Guido Renis „Himmelfahrt Mariens“ ist ein frühes Schlüsselwerk seiner Kunst. Aber wie kam das Bild überhaupt in die Sammlung? Kurator Bastian Eclercy erzählt die Geschichte eines folgenreichen Ankaufs.
Wenn sich ein Kreis schließt, ist das die Gelegenheit, auf den Anfang zurückzublicken. Im ersten Saal der Ausstellung „GUIDO RENI. Der Göttliche“ ist es gelungen, erstmals alle transportablen Fassungen der „Himmelfahrt Mariens“ an einem Ort zusammenzuführen – ein Lebensthema Renis, mit dem er sich von seinen Anfängen in Bologna über die römische Zeit bis zu seinen späten Jahren immer wieder neu beschäftigt hat. Das eindrucksvolle Ensemble gewährt wie im Zeitraffer einen Einblick in das, was die Kunst des „divino“ ausmacht.
Am Beginn jener Serie steht die kleine Kupfertafel aus dem Städel Museum, der Ausgangspunkt der Ausstellung. Auf diese Bilderfindung sollte der Künstler sein Leben lang zurückkommen – in stets neu durchdachten Variationen. Das macht das 2014 für das Städel Museum erworbene Gemälde zu einem Schlüsselwerk. Sein Weg in die Sammlung ist eine aufregende Geschichte, an die ich mich gerne erinnere.
Das Durchblättern von Auktionskatalogen gehört zum Tagesgeschäft eines Kurators, der sich über Neuigkeiten auf dem Kunstmarkt auf dem Laufenden halten will und muss. Meist ist das weniger aufregend, als man es sich vorstellen mag, sammeln Museen doch aus der Fülle der Kunstproduktion vergangener Zeiten mit gutem Grund vor allem die Spitze des Eisberges. Im Frühjahr 2013 flatterte ein Altmeister-Katalog des Auktionshauses Koller in Zürich auf meinen Schreibtisch, bei dessen routinemäßiger Durchsicht mir das Los mit der Nummer 3023 sofort ins Auge fiel. Der Text war rasch überflogen, die vornehme und lückenlose Provenienz nahm ich erfreut zur Kenntnis. Das Bild selbst ließ mich nicht mehr los, und so verbrachte ich einen halben Vormittag damit, die großformatige Abbildung in allen Details wieder und wieder zu betrachten.
In der heimischen Bibliothek wälzte ich des Abends alles, was ich an Literatur zu Guido Reni im Regal stehen hatte und fand „mein“ Bild dort vielfach verzeichnet: „location unknown“. Alle Reni-Forscher kannten die schon im 17. Jahrhundert quellenmäßig bezeugte „Himmelfahrt Mariens“ bislang nur durch eine ältere Schwarz-Weiß-Fotografie; das äußerst delikate, ja hinreißende Kolorit der Tafel wurde erstmals in der Farbabbildung im Auktionskatalog offenbar. Aufschlussreich war der eingehende Vergleich mit anderen Werken aus Renis frühen Jahren in Bologna, zwischen seinem Eintritt in die Akademie der Carracci 1595 und seinem Weggang nach Rom 1601. Dass diese „Himmelfahrt Mariens“ sogar Renis kühnstes und wegweisendstes, ja wohl sein bestes Bild dieser spannenden Frühphase ist, sollte mir erst später klarwerden. Zu dieser Zeit war ich noch nicht am Städel Museum tätig. So verfolgte ich zwar den Verkauf bei der Auktion, ließ es aber im Übrigen dabei bewenden.
