Diese Zeichnung aus der Graphischen Sammlung des Städel Museums ist ungewöhnlich für Rembrandt und galt lange Zeit als Arbeit eines Nachahmers. Neue Recherchen sprechen jedoch für ihre Eigenhändigkeit.
Die Landschaftszeichnungen, die wir von Rembrandt kennen, sind ausschließlich Skizzen, vor allem solche, die er vor der Natur, auf seinen Spaziergängen in der Umgebung von Amsterdam, gezeichnet hat. Aus den so festgehaltenen Eindrücken erarbeitete er später in der Werkstatt Druckgrafiken – Radierungen und Kaltnadelradierungen – und auch einige Gemälde. Eine vollendete Landschaftskomposition wie die Fantasielandschaft mit hohem Felsengebirge ist als Zeichnung des niederländischen Meisters bisher nicht bekannt.
Außerdem findet man nur äußerst selten auf Rembrandts Zeichnungen eine Signatur wie hier (Abb. 2), auf seinen Druckgrafiken dagegen kommt sie, gerade in dieser Form, häufig vor. Aus diesen Gründen hat man dieses Blatt, das 1847 für das Städel Museum erworben worden ist, schon im 19. Jahrhundert als eine „Fälschung“ eingeordnet.
Um 1930 war man sich sicher, dass die Fantasielandschaft von der Hand eines Nachahmers des späten 18. Jahrhunderts stammte, der zahlreiche Zeichnungen mit prominenten Signaturen des „Goldenen Zeitalters der holländischen Malerei“produziert hatte. 1998 konnte dieser Fälscher, Karel La Fargue (1738-1793) aus Den Haag, tatsächlich identifiziert werden und man ordnete ihm etwa 170 Zeichnungen in den verschiedensten Sammlungen zu. Obwohl die Frankfurter Zeichnung dabei als nicht von ihm stammend ausgeklammert wurde, blieben die Forscher überzeugt, dass sie keinesfalls von Rembrandt sein könnte.
Vor etwa zehn Jahren äußerte erstmals der Rembrandt-Experte Martin Royalton-Kisch die Ansicht, es könnte sich bei der Fantasielandschaft doch um ein eigenhändiges Werk von Rembrandt handeln. Sein Vorschlag fand allerdings kein Echo in der Fachwelt; man hielt die traditionelle Überzeugung für zu gut begründet. Im Rahmen der Vorbereitung der Rembrandt-Ausstellung des Städel Museums regte die US-amerikanische Kunsthistorikerin Stephanie Dickey an, dieser Frage erneut nachzugehen. Ausführliche Recherchen haben nun den von Royalton-Kisch angeführten Argumenten weitere Indizien hinzufügen können, die eine Autorschaft Rembrandts unterstützen. Sie betreffen die Provenienz der Zeichnung, ihr Wasserzeichen, ihre Technik und ihre zeichnerische Qualität.
Dank der Forschung über Sammlermarken konnte aus einer der Markierungen auf der Rückseite der Schluss gezogen werden, dass das Blatt bereits im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts in einer bedeutenden Amsterdamer Privatsammlung war. Die Zeichnung kann also nicht aus dem späten 18. Jahrhundert stammen. Das Wasserzeichen ließ sich auch in anderen Zeichnungen Rembrandts und seines Umkreises finden, die alle in die 1640er-Jahre datiert werden.
In Zeichnungen Rembrandts, die mit schwarzer Kreide ausgeführt sind, finden sich häufig kleine Stellen, die mit in Wasser gelöstem weißen Pigment (Gips oder Kreide) abgetönt sind, sei es, um ein Detail zu korrigieren, sei es, um einen zu kräftig geratenen Akzent abzuschwächen. Solche Stellen finden sich auch in der Fantasielandschaft.
Diese Indizien machen es wahrscheinlich, dass die Zeichnung in Rembrandts Werkstatt und in den 1640er-Jahren entstanden ist, sie beweisen aber nicht seine persönliche Autorschaft. Diese lässt sich einzig aus der künstlerischen Qualität erschließen. Die Komposition zeigt nicht einen benennbaren Ort, sondern eine „Weltlandschaft“, die mit Gebirge, Fluss, Stadt und Land ein Ausdruck der göttlichen Schöpfung als ganzer sein will. In dieser Schöpfung, so zeigt die Zeichnung, ist der Mensch mit all seinen emsigen Tätigkeiten, und wenn er noch so hohe Gebäude errichtet, nur ein kleines unwichtiges Wesen. Eine Qualität der Zeichnung liegt darin, wie dies mit einfachen Mitteln ausgedrückt ist. Auf der kleinen Fläche des Papiers wird der Eindruck eines enormen, weiten Raumes geschaffen, zugleich gibt es viel zu entdecken, Reisende, ein Boot auf dem Fluss, musizierende Hirten oder eine Karawane von winzigen Wanderern auf halber Höhe im Gebirge. Diese Einzelheiten sind mit geringsten Kreidestrichen so wirkungsvoll angedeutet, dass man sie ohne weiteres verstehen und sich in sie hineindenken kann. Die unscheinbare, lange vernachlässigte Zeichnung entfaltet bei genauem Hinsehen einen unerwartet großen künstlerischen Reichtum.
Sollte die Zeichnung also von Rembrandt sein, so bleibt die Frage, warum er sie signiert und datiert hat. Eine mögliche Antwort wäre, dass er hier die Komposition eines anderen Künstlers wiederholte und seine Nachzeichnung als ein Werk seiner Hand kennzeichnen wollte. Das hat er in einigen Fällen so gemacht. Eine andere Erklärung könnte sein, dass er hier für einen anderen Künstler oder seine Werkstattmitarbeiter eine Art Vorbild oder Muster seiner Idee von „Weltlandschaft“ schaffen wollte. Weitere Forschungsarbeit und wissenschaftliche Diskussion sind notwendig, um die Zuschreibung der Fantasielandschaft des Städel Museums an Rembrandt zu stützen.
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