Die Künstlerin Elisabetta Sirani wurde schon zu Lebzeiten als Ausnahmetalent gefeiert. Aktuell ist in der Ausstellung „Fantasie und Leidenschaft“ eines ihrer virtuosen Werke zu bewundern. Was macht die Bologneser Malerin so besonders?
Eine Malerin zu werden war im 17. Jahrhundert nicht selbstverständlich, da Frauen der Zugang zu den akademischen Ausbildungsstätten verwehrt blieb. Wie die meisten Künstlerinnen dieser Zeit erlernte Elisabetta Sirani (1638–1665) das Handwerk also von ihrem Vater Giovanni Andrea Sirani (1610–1670) in der familiären Werkstatt.
Dennoch stand sie vor einer großen Schwierigkeit. Aufgrund ihres Geschlechts blieb ihr das Aktstudium an der Akademie verwehrt. Erst die dort erlernte Kenntnis der menschlichen Anatomie befähigte aber dazu, vielfigurige religiöse und mythologische Historiengemälde zu malen. Ein nicht zu vernachlässigender Punkt, da diese als angesehenste und auch lukrativste Gattung der Malerei galten. So waren Künstlerinnen zumeist auf Stillleben oder Porträts beschränkt. Nicht aber Sirani, die sich trotzdem als talentierte Historienmalerin einen Namen machte.
Die väterliche Ausbildung ebnete hierfür den Weg. Giovanni Andrea besaß einen reichen Bestand an Zeichnungen, Druckgrafiken und Gemälden großer Meister, die er seine Tochter studieren ließ. In der Werkstatt waren außerdem Abgüsse antiker Skulpturen und Wachsmodelle von Michelangelo verfügbar, an denen sich Sirani anatomisch schulen konnte. Nicht zuletzt hatte sie Zugriff auf die hauseigene Bibliothek, die wichtige Texte für das künstlerische Schaffen enthielt. Unter diesen Voraussetzungen konnte die junge Malerin ihr außergewöhnliches Talent entfalten.
Schnell entwickelte sich Sirani zu einer extrem gefragten Künstlerin. Bereits mit 17 Jahren fertigte sie große Altäre für die umliegenden Kirchen und übernahm mit Anfang zwanzig die Leitung der Werkstatt als ‚Maestra‘ (Meisterin). Ihre zahlreichen Aufträge hielt sie bis zu ihrem plötzlichen Tod mit nur 27 Jahren in einem Notizbuch fest, das ihr Biograf Carlo Cesare Malvasia veröffentlichte. So wissen wir heute von über 200 Gemälden, die Sirani in ihrem kurzen Leben für namhafte Kunden wie die Medici oder Königin Christina von Schweden schuf. Eine außergewöhnliche Leistung, nicht nur für eine Frau.
Dass die eindrucksvollen Historien von einer Künstlerin stammten, konnten die Zeitgenossen kaum glauben. Um entstehende Gerüchte aus dem Weg zu räumen, malte Sirani vor Publikum – eine grandiose Marketingstrategie, denn so wurde ihr Atelier zu einer beliebten Sehenswürdigkeit in Bologna und sie zu einer wahren Berühmtheit.
Bei den Auftraggebern waren besonders ihre Darstellungen der Madonna mit dem Kind beliebt. Kein anderes Motiv stellte die Künstlerin so oft dar. Ihre zahlreichen Variationen zeigen die innige Beziehung von Mutter und Kind auf besonders einfühlsame Weise.
Ihre Gemälde bereitete Sirani häufig in detaillierten Studien vor. Heute können ihr über 100 Zeichnungen zugeordnet werden. Dies macht sie zur ersten historisch fassbaren Künstlerin, die sich intensiv mit dem Medium der Zeichnung beschäftigte.
Sirani brillierte bei der Verwendung verschiedenster Zeichenmittel. Kein Wunder also, dass auch ihre Arbeiten auf Papier bei Sammlern heiß begehrt waren. Ein schönes Beispiel ist die meisterhaft ausgeführte Rötelstudie einer Madonna mit Kind.
Berühmt war sie allerdings vor allem für eine Technik, die ihr Biograf als „die Art großer Meister“ beschrieb, „die nur wenige beherrschten“. So legte sie ihre Kompositionen zumeist mit Kreide an und verlieh ihnen anschließend durch eine mit verdünnter Tinte aufgetragene Lavierung Plastizität. Ein Beispiel hierfür ist das Blatt „Johannes der Täufer predigt in der Wüste“ des Städel Museums. Aufgrund der qualitätvollen Ausführung wurde es lange ihrem Vater zugeschrieben. Dieses Schicksal teilen Werke vieler Künstlerinnen dieser Zeit, da die Werke von Frauen weniger bekannt waren und ihnen nicht viel zugetraut wurde.
Die Studie entstand 1657/58 in Vorbereitung auf Siranis ersten öffentlichen Auftrag in Bologna: ein Altargemälde für die Kirche San Girolamo. Letztendlich stellte sie aber nicht den predigenden Johannes dar, sondern malte eine Taufe Christi.
Siranis Nachruhm begründet sich nicht nur auf ihren beeindruckenden Erfolg in der Historienmalerei. Als leuchtendes Beispiel nahm sie auch eine Vorreiterrolle für angehende Künstlerinnen ein und machte ihre Werkstatt zu einem besonderen Ort für Frauen. Hier beschäftigte die junge Meisterin nicht nur einige Mitarbeiterinnen, sondern bildete auch Malerinnen aus. Auf diese Weise half sie anderen Frauen, wie beispielsweise ihren Schwestern Barbara (1641–1692) und Anna Maria (1645–1715) oder Ginevra Cantofoli (1618–1672), in ihre Fußstapfen zu treten. Leider wissen wir über ihre Nachfolgerinnen bislang noch zu wenig. Hier wartet noch einiges an Arbeit auf die kunstgeschichtliche Forschung.
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