Navigation menu

Eine wechselvolle Geschichte

Max Beckmanns Werke wurden schon vor über hundert Jahren für das Städel angekauft – der Bestand wuchs zur größten öffentlichen Sammlung heran. Doch dann kam es zu einem jähen Bruch. Was war geschehen und wo stehen wir heute?

Iris Schmeisser — 5. Februar 2021

„Graphik für 1000 M[ark] ausgewiesen“ notierte Städel Direktor Georg Swarzenski (1876-1957) am 14. Oktober 1918. Zehn Papierarbeiten hatte er bei seinem Besuch im Atelier des Künstlers in der Schweizer Straße 3 ausgewählt sowie das Gemälde Kreuzabnahme. Letzteres war zwar für Max Beckmanns Galeristen Jsrael Ber Neumann bestimmt, dennoch konnte Swarzenski es schließlich für 8000 Mark ankaufen. Seine Auswahl beinhaltete insbesondere Werke, die die Gewalt und das Trauma des Ersten Krieges schonungslos darstellten.

Kreuzabnahme, 1917, Öl auf Leinwand, erworben 191819 (heute The Museum of Modern Art, New York)

Kreuzabnahme, 1917, Öl auf Leinwand, erworben 191819 (heute The Museum of Modern Art, New York)

Die größte öffentliche Beckmann-Sammlung entsteht

Bereits zuvor, im März 1916, hatte Beckmann dem Museum über den Frankfurter Galeristen Ludwig Schames ein Blumenstilleben angeboten. Das hatte Swarzenski allerdings abgelehnt. Das Gemälde Kreuzabnahme hingegen, das er im Atelier des Künstlers besichtigt und selbst ausgewählt hatte, wollte er um jeden Preis in die Sammlung holen: „ ... ich habe d i e s e s Bild gewählt, weil ich hier einmal gerade diese Dinge von einem ganz starken Künstler in ganz echter Weise dargestellt fand ... Beckmann war im Kriege und hat das ganze Grauen dort erlebt,“ schrieb er an den Vorsitzenden der Ankaufskommission. Dieser hatte sich vehement gegen die Erwerbung ausgesprochen.

Max Beckmann, Bildnis Georg Swarzenski, 1921, Lithographie, Städel Museum

Max Beckmann, Bildnis Georg Swarzenski, 1921, Lithographie, Städel Museum

Zwischen Swarzenski und Beckmann entwickelte sich im Laufe der Jahre eine enge freundschaftliche Beziehung. Der Museumsdirektor unterstützte den Künstler, der seit 1925 eine Meisterklasse an der Frankfurter Kunstgewerbeschule leitete, durch umfangreiche Erwerbungen und setzte sich in den städtischen Gremien für ihn ein. „Viele schöne Abende haben wir in Frankfurt bei den Swarzenskis verlebt,“ erinnert sich Quappi Beckmann später in ihren Memoiren. „Georg Swarzenski kaufte auch die ersten Gemälde von Max Beckmann für das Städel.“ Bis 1932 erwarb Swarzenski insgesamt dreizehn Gemälde des Künstlers und über hundert Arbeiten auf Papier, darunter Schlüsselwerke wie Das Nizza in Frankfurt am Main (heute Kunstmuseum Basel), Selbstbildnis mit Quappi (heute Museum Kunstpalast Düsseldorf), Doppelbildnis, Strand (Verbleib unbekannt) und Gesellschaft III / Battenbergs (Verbleib unbekannt).

Die Sammlung wird zerschlagen

Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten kam es jedoch zu einem jähen Bruch: Swarzenski – der seit 1928 Generaldirektor der Städtischen Museen war – wurde aus diesem Amt entlassen, Beckmann aus seiner Lehrtätigkeit an der Kunstgewerbeschule. Swarzenski musste sich vor einem Untersuchungsausschuss gegen vermeintliche Missstände in der Stadtverwaltung rechtfertigen. Die Förderung des Künstlers, der mittlerweile Frankfurt verlassen hatte und in Berlin lebte, war dabei ein zentraler Anklagepunkt.

Das Nizza in Frankfurt am Main, 1921, Öl auf Leinwand, erworben 1921 (heute Kunstmuseum Basel)

Max Beckmann, Das Nizza in Frankfurt am Main, 1921, Öl auf Leinwand, erworben 1921 (heute Kunstmuseum Basel)

Max Beckmann, Doppelbildnis, 1923

Max Beckmann, Doppelbildnis (Carola Netter und Marie Swarzenski), Öl auf Leinwand, erworben 1923, Städel Museum, Frankfurt am Main

Max Beckmann, Landsturmmann Ernst Pflanz, Brustbild, 1915

Max Beckmann, Landsturmmann Ernst Pflanz, Brustbild, Zeichnung, erworben 1918, Städel Museum, Frankfurt am Main

Selbstbildbnis mit Quappi, Öl auf Leinwand, erworben 1925 (heute Museum Kunstpalast, Düsseldorf)

