Mit feinsinnigem Gespür für die Zerrissenheit ihrer Zeit zeichnete Ilka Gedő die Arbeiterschaft, Menschen im jüdischen Ghetto von Budapest, aber auch ihr sich veränderndes Selbst.
Arbeiten der ungarischen Künstlerin Ilka Gedő (1921–1985) sind seit 2021 im Bestand des Städel Museums: Insgesamt zwanzig Zeichnungen schenkten die beiden Söhne der Künstlerin dem Städel. Nachdem diese konservatorisch und restauratorisch bearbeitet wurden, kann man sie sich nun im Studiensaal der Graphischen Sammlung vorlegen lassen.
Es handelt sich um zarte und leuchtende Pastelle, um Arbeiten in Feder oder kraftvolle Bleistiftzeichnungen. Sie zeugen von einer begabten Zeichnerin und vor allem von einer präzisen Beobachterin, die ihre Umgebung und sich selbst mit zarten, aber auch bestimmten Linien festhielt.
Ilka Gedő wurde 1921 in Budapest in eine turbulente Zeit geboren, die in Ungarn von schnell wechselnden politischen Systemen, wirtschaftlicher Unsicherheit und sich verschiebenden Grenzen geprägt war. In den 1930er-Jahren verbündete sich das Land mit dem nationalsozialistischen Deutschland und verabschiedete ab 1938 zahlreiche Gesetze gegen die jüdische Bevölkerung – wovon auch die Familie Gedő betroffen war. Schritt für Schritt wurden Juden ihre Rechte aberkannt und der Ausschluss aus der Gesellschaft vorangetrieben. Das beeinflusste auch den künstlerischen Werdegang und das Schaffen der jungen Ilka Gedő, die schon seit ihrer Kindheit – zunächst ohne Unterricht – zeichnete. Ihr Traum, für eine Ausbildung zur Künstlerin nach Paris zu gehen, wurde durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verhindert. In Ungarn lernte sie ab 1939 bei Tibor Gallé (1896-1944) und darauf bei Viktor Erdei (1879-1945).
Durch Repressalien wie Zwangsumzüge in markierte Wohnhäuser verlagerte sich für die jüdische Bevölkerung das Private zunehmend nach außen: Das Leben fand nun an den wenigen öffentlichen Orten statt, die ihnen noch blieben – wie rund um den Klauzál-Platz. Dort, aber auch in jüdischen Alters- und Kinderheimen, zeichnete Ilka Gedő. Mit wenigen festen Bleistiftstrichen hielt sie unter anderem auf den Seiten eines einfachen Skizzenblocks die auf Bänken zusammengesunken sitzenden, jüdischen Bewohner fest. Die Figuren sind fast nur Umrisse und doch ganz unterschiedlich charakterisiert. Fast scheint in diesem skizzierten Alltagsmoment so etwas wie leiser Humor auf.
Ab 1939/1940 konnte Ilka Gedő ihre Ausbildung weder in Ungarn, noch im Ausland fortsetzen. Zuletzt studierte sie zwischen 1942 und 1943 an der Privatschule des jüdischen Bildhauers István Örkényi Strasser (1911-1944). Mit der Besetzung Ungarns durch das nationalsozialistische Deutschland im Frühjahr 1944 nahmen auch die Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung dramatisch zu. Ilka Gedő entkam zwar der Deportation, musste aber mit Anfang Zwanzig ins Budapester Ghetto ziehen. Dort lebte sie mit tausenden anderen Juden, ihres Hab und Guts beraubt, in winzigen Wohnräumen, abgeschnitten von grundlegender sanitärer Versorgung oder ausreichend Essen, in letztlich katastrophalem Zustand.
