Navigation menu

„Selbstbildnis mit verschränkten Armen“ von Ottilie Roederstein

Das Selbstbildnis von Ottilie Roederstein von 1926 zeigt eine Frau mit skeptischem Blick, konzentrierter Miene und verschränkten Armen – zugleich wirft das Werk Fragen auf: Wer war diese Frau? Was beschäftigte sie und was wollte sie uns mit ihrer Haltung über ihre Person und Kunst sagen? In unserem Blogbeitrag betrachten wir nicht nur dieses, sondern noch weitere ihrer Selbstporträts und gehen diesen Fragen auf den Grund.

Mandy Meissner — 25. Februar 2014
Ottilie Roederstein (1859-1937); Selbstbildnis mit verschränkten Armen, 1926; Öl auf Leinwand, 55,1 x 46 cm; Städel Museum,  Frankfurt am Main, Foto: Städel Museum – Artothek

Ottilie Roederstein (1859-1937); Selbstbildnis mit verschränkten Armen, 1926; Öl auf Leinwand, 55,1 x 46 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main, Foto: Städel Museum – Artothek

 Roederstein im Blick

Fast frontal positioniert sich die deutsch-schweizerische Malerin Ottilie W. Roederstein (1859–1937) in dem 1926 geschaffenen Selbstporträt vor dem Betrachter. Ihre Augen blicken ruhig und konzentriert ins Gegenüber. Der Mund ist geschlossen, die Brauen liegen in strengen Falten. Hinter dem kragenlosen grauen Mantel scheint ein hellgraues Hemd hervor. Die verschränkten Arme ruhen an ihrem Brustkorb. Dabei bilden Roedersteins Haar, Gesicht und die angeschnittene linke Hand sowie ihr Signet nahezu die einzigen Lichtpunkte in diesem Porträt. Der maskulin geschnittene Mantel verschwindet fast im grauen Dunkel des Hintergrunds. Ihre Kleidung wird neutralisiert. Was im Bild einzig sichtbar bleibt und sich mittels der Lichtpunkte im Werk symbolisch hervorhebt – die Hände, das Gesicht, das Signet - sind ihre Ideen und ihre Schaffenskraft. Was hat Roederstein zu dieser ernsten, fast nüchternen Selbstdarstellung bewogen?

Roederstein im Kontext

Roederstein, die in Zürich, Berlin, Paris, Frankfurt am Main und schließlich seit 1891 in Hofheim am Taunus lebte und arbeitete, erlangte als Porträtmalerin viel Anerkennung. Zeit ihres Lebens fertigte sie jedoch auch eine große Anzahl von Selbstbildnissen an. Allein 1926, dem Entstehungsjahr unseres Bild des Monats, das auch in der Sammlung der Kunst der Moderne im Städel zu sehen ist, schuf sie neun weitere Selbstporträts. Gab es in diesem Jahr einen besonderen Einschnitt in ihrem Schaffen, was bewog sie zu dieser mehrmaligen Selbstdarstellung? Musste sie sich in diesem Jahr ihrer selbst versichern, sich als Künstlerin immer wieder neu positionieren oder wollte sie sich einfach nur ausprobieren? Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Die mittlerweile 67-Jährige fand in dieser Zeit zu ihrem eigenen Stil. Sie selbst beschrieb diese Zeit wie folgt: „Diese Lebensjahre sind die ernstesten und trotzdem wohl zutiefst ausgeglichensten meines Arbeitsdaseins gewesen. Denn ich war in dieser Zeitspanne, da ich erfüllt und aufgewühlt von der gewaltigen Tragik des Kriegsfolgen täglich versuchte, mich mit Leben und Welt auseinanderzusetzen und wahrhaft vertraut zu machen, zu intensiver Lebens- und Arbeitskonzentration gezwungen und wurde gedrängt zu einer Abkehr von allem.“

Roederstein im Konflikt?

Diese „Abkehr vom allem“ zeigt sich auch in zwei weiteren Selbstbildnissen, die im gleichen Jahr entstanden sind. In diesen Zeichnungen, die Roederstein im Profil zeigen, wendet sie sich im Vergleich zum vorherigen Porträt jedoch konsequent vom Betrachter ab. Sie würdigt ihn diesmal keines einzigen Blickes. Ihre Augen fokussieren die Ferne. Die harten Konturen im Gesicht lassen sie streng und zugleich resigniert wirken. Fast scheint es, als ob sie nicht mehr den Dialog mit ihrer Umwelt suchen würde.

Roederstein neben Roederstein

Die in Roedersteins Selbstbildnissen festgehaltene Abkehr ist jedoch vielmehr das Resultat einer jahrzehntelangen Selbstbefragung. Hier wird ihre künstlerische Emanzipation deutlich: Roedersteins intensive Befragung der eigenen Rolle als Künstlerin Anfang des 20. Jahrhunderts in einem männlich dominierten Kunstsystem wird sichtbar. So entsteht beispielsweise noch 20 Jahre zuvor mit dem in der Städel Sammlung befindlichen Werk „Selbstbildnis mit weißen Hut“ (1904) ein Selbstporträt, in dem sich die Malerin zwar forschend und befragend, aber doch wesentlich konventioneller darstellt.

