Navigation menu

Zur Ernsthaftigkeit der Komik

Bissig, brisant, komisch – Vor allem mit seinen Karikaturen machte sich Honoré Daumier im politischen Paris des 19. Jahrhunderts einen Namen. Aber wie funktionieren Karikaturen? Und weshalb kam Daumier für sie ins Gefängnis? 

Anna Huber — 22. Februar 2024

Comedy, Satire, Karikatur – die witzigen und bissigen Seiten der Kultur sind aus unserer Gesellschaft nicht wegzudenken. Doch Lachen und Lächerlichmachen kann in der Öffentlichkeit zu einem heiklen Unterfangen werden: Der geachtete Chefkarikaturist einer großen internationalen Tageszeitung wird gekündigt; ein populärer Satiriker, der die Machthaber unserer Welt im öffentlich-rechtlichen Fernsehen durch den Kakao zieht, geht durch langwierige Rechtsprozesse; polemische Karikaturen lösen Reaktionen der Wut, gar der tödlichen Gewalt aus. Solche Vorfälle unserer Gegenwart verraten: Lachen kann eine sehr ernste Angelegenheit sein – und das nicht erst seit gestern.

Wie funktionieren Karikaturen?

Auch für Honoré Daumier (1808–1879), den großen französischen Karikaturisten des 19. Jahrhunderts, wurde seine spitze Zeichenfeder zum Problem: In politisch umkämpften Zeiten, in denen Frankreich auf dem Scheideweg zwischen parlamentarischer Republik und Monarchie schwankte, stand der Veröffentlichung seiner genialen Bilderfindungen häufig die staatliche Zensur im Weg. Und im August 1832 wanderte Daumier – nach bereits abgeleisteten Geld- und Bewährungsstrafen – für ein halbes Jahr ins Gefängnis. Worin liegt also die Brisanz des Komischen? Wie funktionieren Karikaturen überhaupt? Und warum treiben Komik und Satire Menschen manchmal so heftig um?

Honoré Daumier, Gargantua, 1831, © Privatsammlung

Die Gelder, die in seinen weit aufgesperrten Mund wandern, kommen hinten in Form von Orden und Ernennungsurkunden für die Parlamentsabgeordneten der Julimonarchie wieder heraus. Statt der metaphysischen Gesetzmäßigkeit der Königswürde offenbart Daumier eine sehr physische Realität des Stuhlgangs – die Julimonarchie, nichts als ein Haufen Kacke.

In Daumiers Fall scheinen die Antworten auf der Hand zu liegen: Der Karikaturist war ein stolzer Republikaner. Einige Jahrzehnte nach der Französischen Revolution riskierte er viel, um sich für die demokratische Zukunft der „Grande Nation“ einzusetzen, und lieferte unermüdlich Beiträge für die satirisch-politischen Zeitschriften „Le Charivari“ und „La Caricature“. Während der Julimonarchie (1830–48) nutze Daumier wie kein anderer die Schärfe der Karikatur, um die antirepublikanischen Kräfte seiner Gesellschaft ins Lächerliche zu ziehen. Dabei wusste der große Künstler des Bildwitzes wohl sehr genau: Komik kann zur Waffe werden – zu einer Waffe, die den Mächtigen den Spiegel vorhält. Denn im Lachen lässt sich die Austauschbarkeit, die Nicht-Notwendigkeit der Macht entlarven: Selbst der König ist nur ein Mensch – angesichts seines royalen Pomps sogar ein allzu irdischer, allzu menschlicher Mensch, auf den sich mit dem Finger zeigen lässt. So präsentiert jene Karikatur, für die Daumier eine Bewährungsstrafe verhängt wurde, König Louis-Philippe als riesenhaften, Birnen-förmigen Vielfraß, der auf seinem Tron, einem Toilettenstuhl, sitzt und kackt. 

Strategien der Komik

Das Satire-Image der Birne ist der König nicht mehr losgeworden, trotz der immer strikter werdenden Zensur und Strafe. Mal verformten Daumier und andere Karikaturisten nur den Kopf Louis-Philippes zur gewölbten Frucht, mal tauchte gleich die ganze pralle „poire“ als königliche Stellvertreterin in den Karikaturen auf.

