Impressionismus endlich auch vor Publikum. Im Interview sprechen die Kuratoren über eine Sonderschau in vieler Hinsicht.
Der Aufbau und die geplante Eröffnung von EN PASSANT fielen genau mit dem Beginn der Corona-Krise zusammen. Wie haben Sie diese letzten Wochen als Kuratoren der Ausstellung erlebt?
Eva Mongi-Vollmer: Es war eine seltsame Situation. Der Aufbau unserer Ausstellung fiel in eine Zeit der Ungewissheit. Das ganze Ausmaß der Lage war noch nicht bekannt. Es wurde uns jedoch schlag artig bewusst, als sich die Lombardei, aus der zahlreiche Leihgaben für unsere Ausstellung kommen sollten, plötzlich zu einem Epizentrum der Krise entwickelte. Wir haben uns Sorgen um unsere dortigen Kolleginnen und Kollegen an den Museen gemacht und gleichzeitig gehofft, dass die Leihgaben das Land noch verlassen durften.
Alexander Eiling: Am Ende unseres Ausstellungsaufbaus stand fest, dass wir das Museum vorübergehend schließen werden und es keine Eröffnung geben würde. Das war für das gesamte Team frustrierend – hinter der Ausstellung stecken immerhin über zwei Jahre intensive Arbeit – aber natürlich verständlich. Unmittelbar nach den letzten Handgriffen sind wir ins Home Office gegangen. Wir haben aber relativ schnell Kontakt mit allen Leihgebern aufgenommen, und um eine Verlängerung der Leihfrist gebeten.
Die Ausstellung ist fürs Städel ungewöhnlich geworden. Können Sie einen kleinen Einblick geben?
Mongi-Vollmer: Die Ausstellung konzentriert sich auf das Medium der Skulptur, zeigt aber auch immer wieder Gegenüberstellungen mit Gemälden, Zeichnungen und Druckgraphiken. Darüber hinaus haben wir bei der Präsentation darauf geachtet, wie die Künstler zu Lebzeiten ihre Skulpturen inszeniert haben und unsere Ausstellungsarchitektur, z. B. die Höhe der Sockel und die Beleuchtung daraufhin ausgerichtet. Im Ergebnis ist ein spannungsreicher Dialog zwischen den künstlerischen Techniken entstanden, der unsere Vorstellung vom Impressionismus deutlich erweitert.
Monet, Manet, Renoir, diese impressionistischen Künstler und ihre Gemälde sind weltbekannt. Impressionismus in der Skulptur aber dürfte nur wenigen ein Begriff sein. Woran liegt das?
Eiling: Malerei, Zeichnung und Druckgrafik sind die in der öffentlichen Wahrnehmung bestimmenden Medien des Impressionismus. Die Skulptur führt hingegen auch in der Forschung ein Nischendasein. Das ist nicht verwunderlich, da nur etwa 1% der Exponate auf den berühmten acht Ausstellungen der Impressionisten Skulpturen waren. Genauer gesagt 17 Stück. Den Löwenanteil dieser Werke würde man auch nicht als impressionistisch bezeichnen. Sie stammen von dem neoklassizistischen Bildhauer Auguste-Louis-Marie Ottin. Die weiteren Werke hatten Edgar Degas und Paul Gauguin beigesteuert.
Wie kam es zu der Idee, diesem „blinden Fleck“ der Kunstgeschichte eine eigene Ausstellung zu widmen? Und wie haben Sie sich als Kuratorin und Kurator dem Thema genähert?
Mongi-Vollmer: Die Grundidee kam von dem Direktor unseres Hauses, Philipp Demandt, der in seiner vorherigen Tätigkeit eine Ausstellung zu einem Künstler kuratiert hat, der auch in unserem Projekt eine wichtige Stellung einnimmt: Rembrandt Bugatti. Bugattis skizzenhafte und dynamische Modellierweise, mit der er vor allem Tierplastiken geschaffen hat, führte uns im gemeinsamen Gespräch zur allgemeineren Fragestellung, ob es so etwas wie impressionistische Skulptur gibt. Bislang hatte sich keine Ausstellung speziell mit diesem Thema beschäftigt.