Max Beckmann, Selbstbildbnis mit Quappi, Öl auf Leinwand, erworben 1925 (heute Museum Kunstpalast, Düsseldorf)

Strand, 1927, Öl auf Leinwand, erworben 1927, Verbleib unbekannt

Max Beckmann, Strand, 1927, Öl auf Leinwand, erworben 1927, Verbleib unbekannt

Gesellschaft III Battenbergs, Öl auf Leinwand, erworben 1930, Verbleib unbekannt

Max Beckmann, Gesellschaft III Battenbergs, Öl auf Leinwand, erworben 1930, Verbleib unbekannt

Große Operation, Kaltnadelradierung, 1914, erworben 1918, Verbleib unbekannt

Max Beckmann, Große Operation, Kaltnadelradierung, 1914, erworben 1918, Verbleib unbekannt

Beckmanns Gemälde wurden aus der Schausammlung des Städel entfernt und wanderten ins Depot. Noch vor der Beschlagnahmeaktion im Juli und August 1937 verließen zwei seiner Werke – Kreuzabnahme und Stilleben mit Saxofonen – als Leihgaben die Sammlung des Städel und kehrten danach nie mehr zurück. Sie waren für eine Propagandaausstellung in München angefordert worden, die den „Bolschewismus“ anprangerte. Sie wurden dort als abschreckende Zeugnisse „entarteter Kunst“ präsentiert.

Im darauffolgenden Sommer wurde dann die von Swarzenski errichtete Beckmann Sammlung bis auf wenige Ausnahmen durch das Reichspropagandaministerium beschlagnahmt. Von den zehn Gemälden Beckmanns, die im Juli 1937 auf der Femeausstellung „Entartete Kunst“ in München gezeigt wurden, stammten fünf aus der Städel Sammlung. Zahlreiche Arbeiten des Künstlers wurden schließlich im Auftrag des Reichspropagandaministeriums „verwertet“ und gegen Devisen in der Schweiz und in den USA verkauft, darunter die Kreuzabnahme (heute Museum of Modern Art, New York), Das Nizza (heute Kunstmuseum Basel) sowie Blaue Blumen und Selbstbildnis mit Quappi (beide wurden am 30. Juni 1939 von der Galerie Fischer in Luzern versteigert).

Alte Freundschaft, neues Fundament

Nach dem Krieg und noch während der amerikanischen Besatzungszeit organisierte Swarzenskis Nachfolger Ernst Holzinger gemeinsam mit Beckmanns Münchner Galeristen Günther Franke im Juni 1947 eine erste Ausstellung des ehemals verfemten Künstlers. Sie wurde fast ausschließlich mit Werken aus Privatbesitz bestückt, darunter mehr als sechzig Gemälde. Der Museumsdirektor hatte im März 1947 an Beckmann geschrieben: „Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, was die Aussicht auf diese Ausstellung für Ihre Frankfurter Freunde und Verehrer künstlerisch und menschlich bedeutet.“ Aus Anlass dieser Ausstellung schenkte Günther Franke dem Museum mehrere Grafiken. Der Museumsdirektor dankte ihm mit den Worten: „Sie sind ein erster wesentlicher Grundstein zum Wiederaufbau unserer verlorenen Beckmann-Sammlung und geben mir Hoffnung für die Zukunft.“

Ausstellungsplakat „Max Beckmann,“ 1947, Städel Museum, Frankfurt am Main

Ausstellungsplakat „Max Beckmann,“ 1947, Städel Museum, Frankfurt am Main

1949 konnten dann erste Konvolute der großen Graphik-Sammlung des mit Beckmann befreundeten Künstlerehepaars Fridel und Ugi Battenberg erworben werden. Diese mit den Frankfurter Jahren des Künstlers so eng verknüpfte und in dieser Zeit entstandene Privatsammlung – die Battenbergs hatten Beckmann 1915 bei sich aufgenommen und ihm ein Atelier zur Verfügung gestellt – bildet heute das Fundament der nach 1945 wiederaufgebauten Beckmann Sammlung im Städel.

Der Zirkuswagen (1940) in der Gedächtnisausstellung „Max Beckmann,“ Städel Museum, Frankfurt am Main, 21.1.1951-4.3.1951

Der Zirkuswagen (1940) in der Gedächtnisausstellung „Max Beckmann“, Städel Museum, Frankfurt am Main, 21.1.1951-4.3.1951

Wo stehen wir heute?

Ein Jahr nach dem Tod des Künstlers realisierte die Stadt Frankfurt im Jahr 1951 schließlich mit dem Zirkuswagen (1940) den ersten Ankauf eines Beckmann Gemäldes in der Nachkriegszeit. Seither hat das Städel kontinuierlich weitere Arbeiten des Künstlers erworben – zuletzt das Selbstbildnis mit Sektglas (1919). Mit zwölf Gemälden, 46 Zeichnungen und circa 280 Druckgraphiken – ergänzt um vier Dauerleihgaben – verfügt es heute wieder über eine der größten Beckmann-Bestände weltweit. Ein dauerhaft eingerichteter Beckmann-Raum im Sammlungsbereich Moderne würdigt die enge Verbundenheit des Künstlers mit der wechselvollen Geschichte des Museums.