Honoré Daumier, Herr Dingsda, Europas führender Seiltänzer, 1833, © Privatsammlung

Ein Menschen zu einem Ding (in diesem Fall zu einem Obst) machen oder auch ein Ding vermenschlichen – diese Umkehrungen des Gewohnten und Realen gehören zu den ältesten Funktionsweisen der Komik. Die Absurdität des Bildes einer Birne, die mit Schirm und Zylinder über ein Seil spaziert, lässt uns lachen – vor allem wenn ein nicht gerade geschätzter Machthaber zur Zielscheibe des Spotts wird. Mithilfe der Überraschung, Vertauschung und Übertreibung baut die Karikatur eine Distanz zur Realität des Alltags auf und vermittelt so das scharfe Hinterfragen, die Kritik an den bestehenden (Un-)Ordnungen der eigenen Gesellschaft.

In Aufruhr

Zu Daumiers Lebzeiten gab es für einen Karikaturisten viel zu tun: Nicht nur politisch war Frankreich in Aufruhr, auch die Lebensrealitäten veränderten sich rasant! Auf die Julimonarchie folgte das kurze bürgerlich-demokratische Intermezzo der Zweiten Republik (1848–52) und die Rückkehr repressiver Autoritätsherrschaft unter Kaiser Napoleon III. (1852–70). Die fortschreitende Technisierung und Industrialisierung modernisierten währenddessen die Welt und stellten alles Altbekannte auf den Kopf.

Honoré Daumier, Vorschlag des Charivari an Mr. Léon Faucher ..., 1851, © Privatsammlung

Das damalige Lebensgefühl, das nichts mehr sicher und verlässlich sei, hat Daumier mehrfach in seinen Karikaturen eingefangen. Die köstlich-komische Darstellung von Innenminister Léon Faucher, beispielsweise, der in Gestalt eines Telegrafenmasts über dem Dächermeer von Paris erscheint, kommentierte nicht nur einen konkreten Skandal, der dem Politiker zuvor sein Amt gekostet hatte. Die Karikatur reflektiert auch ganz allgemein die Rolle der nagelneuen Telekommunikationsmedien für das ins Wanken geratene politische und gesellschaftliche Gefüge. Fast alles, was Angst macht, lässt sich verlachen: Eine tief aufgestaute Nervosität oder auch Wut im Lachen über einen satirischen Witz oder eine Filmkomödie ablassen zu können – dieses befreiende Gefühl kennt (hoffentlich!) jeder moderne Mensch.

Karikatur als Weckruf

Besonders deutlich wird diese entlastende Funktion der Komik angesichts Daumiers Karikaturen aus den 1850er Jahren, die den durchgreifenden Stadtumbau von Paris unter Napoleon III. zum Thema haben. Der Kaiser ließ ab 1852 ohne große Rücksicht auf Verluste ganze Viertel niederreißen, um der „versumpften“ Metropole eine neue, monumentale Schönheit zu verleihen.

Honoré Daumier, Los Bürger, aufgestanden, schnell …, 1852, © Privatsammlung

Die traumatisierende Bedrohung, die der Verlust der eigenen Wohnstätte für Arbeiter und Kleinbürger real bedeuten konnte, kanalisierte Daumier in originellen Bildern: Auf seinem Blatt „Los, Bürger, aufgestanden, schnell!“ steht dem Pariser Bürgersmann die Schlafmütze zu Berge, während er in ein ebenso erschrockenes Gesicht des Bauarbeiters vor seinem Fenster blickt. Auch in Schreckenszeiten lässt sich noch lachen. Aber aufgepasst! Hinter jedem Witz lauert ein politischer Weckruf an die bürgerlich-demokratischen Kräfte der Gesellschaft.