Neben Motiven aus dem jüdischen Ghetto war das Schaffen der jungen Künstlerin in den Jahren bis zum Kriegsende sowie in der direkten Nachkriegszeit von einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Selbstbildnis geprägt. Sie zeigen Ilka Gedő als genaue, durchaus skeptische Beobachterin, aber auch als eine müde Frau. In dem prägnanten Selbstporträt aus dem Jahr 1947 wird das schmale Gesicht der Künstlerin durch ein Dickicht von über- und nebeneinanderliegenden Bleistiftstrichen beschrieben: breite, dunkle Strichlagen stehen neben feinen, hellen Linien, kräftige, gerade Striche neben zarten, geschwungenen, die dem Bildnis der Künstlerin mit ihrem ernsten, prüfenden Blick gleichzeitig etwas Nervöses, Vibrierendes verleihen.
Wie anders wirken dagegen die Selbstbildnisse, die die Künstlerin wenig später schuf. Noch 1947 kam ihr erster Sohn auf die Welt und Ilka Gedő hielt sich als Schwangere in vielen Kreidezeichnungen und vor allem eindrucksvollen Pastellen fest.
Dass ein schwangerer Körper gleichzeitig robust und doch unglaublich fragil ist, wird in diesem pudrigen Pastell, in dem Gedő ihren eigenen, veränderten Körper festhält, deutlich. Ganz aufrecht gibt sie sich am Fenster sitzend. Das Augenmerk liegt nicht auf dem Gesicht oder dessen Ausdruck, sondern Kopf und Körper werden in schwungvollen farbigen Strichen überlängt aufgefasst. Farbe wird zum bestimmenden Element.
Etwa um dieselbe Zeit, die als ein Höhepunkt in ihrem Schaffen bezeichnet werden kann, begann Ilka Gedő in der Maschinenfabrik Ganz in Budapest zu zeichnen. In diesen Szenen ging es jedoch nicht um die Präzision der Maschinen oder um die Effizienz der Arbeiterinnen und Arbeiter, die sie bedienen. Stattdessen schaffte die Künstlerin einen Blick auf eine fast unwirkliche, stille Atmosphäre, teils in überraschend leuchtenden Farben. Es ist keine Welt aus geometrischen, sondern aus bewegten, geschwungenen Linien. Die Körper der Menschen sind umrahmt oder hinterfangen von mechanischen Formen, großen Arbeitstischen und Maschinen, die teilweise mit solch satten Grafitschichten und -strichen gestaltet sind, dass das dunkel glitzernde Grau an den Glanz von stählernen Maschinen erinnert. Ilka Gedő vermochte es, den von ihr gezeichneten Arbeitern eine friedvolle und ruhige Art zu verleihen, die auf den Betrachter schon fast ironisch wirkt. Sie widerspricht zum einen der Anstrengung körperlicher Arbeit und zum anderen den kraftvollen Gestaltungselementen der Zeichnungen – wie den starken, dicken Strichen oder den geschabten Stellen.
Ilka Gedő hatte in den frühen 1940er-Jahren noch an verschiedenen Gruppenausstellungen sozialistischer Vereinigungen oder der israelitischen Gemeinde von Budapest teilgenommen. Schrittweise fand sie auch nach der Befreiung aus dem Ghetto 1945 wieder einen Platz in der Budapester Kunstwelt.
Gedős Zeichnungen sind Zeitzeugnisse einer von Krieg und Industrie geprägten Welt, die sich mühsam einer Zukunft entgegenarbeitet. Aber auch Zeitzeugnisse einer jungen Frau und ihres Körpers zwischen den Speichen der Zeit, dem Erstreben einer Karriere als Künstlerin und dem Muttersein. Um 1949 legte die Künstlerin für viele Jahre ihren Stift nieder. Erst fünfzehn Jahre später begann für sie eine neue künstlerische Phase mit neuen Gestaltungsmitteln und Motiven. Viele der Werke, die ihre Söhne, Daniel und Dávid Bíró, dem Städel Museum schenkten, stammen aus der ersten Phase ihres Schaffens. Sie zeigen eine Künstlerin die trotz aller Widrigkeiten den Stift in der Hand hielt und ein feinsinniges Gespür für die sie umgebende Welt besaß. Gedő ist eine Künstlerin, die es zu entdecken lohnt.
Aktuelle Ausstellungen, digitale Angebote und Veranstaltungen kompakt. Mit dem Städel E-Mail-Newsletter kommen die neuesten Informationen regelmäßig direkt zu Ihnen.