In Frankfurt wurde es geschaffen – in Frankfurt wird es nun bleiben: Max Beckmanns ikonisches „Selbstbildnis mit Sektglas“. Direktor Philipp Demandt über eine der bedeutendsten Erwerbungen in der Geschichte des Städel.
Herr Demandt, Sie haben sich seit Ihrem Amtsantritt vor drei Jahren für den Erwerb des „Selbstbildnis mit Sektglas“ (1919) eingesetzt. Wieso war Ihnen ausgerechnet dieses Werk so wichtig?
Philipp Demandt: Tatsächlich war mir der Erwerb dieses Schlüsselwerks ein ganz großer, auch ganz persönlicher Herzenswunsch. Dass das Selbstbildnis mit Sektglas in unsere Sammlung passt, war spätestens seit 2011 klar, als das Bild als – vorübergehende – Leihgabe hier ans Städel kam. Das Gemälde hat unseren ohnehin schon bemerkenswerten Beckmann-Saal noch einmal in eine ganz andere Sphäre gebracht. Es wäre für mich nicht auszudenken gewesen, dass es uns eines Tages wieder verlässt.
Max Beckmann malte das Selbstporträt in der Schweizer Straße, nur wenige Meter von hier entfernt – auch eine Metapher dafür, wie eng das Städel mit dem Schaffen des Künstlers verbunden ist?
Das Städel hatte schon ein Jahr zuvor, also 1918, begonnen seine Werke zu sammeln. Als der nationalsozialistische Bildersturm „Entartete Kunst“ 1937 das Museum um nahezu seine gesamte Sammlung der Klassischen Moderne brachte, war Max Beckmann der am stärksten betroffene Künstler. Nach 1945 hat das Haus mit großem Engagement daran gearbeitet, die verloren gegangenen Gemälde Max Beckmanns zu ersetzen, durch Wiederankäufe oder Neuerwerbungen. Heute verfügt das Städel wieder über einen bedeutenden Bestand an Werken des Künstlers – mit elf Gemälden, zwei Skulpturen und mehreren hundert Grafiken. Seit dem Verlust der weltberühmten Kreuzabnahme aber, die heute im MoMA ist, fehlte bislang das eine, das zentrale, ikonische Werk im Beckmann-Saal. Diese Lücke ist nun geschlossen.
Warum gehören Beckmann und Frankfurt zusammen?
Max Beckmann ist heute einer der berühmtesten deutschen Vertreter der Klassischen Moderne – vor allem wegen seiner frühen Rezeption in den USA. Weit weniger bekannt ist, wie eng sein Schaffen, sein Aufstieg, aber auch sein Schicksal mit der Stadt Frankfurt verknüpft sind. Die Jahre, in denen er hier lebte, 1915 bis 1933, war die wohl prägendste Zeit seiner Karriere. In Frankfurt schuf er einen Großteil seiner zentralen Werke, er entwickelte hier seinen charakteristischen Stil. Das Selbstbildnis mit Sektglas steht beispielhaft für den Beginn dieser expressiven, konturierenden Übersteigerung, die für Beckmanns Figuren so ungemein charakteristisch werden sollte.
Was sehen Sie in diesem Gemälde?
Vor fast genau einem Jahrhundert gemalt ist es in all seiner schillernden Farbigkeit, seiner Fragilität und Ambivalenz für mich so etwas wie das Sinnbild, ja das Auftaktbild der Weimarer Republik schlechthin – jener Goldenen Zwanziger, von denen wir heute wissen, dass weiß Gott nicht alles Gold war, was da glänzte.
Dieses Selbstbildnis ist sein drittes Selbstporträt nach dem Ersten Weltkrieg. Zum ersten Mal präsentiert er sich als eleganter Lebemann in einem Nachtlokal, wahrscheinlich in der Bar des Frankfurter Hofs. Wir wissen aus autobiografischen Notizen seines Kunsthändlers, Israel Ber Neumann, dass er dort am liebsten Champagner trank. Beckmann nimmt also eine Rolle ein, in der er in den kommenden Jahren immer wieder erscheint: Er ist der distanzierte Beobachter des nächtlichen Amüsierbetriebs. Er demaskiert die bürgerliche Vergnügungssucht und Oberflächlichkeit nach Kriegsende.
Was hat es mit der Provenienz des Gemäldes auf sich?
Es ist das einzige Gemälde aus einer kleinen Gruppe ikonisch gewordener Selbstbildnisse Beckmanns, das sich noch in deutschem Privatbesitz befand. Und zwar stammt es aus der legendären Privatsammlung von Hermann Lange, der es bereits in den 1920er-Jahren erworben hatte. Für seine Sammlung hatte er sich von Mies van der Rohe ein Haus in Krefeld errichten lassen, das noch heute als „Haus Lange“ zu besichtigen ist. Seit fast einhundert Jahren war das Gemälde ununterbrochen im Besitz von Hermann Langes Nachkommen. Es war niemals auf dem Markt und konnte somit aus der Familie Lange für das Städel erworben werden.
Nun hängt das Gemälde seit fast einem Jahrzehnt schon als Dauerleihgabe im Städel, den Frankfurterinnen und Frankfurtern ist es vertraut. Wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich war es, dass es hier bleiben würde?
Es hieß lange, dass dieses weltweit begehrte Kunstwerk nicht zu verkaufen sei. Und falls irgendwann vielleicht doch, dann sei es niemals zu bezahlen. Bald drei Jahre liegt es nun zurück, dass ich mit dem Wunsch, es zu erwerben an die Erben nach Hermann Lange herangetreten bin. Es war schließlich die Familie Lange selbst, die durch großzügiges Entgegenkommen den Weg für erste Anfragen an institutionelle Förderer, die Kulturstaatsministerin und die Kulturstiftung der Länder, geebnet hat. Deren beherzten Zusagen schlossen sich neben der Ernst von Siemens Kunststiftung und dem Städelschen Museums-Verein auch noch fünf private Förderer mit wiederum exzeptionellen Einzelzusagen an, sodass die Erwerbung mit privaten und staatlichen Mitteln schlussendlich geglückt ist. Ich bin sehr dankbar für diesen großen Zusammenhalt und die Zuversicht aller Beteiligten. Nur dieses – für Frankfurt so typische – gemeinschaftliche Engagement hat es möglich gemacht, dass dieses Meisterwerk nun für immer dort bleiben kann, wo es auch entstanden ist.
Aktuelle Ausstellungen, digitale Angebote und Veranstaltungen kompakt. Mit dem Städel E-Mail-Newsletter kommen die neuesten Informationen regelmäßig direkt zu Ihnen.