Honoré Daumier (1808–1879), Madame déménage! (Madame zieht um!), 1867 , © Privatsammlung

Lachen ist menschlich. Manch einer behauptet sogar, dass wir uns gerade in der Fähigkeit zu lachen, vom Tier unterscheiden. Doch auch dem „homo ridens“ kann das Lachen in der Kehle stecken bleiben: Wie gesagt, Komik ist oft eine verdammt ernste Angelegenheit. Als Napoleon III. in den 1860er Jahren das hochmoderne Transportmittel der Eisenbahn immer stärker für militärische Zwecke nutzbar machte und damit den Weg zu den verheerenden, technisierten Massenkriegen des 20. Jahrhunderts ebnete, erfand Honoré Daumier ein makabres Bild voller Weitsicht: Die Madame Mort (Frau Tod) sitzt als Skelett – ausgestattet mit Sense und Offiziershut – auf einer ratternden Dampflok. Eine solche Karikatur entlarvt unser Menschsein in seinen Fehlbarkeiten und Abgründen und fordert zur Haltung heraus. Das Grinsen des Totenschädels erinnert schließlich an eine Wahrheit, die von allen gleichermaßen respektiert werden muss: Das letzte Lachen in einem Menschenleben hat immer der Tod.


Anna Huber ist Stellvertretende Leiterin der Bildung und Vermittlung im Städel Museum und der Liebieghaus Skulpturensammlung. Die Ausstellung „Honoré Daumier. Die Sammlung Hellwig“ (24.1.–12.5.2024) hat ihr einmal mehr gezeigt, wie viel sich aus der Beschäftigung mit historischen Bildern für die eigene Gegenwart ziehen lässt.

Diskussion

Fragen oder Feedback? Schreiben Sie uns!

Newsletter

Wer ihn hat,
hat mehr vom Städel.

Aktuelle Ausstellungen, digitale Angebote und Veranstaltungen kompakt. Mit dem Städel E-Mail-Newsletter kommen die neuesten Informationen regelmäßig direkt zu Ihnen.

Beliebt

  • Honoré Daumier

    Zur Ernsthaftigkeit der Komik

    Wie Karikaturen funktionieren und warum Daumier für sie ins Gefängnis kam.

  • Der Film zur Ausstellung

    Honoré Daumier. Die Sammlung Hellwig

  • Die Ausstellungen im Städel

    Highlights 2024

    Unser Ausblick auf 2024: Freut euch auf faszinierende Werke von Honoré Daumier und Käthe Kollwitz, lernt die Städel / Frauen kennen, entschlüsselt die Bildwelten von Muntean/Rosenblum, erlebt die Faszination italienischer Barockzeichnungen und reist zurück in Rembrandts Amsterdam des 17. Jahrhunderts.

  • Städel Mixtape

    #34 Jan van Eyck – Lucca-Madonna, ca. 1437

    Ein ruhiger Moment mit Kerzenschein, ihr seid so vertieft, dass ihr alles um euch herum vergesst: Vor rund 600 Jahren ging es den Menschen ähnlich, wenn sie vor Jan van Eycks „Lucca-Madonna“ gebetet haben. In diesem STÄDEL MIXTAPE geht es um das Andachts-Bild eines raffinierten Geschichtenerzählers. 

  • Städel | Frauen

    Louise Schmidt: Bildhauerin!

    Teil 2 der Porträt-Reihe „Städel | Frauen“.

  • ARTEMIS Digital

    Digitales Kunsterlebnis trifft wegweisende Demenz-Forschung

    Wie sieht eine digitale Anwendung aus, die Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen zeit- und ortsungebunden einen anregenden Zugang zur Kunst ermöglicht? Ein Interview über das Forschungsprojekt ARTEMIS, über Lebensqualität trotz Krankheit und die Kraft der Kunst.

  • Gastkommentar

    Kunst & Schwarze Löcher mit Astrophysikerin Silke Britzen

    Was sieht eine Astrophysikerin in den Werken der Städel Sammlung? In diesem Gastkommentar eröffnet Silke Britzen (Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn) ihre individuelle Sichtweise auf die Kunstwerke im Städel Museum.