Anfang 2014 übernahm ich die Stelle des Italiener-Kurators am Städel Museum und wurde vom damaligen Direktor Max Hollein beauftragt, einen kapitalen, die Sammlung nicht nur ergänzenden, sondern transformierenden Vorschlag für einen Ankauf anlässlich des 200-jährigen Jubiläums des Museums zu erarbeiten. Als größtes Desiderat hatte ich eine Schließung der Sammlungslücke im Bereich der italienischen Malerei des Früh- und Hochbarock ausgemacht, die im Städel nur punktuell und nicht repräsentativ vertreten war. Beim Durchforsten des Angebots der einschlägigen Altmeister-Händler machte ich eine überraschende Entdeckung: Da war sie wieder, Guido Renis „Himmelfahrt Mariens“ nicht auf dem vermeintlichen Kaminsims eines Privatsammlers, sondern im Portfolio des Londoner Händlers Jean-Luc Baroni stand sie zum Verkauf – ein glückliches, gänzlich unerwartetes Déjà-vu. Und mit einem Mal war da auch die handfeste Chance, das mir schon vertraute Bild nach Frankfurt zu holen. Aus dem zweckfreien wissenschaftlichen Interesse wurde nun eine faszinierend reale Perspektive, aus der freilich ebenso ein hohes Maß an Verantwortung für eine folgenreiche Entscheidung erwuchs. So begann der Prozess der eingehenden Prüfung und Recherche: Zuschreibung, Provenienz, Qualität, Zustand, Preis, Sammlungskontext waren dabei die Leitfragen. All diese Aspekte in einem Ankaufsdossier ausführlich zu Papier bringen zu müssen, schärfte noch einmal den Blick fürs Detail.
Nach dieser Phase der Selbstvergewisserung und mit besagtem Papier bewaffnet, hieß es jetzt, die Entscheidungsträger in ähnlichem Maße für das Bild zu entflammen. Die Sachfragen hatten sich problemlos klären lassen, so dass die Argumentation leicht zu führen war, doch sind Ankäufe immer auch Richtungsentscheidungen und nie ganz frei vom individuellen Geschmack. Ich denke, ausschlaggebend waren letztlich nicht nur das Bewusstsein für die Geschichtlichkeit, den kunsthistorischen Rang von Guido Renis Preziose, sondern noch mehr ihre überzeitlichen Qualitäten, die virtuose Brillanz der Malerei, die Schönheit, die berührende Poesie und Phantasie jener Himmelsvision, die Reni auf der kleinen Tafel ersonnen hat.
Nach der ersten internen Präsentation und Vorstellung des Ankaufsvorhabens beim Städelschen Museums-Vereins und der dort erfahrenen Unterstützung stand noch die vielleicht wichtigste Etappe aus: die Untersuchung des Originals. Hierfür bot sich die im März 2014 in Maastricht stattfindende TEFAF an, die größte Kunstmesse der Welt, auf der das Bild eingehend studiert werden konnte. Ein aufregender Moment und die spannende Frage: Bestätigt das Original den an hochauflösenden Abbildungen gewonnenen Eindruck? Es übertraf diesen noch bei weitem. Das feine Relief der Farben auf der glatten Kupfertafel, die Strahlkraft und Subtilität des Kolorits, die Eleganz der Pinselführung – all dies wurde in deutlich gesteigerter Form bei der nahsichtigen Betrachtung mit der Lupe offenbar. Auch das ungemein reizvolle Wechselspiel zwischen der Intimität des Kleinformats und der erstaunlichen Monumentalität der Komposition machte erst die Begegnung mit dem Original in seinen tatsächlichen Abmessungen von 58 x 44,4 cm erfahrbar.
Mit den frischen Eindrücken aus Maastricht erfolgte wenig später eine erneute Präsentation vor dem Vorstand des Städelschen Museums-Vereins. Gutachten wurden erstellt und der Leiter Kunsttechnologie und Restaurierung des Städel Museums, Stephan Knobloch, untersuchte den Erhaltungszustand der Tafel. Ein Spendenaufruf des Vereins erbrachte einen für die letztliche Realisierung enorm wichtigen Anteil. Das Städel Museum konnte dabei auf die großzügige Unterstützung von Fritz und Waltraud Mayer, I. Biermann, Dieter und Ingrid Seydler sowie auf zahlreiche weitere Groß- und Kleinspenden von Vereinsmitgliedern und fördernden Institutionen zählen. Was für ein bewegender Augenblick für alle, als die – nunmehr und für immer Städelsche – „Himmelfahrt Mariens“ endlich ihren Platz im großen Italiener-Saal einnahm!
So hatte das Bild – fast zwei Jahre nachdem ich darauf aufmerksam geworden war – seinen rechten Ort gefunden, zum ersten Mal in seiner Geschichte in einer öffentlichen Sammlung, hier im Städel Museum. Ein Geschenk des Städelschen Museum-Vereins für alle. Bevor es wieder seinen Platz in der Sammlungspräsentation einnimmt, bietet die Ausstellung noch bis zum 5. März 2023 die einmalige Gelegenheit, das Gemälde im Kontext von Guido Renis Gesamtwerk zu sehen.
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