Blick in den Beckmann-Saal im Städel Museum, Foto: Städel Museum - Norbert Miguletz


Iris Schmeisser ist Provenienzforscherin und leitet das Städel Archiv.  Sie hat die Sonderpräsentation „Städels Beckmann / Beckmanns Städel. Die Jahre in Frankfurt“ zusammen mit Alexander Eiling und Regina Freyberger kuratiert.

Diskussion

Fragen oder Feedback? Schreiben Sie uns!

Mehr Stories

  • Der Nachhauseweg, Blatt 1 aus der Folge Die Hölle, 1919, Kreidelithografie (Umdruck) auf Simile-Japanpapier, Städel Museum, Frankfurt am Main, Foto: Städel Museum
    Max Beckmann und „Die Hölle“

    Der „Lebensgräber“

    „Kunst von solcher Giftigkeit, solcher Bitternis“ hatte man 1919 noch nicht gesehen – da bannte Max Beckmann im Hölle-Zyklus schonungslos seine Gegenwart aufs Papier. Er zeigte eine Welt, die völlig aus den Fugen geraten war.

  • Philipp Demandt im Interview

    Auf Beckmann!

    In Frankfurt wurde es geschaffen – in Frankfurt wird es nun bleiben: Max Beckmanns ikonisches „Selbstbildnis mit Sektglas“. Direktor Philipp Demandt über eine der bedeutendsten Erwerbungen in der Geschichte des Städel.

  • Anonym, Georg Swarzenski, undatiert
    Städel Direktor Georg Swarzenski

    Ein Leben für die Kunst

    Mit 30 Jahren wurde Georg Swarzenski Direktor des Städel Museums – und prägte es drei Jahrzehnte lang. Sein Lebenswerk: eine moderne Sammlung. Das NS-Regime beschlagnahmte große Teile davon und zerstörte seine Karriere.

  • Max Beckmann, Der Strand (Am Lido), Öl auf Leinwand, Verbleib unbekannt. Abgebildet in der Zeitschrift Der Querschnitt 7 (1927)
    „Entartete Kunst“ in Frankfurt

    Düsterer Sommer

    Vor 80 Jahren, im Sommer 1939, war die Hetzausstellung „Entartete Kunst“ in Frankfurt zu sehen. Dort hing auch Max Beckmanns Gemälde „Der Strand“ – das einst zur Städel Sammlung gehörte. Heute fehlt von ihm jede Spur.

Newsletter

Wer ihn hat,
hat mehr vom Städel.

Aktuelle Ausstellungen, digitale Angebote und Veranstaltungen kompakt. Mit dem Städel E-Mail-Newsletter kommen die neuesten Informationen regelmäßig direkt zu Ihnen.

Beliebt

  • Honoré Daumier

    Zur Ernsthaftigkeit der Komik

    Wie Karikaturen funktionieren und warum Daumier für sie ins Gefängnis kam.

  • Der Film zur Ausstellung

    Honoré Daumier. Die Sammlung Hellwig

  • Die Ausstellungen im Städel

    Highlights 2024

    Unser Ausblick auf 2024: Freut euch auf faszinierende Werke von Honoré Daumier und Käthe Kollwitz, lernt die Städel / Frauen kennen, entschlüsselt die Bildwelten von Muntean/Rosenblum, erlebt die Faszination italienischer Barockzeichnungen und reist zurück in Rembrandts Amsterdam des 17. Jahrhunderts.

  • Städel Mixtape

    #34 Jan van Eyck – Lucca-Madonna, ca. 1437

    Ein ruhiger Moment mit Kerzenschein, ihr seid so vertieft, dass ihr alles um euch herum vergesst: Vor rund 600 Jahren ging es den Menschen ähnlich, wenn sie vor Jan van Eycks „Lucca-Madonna“ gebetet haben. In diesem STÄDEL MIXTAPE geht es um das Andachts-Bild eines raffinierten Geschichtenerzählers. 

  • Städel | Frauen

    Louise Schmidt: Bildhauerin!

    Teil 1 der Porträt-Reihe „Städel | Frauen“.

  • ARTEMIS Digital

    Digitales Kunsterlebnis trifft wegweisende Demenz-Forschung

    Wie sieht eine digitale Anwendung aus, die Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen zeit- und ortsungebunden einen anregenden Zugang zur Kunst ermöglicht? Ein Interview über das Forschungsprojekt ARTEMIS, über Lebensqualität trotz Krankheit und die Kraft der Kunst.

  • Gastkommentar

    Kunst & Schwarze Löcher mit Astrophysikerin Silke Britzen

    Was sieht eine Astrophysikerin in den Werken der Städel Sammlung? In diesem Gastkommentar eröffnet Silke Britzen (Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn) ihre individuelle Sichtweise auf die Kunstwerke im Städel Museum.