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Der falsche Vincent

Ein echter Skandal erschütterte die Berliner Kunstwelt: 33 Van-Gogh-Fälschungen waren in Umlauf gekommen – alle kamen von einem gewissen Otto Wacker. Wie konnte er Experten und Sammler so einfach täuschen?

Anett Göthe — 12. Dezember 2019

„Ich habe endlich eine Arlésienne, eine Figur, die ich in einer Stunde gemalt habe. Der Hintergrund in blasser Zitronenfarbe – das Gesicht grau – die Kleidung dunkel, dunkel, dunkel – nur ungemischt Preußischblau. Sie lehnt sich an einen grünen Tisch und sitzt in einem orangefarbenen Holzsessel.“ Van Goghs Begeisterung über sein Porträt der Marie Ginoux, L‘Arlésienne (1888), können die Besucher der Ausstellung MAKING VAN GOGH selbst nachempfinden.

Vincent van Gogh, L’Arlésienne, 1888, Öl auf Leinwand, Musée d’Orsay, Paris, donation de Mme R. Goldschmidt-Rothschild

Vincent van Gogh, L’Arlésienne, 1888, Öl auf Leinwand, Musée d’Orsay, Paris, donation de Mme R. Goldschmidt-Rothschild

Cuno Amiet, L’Arlésienne. Kopie nach Vincent van Gogh, 1908, Öl auf Leinwand, Privatbesitz

Cuno Amiet, L’Arlésienne. Kopie nach Vincent van Gogh, 1908, Öl auf Leinwand, Privatbesitz

Einige Räume später taucht das Gemälde noch einmal auf, diesmal aus der Hand des Schweizer Malers Cuno Amiet. Er hatte die Eins-zu-eins-Kopie des Werkes genau 20 Jahre später gemalt –  eine Fälschung? Wohl kaum, denn am unteren Bildrand ist der Vermerk „nach van Gogh“ zu lesen: Amiets Gemälde ist Ausdruck einer Begeisterung. Van Gogh war Anfang des 20. Jahrhunderts für viele zum Vorbild, zum „Vater der Moderne“ geworden. Doch nicht immer blieb es bei einer unschuldigen Hommage. Der Van-Gogh-Hype brachte auch den ersten medienwirksamen Fälscherskandal der Kunstgeschichte hervor.

Anfang der 20er-Jahre war van Gogh auf dem europäischen Kunstmarkt ein etablierter Name, seine Werke erzielten Höchstpreise. Grete Ring, die Geschäftsführerin der Galerie Paul Cassirer, erinnerte sich später: „Damals herrschte in Deutschland ein ausgesprochenes Bedürfnis nach Bildern Van Goghs, das sich aus dem bekannten Material nicht befriedigen ließ.“ Dieser Zustand rief vermehrt Fälscher auf den Plan.

Ausstellungsansicht MAKING VAN GOGH, Foto: Städel Museum, Frankfurt am Main, Foto: Städel Museum / Norbert Miguletz

Ausstellungsansicht MAKING VAN GOGH, Foto: Städel Museum, Frankfurt am Main, Foto: Städel Museum / Norbert Miguletz

Zu Beginn des Jahres 1928 sollte eine umfangreiche Ausstellung mit rund 90 Van-Gogh-Gemälden in eben jener Berliner Kunsthandlung Cassirer stattfinden, in der auch Grete Ring arbeitete. Doch vier der zuletzt eingelieferten Werke – Segelboote bei Saintes-Maries, ein Selbstporträt, das Weizenfeld bei Mondaufgang und Der Sämann – schienen verdächtig: Irgendetwas störte Grete Ring an den Bildern, sie vermochten nicht so recht in das bereits vorhandene Van-Gogh-Konvolut zu passen. Bei den vier Arbeiten, die weder sie noch ein Kollege jemals zuvor gesehen hatten, musste es sich um Fälschungen handeln. Auffallend war, dass genau diese Gemälde allesamt aus der Sammlung eines gewissen Otto Wacker stammten.

Bevor sich Otto Wacker – selbst Sohn eines Malers – dazu entschied, Kunsthändler zu werden, wirkte er als Tänzer unter dem schillernden Künstlernamen Olinto Lovaël. In seiner neuen Rolle als Kunsthändler gab er sich seriös und blieb damit nicht ohne Erfolg: Er verkaufte vor allem die zu jener Zeit schon hochpreisigen Gemälde van Goghs und vermochte, trotz einiger Widersprüchlichkeiten, anerkannte Kunstexperten von sich zu überzeugen. In Kunstkreisen galt er zwar als zuverlässig, aber sein Image umwehte der Hauch des Geheimnisvollen – manchmal auch des Zweifelhaften.

