Felix Krämer und Daniel Zamani haben zwei große Maler der französischen Moderne in einer Ausstellung vereint. Warum Matisse und Bonnard gemeinsam noch stärker sind, erzählen die beiden Kuratoren hier.
Woher kam die Idee, die beiden Künstlerfreunde Matisse und Bonnard in einer Ausstellung zusammenzubringen?
Felix Krämer: Matisse und Bonnard sind zwei der wichtigsten Maler in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Künstlerfreundschaft ist aber nur wenigen präsent. Ihre Arbeiten sind über 40 Jahre hinweg in einem engen Austausch entstanden. Interessant ist, dass die beiden nach dem Krieg komplett unterschiedlichen Lagern zugeordnet wurden: Matisse wird in den Museen ins 20., Bonnard meist als „verspäteter Impressionist“ ins 19. Jahrhundert gesteckt – dabei liegen zwischen ihnen nur zwei Lebensjahre.
Unser kunsthistorisches Anliegen ist es einerseits, Bonnard aus seiner Schublade rauszuholen. Er hat genauso viel für die Kunstgeschichte der letzten 70 Jahre beigetragen wie Matisse. Darüber hinaus wollen wir mit der Ausstellung aber auch zeigen, dass die Werke beider Künstler voneinander profitieren, wenn man sie gemeinsam betrachtet. Man sieht sie anders und man sieht in beiden mehr.
Außerhalb Frankreichs ist Matisse wohl mehr Menschen ein Begriff als Bonnard. Wieso ist Matisse international so populär? Und Bonnard nicht weniger spannend?
Krämer: Warum Matisse beliebt ist, mag damit zusammenhängen, dass seine Bilder leichter zu verstehen sind. Sie wollen dich im ersten Moment gefangen nehmen. Das ist nicht Bonnards Ziel. Es gibt kaum einen Künstler, den ich persönlich so spannend finde wie ihn. Seine Bilder bleiben in der Schwebe, sie sehen jedes Mal anders aus. Der Kunsthistoriker Jean Claire hat einmal gesagt, das Betrachten eines Bonnard-Gemäldes sei wie das „erste Sehen“, als würde man ohne Vorerfahrung die Welt betrachten. Ich finde, das trifft es sehr gut. Bei Bonnard hat jeder Gegenstand die gleiche Bedeutung, alles wird mit derselben Hingabe festgehalten. Aber er braucht einen Betrachter, der Geduld hat, der gerne schaut und sein eigenes Sehen reflektiert. Das Interesse an Bonnard ist in den letzten Jahren übrigens sehr gestiegen, vielleicht liegt das an der Schnelllebigkeit der Bilder. Ich denke, er kommt einem Bedürfnis nach Innehalten sehr entgegen.
Daniel Zamani: Man muss bei Bonnard einen Schritt tiefer gehen. Auf den ersten Blick denkt man tatsächlich, seine Bilder seien eine Fortführung aus dem 19. Jahrhundert. Die Umsetzung ist allerdings voller Brüche. Bei ihm bekommen banale Themen – eine Obstschale, ein Frauenakt – etwas Traumhaftes. Ein Kritiker sprach einmal von der „märchenhaften Umgestaltung des Alltags“. Das war Bonnards größte Gabe.
Was verbindet Matisse und Bonnard als Künstler?
Zamani: Obwohl beide über Jahrzehnte hinweg zu den wichtigsten Vertretern der klassischen Moderne gehören, bleiben sie von den großen Avantgarde-Bewegungen und „-Ismen“ ihrer Zeit weitgehend unberührt. Vor allem nach ihrem Umzug an die Riviera haben sie sich sehr unabhängig von den Tendenzen in Paris weiterentwickelt. Beide arbeiten sich am Gegenständlichen ab, zudem an sehr traditionellen Themen. Ob Stillleben, Akt, Interieur oder Landschaft, die Natur ist bei ihnen immer der Ausgangspunkt. Dabei setzen sie ihren Bildgegenstand auf eine so freie Art um, dass sie heute als bedeutende Vorreiter der Abstraktion gelten, gerade der amerikanischen Avantgarde nach 1945.
Dennoch waren Matisse und Bonnard offenbar völlig gegensätzliche Künstlertypen. Was unterscheidet sie genau voneinander?
