Mit Werner Tübke ist ein weiteres Stück ostdeutscher Kunstgeschichte ins Städel Museum eingezogen: Eine Schenkung des Ehepaars Beaucamp ergänzt die Sammlung um zahlreiche Zeichnungen und Aquarelle des Künstlers. Zu sehen sind sie nun in der Ausstellung „Werner Tübke. Metamorphosen“. Kuratorin Regina Freyberger erklärt im Interview, was Tübkes Werk so besonders macht.
Eduard Beaucamp, renommierter Kunstkritiker der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und langjähriger Freund Werner Tübkes, bezeichnete den Künstler als den „großen Unzeitgemäßen“. Was meinte er damit und was macht Tübkes Position innerhalb der Kunst des 20. Jahrhunderts so besonders?
Werner Tübke (1929–2004) nimmt in der Malerei des späten 20. Jahrhunderts eine Sonderstellung ein. Er arbeitete figurativ und ‚realistisch‘, aber mit Wirklichkeitswiedergabe hat seine Kunst nichts zu tun. Sie ist nicht affirmativ, sie knüpft programmatisch an die lange Tradition der Kunstgeschichte an, schreibt sie fort und bricht nicht mit ihr, wie es bei vielen anderen deutschen Künstlern nach dem Zweiten Weltkrieg zu beobachten ist. Tübke ist, wie Beaucamp an anderer Stelle treffend bemerkt hat, entschiedener „Individualist“. Es ging ihm nicht darum, allgemeingültige Wahrheiten in allgemeingültige Formeln zu gießen, sondern seinen ganz persönlichen, sich wandelnden Blick auf die Welt in die Kunst zu übersetzen – und das angesichts einer offiziellen DDR-Kulturpolitik, die sich explizit gegen Individualismus und Subjektivismus aussprach.
Wie lässt sich Werner Tübkes vielschichtiger Bildkosmos beschreiben? Welche zentralen Themen und Motive spiegeln sich in den Arbeiten der Ausstellung?
Grundlegend ist für Tübke die Vorstellung einer Wiederkehr des ewig Gleichen. Die Welt verändert sich, aber bleibt im Grunde doch unveränderlich. Der Mensch, unabhängig von der Geschichte, von politischen Systemen, stirbt, liebt, leidet…. Diese Grundkonflikte stehen im Zentrum von Tübkes dichten Kompositionen, die manchmal wie Bildergeschichten anmuten, aber keine schlüssigen Erzählungen liefern oder liefern wollen.
Unsere Erwartungshaltung und auch der Realitätsbezug werden in seiner Kunst immer wieder unterlaufen, verwandelt: Als 1957 bei einem Übungsunglück der Bundeswehr in der Iller mehrere Soldaten ertranken, zeichnete er z.B. eine Bergungsszene, die sowohl Stilelemente des Manierismus als auch altmeisterliche Bildtraditionen zur Kreuzabnahme Christi aufgreift. Die Darstellung wird dadurch vom Zeitbedingten ins Zeitlose enthoben, die konkrete Bildaussage bleibt dennoch in der Schwebe. Tübkes Zeichnungen fordern auf, immer wieder genau hinzusehen, das Gesehene in Frage zu stellen, aber auch Unauflösbares auszuhalten. Darin liegt eine der großen Stärken und auch die Aktualität seiner Kunst.
Werner Tübke beschrieb das Zeichnen als ein „elementares Bedürfnis“. Welche Bedeutung hatte das Zeichnen in seinem Schaffen – und wie verhalten sich seine grafischen Arbeiten zu seinen Gemälden?
Tübke hat seinen künstlerischen Prozess einmal selbst als „Denken in Bildern“ beschrieben. Er umkreist seine Themen malend oder zeichnend, nähert sich ihnen aus verschiedenen Blickpunkten und über verschiedene Medien. Einer der bedeutendsten und umfänglichsten Werkkomplexe Tübkes, der zur nationalsozialistischen Unrechtsjustiz – „Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze“ (1965–1967) – besteht aus elf Gemälden, 15 Aquarellen und etwa 65 Zeichnungen; sechs davon zeigen wir in der Ausstellung. Die Zeichnungen dienen nur selten der Vorbereitung – ob als Ideenskizze, Kompositionsentwurf oder Detailstudie. Sie sind ebenso eigenständig wie die Gemälde, die bei Tübke meist bis ins letzte Detail ausgearbeitet sind. Die Zeichnungen prägt eine größere Freiheit und formale Vielfalt. Das macht sie so faszinierend.
Werner Tübke gilt als einer der bedeutendsten Maler der DDR. Wie lässt sich sein Verhältnis zum DDR-Staat und zur offiziellen Kunstpolitik beschreiben?
Am treffendsten vielleicht als Spannungsfeld. Um dieser Frage gerecht zu werden, müsste man sehr weit ausholen. Tübkes Karriere verlief keineswegs geradlinig. Vor allem in den frühen Jahren erntete er für seine Kunst immer wieder harsche Kritik. Erst mit der internationalen Anerkennung ab den 1970er-Jahren begann letztlich der überragende Erfolg, der auch dazu führte, dass er als ‚Staatsmaler‘ gehandelt wurde. Dabei war Tübkes Entscheidung für die Figuration von Beginn an eine freie, auch die Entscheidung, an die künstlerische Tradition anzuknüpfen – unabhängig davon, dass sich beides mit der offiziellen Kunstdoktrin deckte. Vielmehr unterlief Tübke sowohl in seinen eigenständigen Arbeiten als auch bei offiziellen Aufträgen die ideologische Sicht auf die Geschichte und die formalen Vorgaben eines sozialistischen Realismus. Das gesamte Schaffen Tübkes ist ein eigenwilliges, in sich geschlossenes und außerordentlich konsequentes Œuvre.
Welche Bedeutung hat die Schenkung der 46 Zeichnungen und Aquarelle Werner Tübkes von Barbara und Eduard Beaucamp für das Städel Museum?
Eine Schenkung, wie die des Ehepaars Beaucamp, ist unschätzbar: Sie verstärkt unseren Bestand im Bereich der deutschen Nachkriegskunst genau da, wo bisher Lücken bestehen, nämlich im Bereich der Kunst der DDR. Hinzu kommt die besondere Qualität der Beaucampschen Sammlung: Eduard Beaucamp ist seit Jahrzehnten einer der versiertesten Kenner Tübkes, er und seine Frau waren außerdem eng mit Tübke befreundet; das spiegelt sich in der konzentrierten Werkauswahl wider, die ein feines Gespür für Qualität und ein tiefes Verständnis von Tübkes Kunst bezeugt – und genau das wird in der Ausstellung für unsere Besucherinnen und Besucher erlebbar.
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