Otto Wacker untermauerte seinen spontanen Berufswechsel durch die angeblich schicksalhafte Begegnung mit einem russischen Aristokraten, der eine umfangreiche Sammlung von Van-Gogh-Werken besaß und veräußern wollte. Aus Sicherheitsgründen, so erklärte Wacker, dürfe er den Namen des russischen Sammlers nicht preisgeben. Kunsthändler und Sammler kauften Wacker die Geschichte ab. Führende Experten verfassten sogar Gutachten, um die Echtheit der Gemälde zu bestätigen. Das Van-Gogh-Fieber war derart entfacht, dass inzwischen kaum mehr einer so genau auf die malerische Qualität und die Farbigkeit der Werke achtete.

Vincent van Gogh, Der Sämann (nach Millet), 1890, Öl auf Leinwand, ©Kröller-Müller Museum, Otterlo, Niederlande

Vincent van Gogh, Der Sämann (nach Millet), 1890, Öl auf Leinwand, ©Kröller-Müller Museum, Otterlo, Niederlande

Leonhard Wacker (?), Sämann, 1928, Privatbesitz

Leonhard Wacker (?), Sämann, 1928, Privatbesitz

Zu den Gemälden, die – wahrscheinlich von Wacker Vater oder seinem Bruder Leonhard – gefälscht wurden, gehörte auch Der Sämann (1889). Van Gogh hatte das Original selbst nach einer Vorlage von  Jean-François Millet gemalt. Die Ausstellung zeigt sowohl das Van-Gogh-Original als auch die Wacker-Variante: Beide unterscheiden sich deutlich in Farbigkeit und im Pinselauftrag. Wieso ist die Kopie – im Gegensatz zum kühl-blauen Original – in Gelbtönen gehalten und um eine Sonne ergänzt? Der Grund dafür ist, dass Wacker das Original selbst nie gesehen hatte und sich auf Schwarz-Weiß-Abbildungen stützen musste. Er setzte daher auf die eigene Vorstellungskraft und Kreativität.

Van Gogh-Prozess: Der Kunsthändler Otto Wacker (ganz rechts) während der Verhandlung im April 1932 in Berlin, ullstein bild

Van Gogh-Prozess: Der Kunsthändler Otto Wacker (ganz rechts) während der Verhandlung im April 1932 in Berlin, ullstein bild

Grete Ring hatte sich glücklicherweise den Blick für die Qualität der Van-Gogh-Originale bewahrt und weigerte sich, die  von Wacker angelieferten Gemälde in die Cassirer-Ausstellung aufzunehmen.  Als der zu Rate gezogene Neffe van Goghs, Vincent Willem van Gogh, nichts von einem russischen Sammler wusste, zweifelten auch andere zunehmend die Echtheit der Werke aus dem Wacker-Konvolut an. Nachforschungen brachten ein schockierendes Ergebnis zutage: 33 verdächtige Bilder, alle von Wacker geliefert. Viele Berliner Kunsthändler nahmen daraufhin die Werke wieder von ihren Kunden zurück. Nach einem fünfjährigen Streit zwischen Kunstkritikern und -experten begann 1932, unter großem Medienaufgebot, der Prozess gegen Otto Wacker. Es war der erste Fälscherprozess, bei dem Röntgenaufnahmen als Beweismittel zum Einsatz kamen. Wacker wurde schließlich zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

Am Ende bleibt die Frage: Wie konnten sich so viele Kunstsammler, -händler  und -experten von den betrügerischen Machenschaften eines Otto Wackers hinters Licht führen lassen? Eine Antwort liegt im Kunstmarkt selbst begründet. Wenn die Nachfrage steigt und gleichzeitig die Möglichkeit des öffentlichen Zuganges zu den begehrten Van-Gogh-Werken erschwert ist, und wenn nur wenige Experten wissen, wie die Originale tatsächlich aussehen, dann ist der Boden für Fälschungen geebnet. Die Schwarz-Weiß-Abbildungen in den damaligen Publikationen waren für die Identifizierung der Werke nicht hilfreich. Sicherlich hatten auch einige Sammler und Experten Zweifel an der Echtheit der vermeintlichen Van-Gogh-Werke. Doch wer wollte am Ende schon einem Betrüger aufgesessen sein und sich öffentlich blamieren? Lieber verschloss man die Augen vor der malerischen Qualität und den Tatsachen.

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Anett Göthe ist Kunsthistorikerin, Kulturjournalistin und freie Mitarbeiterin für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zur Van-Gogh-Ausstellung.

MAKING VAN GOGH. Geschichte einer deutschen Liebe“ läuft bis 16. Februar 2020 im Städel. Zur Ausstellung gibt es ein vorbereitendes Digitorial® und eine Podcast-Serie, die sich um van Goghs legendäres „Bildnis des Dr. Gachet“ dreht.

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