Mit „Overture“ zeigen die diesjährigen Absolventen der Städelschule im Städel Museum ein vielstimmiges Panorama zeitgenössischer Kunst.
Kraftvolle Männerhände spielen auf einem Klavier, daneben flattert ein Schmetterling. Man kann das Insekt als Symbol für Veränderung, Schönheit und Freiheit sehen, es kann aber auch für Vergänglichkeit und Tod stehen. Je nach Kontext verschieben sich diese Bedeutungen, doch das Moment der Metamorphose bleibt bestehen. Aerin Hong eröffnet die Ausstellung der Städelschule „Overture“ im Städel Museum mit dem Video „Untitled (Teaser)“ (2025). Ähnlich wie der Schmetterling in dem Kurzfilm gehen auch die 30 Absolventen durch einen Prozess des Wandels. Heraus aus der Schule, hinein in das freie Künstler-Dasein.
Mit der Identität des Künstlers beschäftigt sich Linus Berg. In seinen Werken begegnen sich wackelige Jonglierkeulen, akademische Hüte, Kulturtheorie und Selbsthilfeliteratur. Das Bild des Künstlers verhandelt Berg in seiner Praxis als multitaskingfähiger, zugleich aber prekärer Avatar, der zwischen Erwartung, Selbstinszenierung und ökonomischen Zwängen navigiert. Gregor Laus Skulpturen kreisen um das Thema der Arbeit. Für „Overture“ rekonstruierte er mit Abgüssen ein Stück Straße, auf der Tagelöhner sonst ihre Dienste anbieten. Der Titel „You have work for me?“ richtet den Blick sowohl auf gesellschaftliche Bedingungen von Arbeit als auch auf das unsichere „danach“ des Studiums, auf den Moment, in dem künstlerische Praxis in den Alltag übergeht.
Ausstellungsansicht „Overture“, Foto: Städel Museum – Norbert Miguletz
Orientierung und Desorientierung thematisiert die Skulptur „50.1031° N, 8.6741° E“ (2025) von Nicholas Stewens. Eine Cap, eingebunden in einem hölzernen Koordinatensystem, trägt die Aufschrift „American Museum of Natural History“ und weist auf das sehr spezielle Geflecht, in dem sich Künstler vorrangig bewegen: ein System, das sich zwar den reinen Logiken von Leistungsmaximierung und ökonomischem Mehrwert entzieht und doch gleichzeitig immer wieder von ihnen durchdrungen wird. Kunst als eigener Raum – und zugleich als Teil derselben Welt, die sie zu hinterfragen sucht.
Museen sind Orte der Selektion: Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit liegen nah beieinander. Wer wird gezeigt, wer nicht? Und wer trifft diese Entscheidungen? Elsa Stanyers Arbeit greift die Themen des Verschwindens und Nichtausstellens auf: Während der Pandemie widmete sie sich dem Werkarchiv ihrer Mutter, deren Rolle als Künstlerin durch ihre Mutterschaft oft übersehen wurde. Teil von Stanyers Installation ist eine Videoarbeit, die eine ikonische Szene mit Marlon Brando aus dem Film „On the Waterfront“ zeigt. Die Absolventin lässt diese kurze Sequenz im Laufe der Ausstellung zunehmend verblassen, bis sie ganz ausgelöscht ist. Erinnerung, Verlust und die Fragilität künstlerischer Spuren überlagern sich in diesem Prozess.
Auch der Dialog mit der Sammlung des Städel Museums ist Gegenstand in „Overture“. Ausgangspunkt für Arnaud Ferrons ausgestellte Fotografien sind zwei Werke von Gustave Le Gray und Gustave Courbet, deren politischer Kontext unter einer erhabenen, reduzierten Oberfläche schlummert. In seinen Porträts eines französisch-britischen Mannes, den er während seiner Arbeit im französischen Konsulat traf, nutzt Ferron die Methoden der Abstraktion, um genau das zu enthüllen, was sonst durch diese verschleiert wird: historische, kommerzielle und ideologische Ursprünge.
Auf ganz andere Weise nähert sich Punch Viratamalee der Städel Sammlung. Für ihre Audioarbeit „Alte Meister“ betrachtete sie 40 Tage jeweils zwei Stunden lang Giovanni Bellinis „Madonna mit Kind, Johannes dem Täufer und der heiligen Elisabeth“ (1490 – 1500). Aus dieser konzentrierten Begegnung entstand eine Arbeit, die Wahrnehmung als Form von Geduld und Hingabe erfahrbar macht.
Ming Yuan wiederum untersucht in ihrer Installation „In the blue willow room, she promises the possibility of the real“ die Konstruktion von Weiblichkeit. Eine Installation aus Skulpturen und Tapeten zeigt Schönheit als ein Geflecht von Kontrolle, Begehren und Herkunft und legen zugleich ihre Zerbrechlichkeit offen.
Die ausgestellten Werke der Absolventen verbindet das Interesse an offenen Denkbewegungen. Sie formulieren keine abschließenden Antworten, sondern schaffen Räume des Suchens: tastend, widerständig, manchmal widersprüchlich. „Overture“ wird so selbst zu einer Ouvertüre: ein Auftakt, der nicht abschließt, sondern öffnet – für Fragen, für Veränderung, für das, was Kunst immer neu erfinden kann. Und der uns herausfordert, gewohnte Perspektiven zu hinterfragen und neu zu denken.
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