Frauen traten um die Jahrhundertwende nicht nur vermehrt als Künstlerinnen in Erscheinung, sondern begannen auch, im Kunsthandel aktiv zu werden. Ein Beispiel dafür ist die Frankfurter Kunsthandlung von Marie Held, die zwischen 1908 und 1910 eine Drehscheibe für moderne französische und deutsche Kunst in der Mainmetropole wurde.
Am 21. Oktober 1908 eröffnete die Hamburgerin Marie Held in Frankfurt am Main eine Kunsthandlung in der Neuen Mainzer Straße 25. Auf ihrer Einladungskarte mit Jugendstilmotiv machte sie auf ihre ständig wechselnde Ausstellung von Kunst und Kunstgewerbe aufmerksam und bot sich als Vermittlungsstelle für künstlerische Aufträge jeder Art an.
Die Ankunft dieser neuen Akteurin wurde in der Frankfurter Zeitung mit einem sehr positiven Artikel über den Geschäftsbetrieb bedacht:
Marie Helds breit gefächertes Galerieprogramm umfasste vor allem Werke der französischen Avantgarde, von Honoré Daumier, Paul Cézanne, Claude Monet, Camille Pissarro, Auguste Renoir und Vincent van Gogh sowie von den deutschen Künstlern Lovis Corinth, Max Liebermann, Max Slevogt, Wilhelm Trübner und Jakob Nußbaum.
Auch mindestens ein Werk von Ottilie W. Roederstein wurde von ihr verkauft. Neben Gemälden handelte Held auch mit plastischen Arbeiten. Fritz Klimsch, August Gaul und Georg Kolbe gehören zu den prominenteren Bildhauern, die sie vertrat. Darüber hinaus bot sie eine umfangreiche Auswahl an Grafiken, die von James McNeill Whistler über Auguste Rodin und Théophile-Alexandre Steinlen bis zu japanischen Farbholzschnitten reichte. Abgerundet wurde Marie Helds Portfolio durch eine breite Palette kunstgewerblicher Gegenstände, die sie regelmäßig und offensiv in der hiesigen Presse bewarb. Die Frankfurter Zeitung urteilte daher zurecht:
Marie Held konnte bei der Eröffnung ihrer Galerie in Frankfurt bereits auf eine längere Tätigkeit als Kunsthändlerin zurückblicken. Zwischen 1901 und 1907 war sie unter ihrem Mädchennamen Herz in Hamburg Inhaberin des zunächst auf Kunstgewerbe und Kleinplastik spezialisierten „Salon Clematis“ gewesen. Dort hatte sie mit Ausstellungen von Werken des belgischen Bildhauers Constantin Meunier, aber auch mit einer Präsentation der expressionistischen Kunst der Brücke-Gruppe sowie einer Einzelausstellung mit Werken von Edvard Munch auf sich aufmerksam gemacht. Sie hatte sich damit für progressive und avantgardistische Strömungen entschieden, die beim Publikum und der Presse auf viel Kritik stießen. 1908 wagte sie den Sprung nach Frankfurt und setzte ihre Kunsthandelstätigkeit in der Mainmetropole fort. Der Impuls für diesen Ortswechsel kam vom Berliner Kunsthändler Paul Cassirer, mit dem sie in den kommenden Jahren eng zusammenarbeitete. In einer Art Joint Venture versuchten beide, Werke an das Städelsche Kunstinstitut und die Mannheimer Kunsthalle zu vermitteln, darunter Gemälde von Honoré Daumier und Pierre-Auguste Renoir, leider jedoch ohne Erfolg.
Dennoch engagierte sich Marie Held weiterhin für Werke der französischen Avantgarde, zu der man auch den Niederländer van Gogh zählte. Die Galerie Cassirer hatte sich in Berlin ab 1901 als Drehscheibe für die Vermarktung des Künstlers in Deutschland etabliert und dessen Gemälde an zahlreiche Privat- und Museumssammlungen vermittelt. Auf diese Weise wuchs der Ruhm van Goghs hierzulande stetig und es entwickelte sich ein regelrechter Hype um seine Kunst. Auch Marie Held trug zur Popularisierung van Goghs in Frankfurt bei, indem sie dessen Schwägerin Johanna Cohen-Gosschalk-Bonger 1910 um ein Konvolut von 40 Zeichnungen bat, die sie daraufhin in ihrer Galerie ausstellte. Die entsprechenden Briefe sind im Archiv des Van Gogh Museums in Amsterdam erhalten. Sie zeigen, dass Marie Held eine professionelle und engagierte Kunsthändlerin war, die zu überzeugen wusste.
Die van Gogh-Ausstellung war ein letzter Höhepunkt von Marie Helds Kunsthandelstätigkeit in Frankfurt, die sie bereits im April 1910 einstellte. Über die Gründe kann mangels Quellen nur spekuliert werden. Ihr Weggang wurde von der Presse jedoch mit Bedauern kommentiert:
Marie Held zog mit ihrem Ehemann Arthur nach Berlin und führte ihre Aktivitäten im Kunsthandel von ihrer Privatwohnung aus fort. Bislang ist über Marie Helds Berliner Zeit so gut wie nichts bekannt. 1941 wurde sie als Jüdin von den Nationalsozialisten in das Ghetto Litzmannstadt (Łódź) verschleppt und am 13. Mai 1942 im Vernichtungslager Kulmhof (Chełmno) ermordet.
In Anbetracht ihres progressiven Galerieprogramms, das der internationalen Avantgarde in Frankfurt für wenige Jahre ein Schaufenster bot, ist es an der Zeit, Marie Held in die Geschichtsbücher der Mainmetropole aufzunehmen und ihr Engagement für die moderne Kunst genauer zu erforschen.
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