Eiling: Wir sind daraufhin auf Spurensuche nach Künstlern gegangen, die zu Lebzeiten als impressionistische Bildhauer bezeichnet wurden. Hierzu haben wir in zeitgenössischen Publikationen und Ausstellungsbesprechungen geforscht und sind auf fünf Künstler gestoßen, die nun im Zentrum unserer Ausstellung stehen: Edgar Degas, Auguste Rodin, Medardo Rosso, Paolo Troubetzkoy und der bereits erwähnte Rembrandt Bugatti. Sie alle wurden um 1900 als impressionistische Bildhauer bezeichnet. Im Unterschied zur Malerei setzte sich die Stilbezeichnung für Skulpturen jedoch nicht durch.
In der impressionistischen Malerei geht es viel um Sinneseindrücke, die Licht, Farbe und Bewegung hinterlassen, Flüchtigkeit spielt eine große Rolle. Wie gelingt es den Künstlern, diese Eigenschaften in etwas Solides wie eine Skulptur zu überführen?
Mongi-Vollmer: Die charakteristischen Merkmale der impressionistischen Malerei scheinen kaum vereinbar mit den festen Materialien der Skulptur. Daher wählten die Bildhauer aus dem Umfeld des Impressionismus leicht formbare Materialien wie Wachs, Gips, Ton oder Plastilin, mit denen man Bewegung und Dynamik beim Modellieren wiedergeben kann. Die Künstler entschieden sich auch, die Oberflächen ihrer Skulpturen nicht zu glätten. Bearbeitungsspuren und Fingerabdrücke wurden häufig stehengelassen. Auf diese Weise erhalten wir beim Betrachten den Eindruck, als entstünde das Werk praktisch vor unseren Augen.
Gibt es so etwas, wie eine idealtypische impressionistische Skulptur? Und wenn ja, wie sieht sie aus?
Eiling: Die Skulptur, an der sich der Begriff herausgebildet hat, ist die Kleine 14-jährige Tänzerin von Edgar Degas. Sie wurde auf der sechsten Ausstellung der Impressionisten 1881 präsentiert. Der Kunstkritiker Jules Claretie verwendete in seiner Ausstellungsbesprechung daraufhin zum ersten Mal den Ausdruck „impressionistische Bildhauer“. Das Werk löste einen ungeheuren Skandal aus, da es nicht aus den von der Akademie akzeptierten Werkstoffen Marmor oder Bronze gefertigt war, sondern aus bis dahin vorwiegend mit Entwürfen in Zusammenhang gebrachtem Wachs. Außerdem hatte Degas seine Tänzerin mit einer Echthaarperücke, einem Mieder, Tutu und Ballettschuhen ausstaffiert. Das war für die konservativen Kritiker eine Grenzüberschreitung. Das Experimentieren mit Materialien ist eines der Hauptmerkmale impressionistischer Skulpturen.
Was aber verbindet die – sehr verschiedenen – Künstler der Ausstellung?
Mongi-Vollmer: Alle verbindet eine sehr ausdrucksstarke Oberflächengestaltung ihrer Werke. Dadurch erzeugten die Künstler den Eindruck von Lebendigkeit sowie von flirrenden Licht- und Schattenspielen, wie sie auch die impressionistischen Maler einzufangen suchten. Insgesamt muss man aber sagen, dass es nicht die impressionistische Skulptur gibt, so wie es auch nicht den Impressionismus gibt. Unsere Ausstellung zeigt vielmehr ein facettenreiches und spannendes Bild der Skulptur im Impressionismus.
Haben sie ein persönliches Lieblingswerk in der Ausstellung? Oder eine Arbeit, die Sie dem Publikum besonders ans Herz legen möchten?
Mongi-Vollmer:Mein persönlicher Höhepunkt ist die Gegenüberstellung von Paolo Troubetzkoys Skulptur Nach dem Ball (Adelaide Aurnheimer) mit John Singer Sargents herausragendem Gemälde Lady Agnew of Lochnaw. Der kaskadenhafte Faltenwurf von Troubetzkoys Skukptur vis-a-vis der virtuosen Malerei Singer Sargents ist ein absolutes Highlight der Präsentation.
Eiling: Für mich ist es Auguste Rodins Eva. Die Skulptur ist Bestandteil der Sammlung des Städel Museums und häufig in unserer ständigen Sammlung zu sehen, aber aktuell zeigen wir sie in ganz besonderer Art und Weise. 1899 hatte Rodin im Rahmen einer Ausstellung den Sockel der Figur in Sand eingegraben. So wurde der Anschein erweckt, als stünde Eva barfuß auf dem Boden. Wir haben uns für EN PASSANT entschlossen, diese Präsentation zu rekonstruieren. Die Wirkung ist verblüffend. Man sieht die Skulptur mit vollkommen anderen Augen.
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