Krämer: Matisse war ein „Künstleralphatier“, die Fortsetzung eines Malerfürsten im 20. Jahrhundert. Er präsentierte sich wahnsinnig selbstbewusst in einem entsprechenden Umfeld. Bonnard war das Gegenteil: zart, schlaksig. Auf Fotos sitzt er in der Ecke und will eigentlich gar nicht gesehen werden. Das spiegelt sich auch in der Kunst wieder. Bilder von Matisse sind Setzungen, sie sind klar und dringen sofort ins Gedächtnis ein. Bonnard zaudert. Er sagt etwas, zieht es aber sofort wieder zurück, hält eine Form fest, und korrigiert sie wieder.
Zamani: Bonnard hat Angst loszulassen. Das sieht man vor allem in seinem Spätwerk. Am Ende ist sein Studio gefüllt mit Leinwänden, die er nicht abschließen kann, weil er ständig nachbessert. Er sagt in seinen Briefen auch, wie sehr er Matisse für dessen Klarheit bewundert. Bei Matisse werden Konzeptionen sofort umgesetzt. Wenn er malt, hat er eine „Bühne“ mit Modell und Requisiten vor sich aufgebaut. Bonnard hingegen sagt, er werde schwach, wenn er seinen Bildgegenstand vor sich hat. Er skizziert stattdessen alltägliche Dinge, benutzt Zeichnungen als eine Art Gedächtnisstütze, und malt dann im asketischen, komplett leeren Studio.
Wie kommt es, dass die beiden überhaupt befreundet waren?
Zamani: Sie hatten künstlerisch ihren Weg schon gefunden, als sie sich kennenlernten, und waren selbstbewusst genug, ihn weiter zu verfolgen. Ich denke, genau das hat ihnen geholfen. So konnte eine sehr tiefe Freundschaft entstehen. Als zum Beispiel Bonnards Frau Marthe stirbt, ist Matisse unter den wenigen Freunden, denen er sich anvertraut. Am Ende geht es in ihren Briefen auch viel um Schmerz, die Angst vor dem Tod, aber auch darum, wie begünstigt sich beide fühlen, noch malen zu können. Für eine Freundschaft unter reifen Männern, gerade in der Zeit, ist ihr Austausch sehr intim.
Worüber haben sich Matisse und Bonnard künstlerisch ausgetauscht?
Krämer: Wir waren ja nicht dabei. Das Problem ist, dass wir nur Briefe haben, die sie sich primär dann schreiben, wenn sie sich nicht sehen. In den Zeiten, in denen sie sich regelmäßig treffen, gibt es vor allem die Kunst. Genau hier setzt die Ausstellung an: Wir wollen Matisse und Bonnard beim Austausch, das heißt vor allem beim Malen über die Schulter schauen. Die Werke sollen zueinander sprechen.
Zamani: Es gibt zwei Gemälde, die sie voneinander besessen haben, sie werden in der Ausstellung das erste Mal zusammengeführt. Hier können wir sehr gut nachvollziehen, dass sie Inspiration aus den Werken des anderen gezogen haben. Zudem verdeutlicht eine ganze Reihe von Gemälden, dass beide das gleiche Faible für gewisse Sujets und Problematiken hatten, auch wenn die Umsetzung am Ende ganz anders ist. Aus den Briefen geht auch hervor, wie sehr sie am Werk des anderen Anteil genommen haben. Etwa wenn Matisse schreibt, dass er morgens sofort an Bonnard denken musste, weil er so begeistert war von seiner Sonnigen Terrasse, die auch bei uns in der Ausstellung hängt.
Daniel, für dich ist es die erste Ausstellung als Co-Kurator am Städel. Was war die größte Herausforderung?
Zamani: Die Leihverhandlungen. Man braucht bei zwei international so gefragten Künstlern schon einen langen Atem und vor allem sehr gute Argumente. Kein Museum verleiht solche Werke so ohne Weiteres.
Felix, für dich ist es nach über neun Jahren die letzte Ausstellung als Sammlungsleiter der Moderne hier am Städel. Welche Bedeutung hat Bonnard – Matisse in der Reihe deiner Ausstellungen?
Krämer: Am Anfang war es mir gar nicht so klar, aber tatsächlich ist das meine erste Ausstellung, die ohne „Stachel“ funktioniert. Bei allen anderen Ausstellungen habe ich immer auch nach Reibungspunkten gesucht, selbst unsere Monet-Ausstellung hatte einen dramatischen politischen Hintergrund. Bei Matisse – Bonnard geht es wirklich „nur“ um den freundschaftlichen Dialog, das ist als Sammlungsleiter schon ein schöner Abschluss. Zudem ist mir Bonnard als Künstler sehr wichtig. Ich kann schon sagen, dass die Ausstellung ein richtiges Herzensprojekt für mich ist.
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