Ottilie Roederstein (1859-1937); Selbstbildnis mit weissem Hut, 1904;
55,3 x 46,1 cm; 
Städel Museum,  Frankfurt am Main; Foto:
© Städel Museum - U. Edelmann - ARTOTHEK

Ottilie Roederstein (1859-1937); Selbstbildnis mit weissem Hut, 1904; 55,3 x 46,1 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main; Foto: Städel Museum - U. Edelmann - ARTOTHEK

Auch existieren Porträts von ihr, in denen sie sich mit Pinsel in der Hand als Künstlerin positioniert. Von diesen Selbstdarstellungen weicht sie im Laufe ihres Lebens immer mehr ab. Nicht nur die Spuren des Alters – ihre Haare werden weißer, ihre Gesichtszüge härter – zeigen sich in den Selbstbildnissen, auch ihre Kleidung wird maskuliner. In ihrem letzten Selbstporträt, entstanden 1936, zeigt sie sich schlussendlich mit verdeckten Hut, langer Kutte und Schlüssel der Hand. Roederstein hat sich die Welt erschlossen, sie muss niemanden mehr beweisen, dass sie das Zeug zur Künstlerin hat. Sie ist etabliert und ein wichtiger Name in der Kunstszene.

Ottilie Roederstein (1859-1937); Selbstbildnis mit Schlüsseln, 1936; Öl auf Leinwand, 105,3 x 74,6 cm; Städel Museum,  Frankfurt am Main, Foto: Städel Museum – Artothek

Ottilie Roederstein (1859-1937); Selbstbildnis mit Schlüsseln, 1936; Öl auf Leinwand, 105,3 x 74,6 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main, Foto: Städel Museum – Artothek


Die Autorin Mandy Meißner arbeitet als Praktikantin in der Abteilung Marketing des Städel Museums. Durch die Auseinandersetzung mit Roedersteins Selbstbildnissen wurde ihr Interesse an diesem Genre geweckt. Sie freut sich nun u.a. auf die Begegnung mit den Porträts von Käthe Kollwitz in der Sonderausstellung Vis-à-vis in der Graphischen Sammlung des Städel.

Diskussion

Fragen oder Feedback? Schreiben Sie uns!

Mehr Stories

  • In den Sammlungsräumen der Kunst der Moderne lassen sich viele Frauen als Bildmotiv finden. Max Klinger (1857–1920), Bildnis einer Römerin auf einem flachen Dach in Rom, 1891; Öl auf Leinwand, Städel Museum, Frankfurt am Main.
    Frauen & Kunst

    Die Frauen im Blick – der Blick der Frauen

    Frauen und Kunst – das ist ein großes Thema. Nur ein Schritt in die Bibliothek, ein Klick im Netz und schon findet man sich in einem Meer von Publikationen wieder. Weitaus leichter und lohnender ist der Weg in die Sammlungspräsentation der modernen und zeitgenössischen Kunst im Städel Museum. Wer hier nach den Frauen – in der Kunst und als Künstlerin – Ausschau hält, kann einiges entdecken.

Newsletter

Wer ihn hat,
hat mehr vom Städel.

Aktuelle Ausstellungen, digitale Angebote und Veranstaltungen kompakt. Mit dem Städel E-Mail-Newsletter kommen die neuesten Informationen regelmäßig direkt zu Ihnen.

Beliebt

  • Städel | Frauen

    Marie Held: Kunsthändlerin!

    Teil 5 der Porträt-Reihe „Städel | Frauen“.

  • Fantasie & Leidenschaft

    Eine Spurensuche

    Bei der Untersuchung von über 100 italienischen Barockzeichnungen kamen in der Graphischen Sammlung bislang verborgene Details ans Licht.

  • Städel Mixtape

    Kann man Kunst hören?

    Musikjournalistin und Moderatorin Liz Remter spricht über Ihre Arbeit und den Entstehungsprozess des Podcasts.

  • Städel | Frauen

    Künstlerinnen-Netzwerke in der Moderne

    Kuratorin Eva-Maria Höllerer verdeutlicht, wie wichtig Netzwerke für die Lebens- und Karrierewege von Künstlerinnen um 1900 waren und beleuchtet deren Unterstützungsgemeinschaften.

  • Muntean/Rosenblum

    Nicht-Orte

    Anonyme Räume, flüchtige Begegnungen: Kuratorin Svenja Grosser erklärt, was es mit Nicht-Orten auf sich hat.

  • Städel Mixtape

    #42 Albrecht Dürer - Rhinocerus (Das Rhinozeros), 1515

    Ein Kunstwerk – ein Soundtrack: Der Podcast von Städel Museum und ByteFM.

  • Alte Meister

    Sammler, Stifter, Vorbild

    Sammlungsleiter Bastian Eclercy und Jochen Sander im Interview zum neuen Stifter-Saal.

  • ARTEMIS Digital

    Digitales Kunsterlebnis trifft wegweisende Demenz-Forschung

    Wie sieht eine digitale Anwendung aus, die Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen zeit- und ortsungebunden einen anregenden Zugang zur Kunst ermöglicht? Ein Interview über das Forschungsprojekt ARTEMIS, über Lebensqualität trotz Krankheit und die Kraft der Kunst.

  • Städel Dach

    Hoch hinaus

    Die Architekten Michael Schumacher und Kai Otto sprechen über Konzept, Inspirationen und die Bedeutung des Städel Dachs für Besucher und die Stadt.

  • Gastkommentar

    Kunst und die innere Uhr mit Chronobiologe Manuel Spitschan

    Was sieht ein Chronobiologe in den Werken der Städel Sammlung?

  • Städel Digital

    Städel Universe: Von der Idee zum Game

    Im Interview gibt Antje Lindner aus dem Projektteam Einblicke in die Entstehung der hybriden Anwendung.

  • Engagement

    Die „Causa Städel“

    Was an Städels letztem Willen so besonders war und worauf man heute achten sollte, wenn man gemeinnützig vererben möchte.