Navigation menu

Städel Museum Städel Museum

Trügerische Romantik

Philipp Fürhofer entführt uns in eine Welt zwischen Naturidylle und kapitalistischer Realität. Woher kommt diese ungebrochene Natursehnsucht und wie reflektieren seine Landschaftsbilder die Konflikte zwischen Mensch und Natur im 21. Jahrhundert?

Maja Lisewski — 22. September 2023

Es sind insbesondere die Künstler der Epoche der Romantik im 18. und 19. Jahrhunderts, die sich der Landschaftsmalerei zur Vergegenwärtigung des menschlichen Bestrebens nach Glück bedienten. Auch in Philipp Fürhofers vermeintlich idyllischen Landschaften scheint der menschliche Zwiespalt zwischen der Sehnsucht nach unberührter Natur und dem Drang nach stetiger Optimierung im 21. Jahrhundert durch – eine trügerische Romantik.

Weite Landschaftszüge, unzählige Pflanzen und die förmlich greifbare Hoffnung auf Harmonie fernab jeglicher Alltagslasten: Der Traum der unberührten Natur als Sehnsuchtsort der Vollkommenheit ist alt. Schon seit der griechischen Antike wird der Begriff „Arcadia“ als Sinnbild des menschlichen Glücks inmitten der Natur verwendet. Dabei schwebt Arkadien – ein griechisches Berggebiet – zwischen Illusion und Realität: Es löste sich von seiner geografischen Verortung und verwandelte sich zur Umschreibung einer geistigen Landschaft, die das Glück der heilen Welt verspricht.

2023 Stories ML Fuerhofer 06

Ausstellungsansicht „Philipp Fürhofer. Phantominseln“, Städel Museum, Frankfurt am Main, Foto: Norbert Miguletz

Natur zwischen Illusion und Ideal

Phantominseln sind ebenso ein mentaler Ort: Einst auf historischen Karten verzeichnete Inseln erwiesen sie sich im Laufe der Zeit als Fehler, Doppelung, Fata Morgana. Es sind Welten, die einst real geglaubt waren und doch nie existiert haben. So tun sich auch in Philipp Fürhofers Schaffen verleitende Welten auf: Palmen und Dschungelpfade, Waldlichtungen und Seenlandschaften umringen den Betrachter. Äste, Lianen, Sümpfe und Nebelschwaden entfalten sich in strahlenden Acryl- und Ölfarben auf dem gläsernen Bilduntergrund. Sonnenuntergänge an tropischen Stränden in intensivem Orange, Violett und Rosa rufen uns das Versprechen eines ganz persönlichen Arkadiens entgegen. Beleuchtet durch die dahinterliegenden Neonröhren erscheint die vielschichtige malerische Naturvision im Leuchtkasten durch den Spionspiegel hinweg. Erlischt das Licht, kehrt die reflektierende Wirkung zurück: Die Malerei vergeht vor unseren Augen und wir bleiben mit unserem Spiegelbild zurück.

2023 Stories ML Fuerhofer 01

Johann Franciscus Ermels

Landschaft bei aufziehendem Gewitter

ca. 1665 – 1670

Städel Museum, Frankfurt am Main

2023 Stories ML Fuerhofer 02

Caspar David Friedrich

Gebirge bei aufsteigendem Nebel

ca. 1835

Städel Museum, Frankfurt am Main

Die Mystik der Landschaft

Blicken wir zurück auf die Historie der Landschaftsmalerei, erfährt die Gattung mit der aufkommenden Epoche der Romantik ab dem 18. Jahrhundert einen erneuten Höhepunkt: Landschaftsansichten waren nun auch von der romantischen Idee durchtränkt, innere Empfindungen und Seelenzustände anzudeuten, wenn nicht sogar wiederzugeben. Der Bildgegenstand der wilden Natur, eingefangen in einem meist intensiven Licht- und Farbenspiel, diente den Künstlern als bildstrategisches Mittel. Vielleicht aufgrund ihrer Bewunderung enthoben Künstler die Natur zu einem fast fantasievollen Ort, intensivierten das Erlebnis der Durchwanderung von Schluchten, Wäldern und Wiesen. Natur wird dabei vom Ideal für Frieden und Glück nun auch zum Sinnbild für das Erhabene. So zielte die mystische Malerei eines Caspar Davids Friedrichs sogar auf die Vergegenwärtigung des Göttlichen, das in den Weiten der Natur verankert sei. Die Hinwendung zur transzendenten Dimension in den nebeligen Landschaften von Friedrich und anderen Künstlern der Romantik war kein Zufall: Mit den durch die Industrialisierung wuchernden Großstädten intensivierte sich im 19. Jahrhundert der Kontrast von Stadt und Natur mehr denn je; und die Sehnsucht nach der unberührten Landschaft wuchs.

2023 Stories ML Fuerhofer 03

Philipp Fürhofer (*1982)

Ersatzwelt, 2022

Courtesy of the artist

© Philipp Fürhofer, Foto: Henning Moser

2023 Stories ML Fuerhofer 04

Philipp Fürhofer

Fluids

2023 

Privatsammlung, Süddeutschland 

Courtesy of the artist © Philipp Fürhofer, Foto: Henning Moser

Eine (trügerische) Romantik des 21. Jahrhunderts?

Das Bildnis der Entzweiung von Mensch und Natur führt uns mit den immer schneller wachsenden Millionenstädten und dem schier unendlichen Antrieb zur individuellen Optimierung zurück ins 21. Jahrhundert und damit zu Fürhofers Leuchtkästen und Gemälden. Doch das hoffnungsvolle Versprechen von der Natur als Paradies ohne Sorgen und Lasten entpuppt sich auf dem zweiten Blick in seinen Werken als fatale Szenerie. Die einstige friedvolle wie auch mystische Atmosphäre der Natur zerbricht an der Oberfläche. Bilder von Waldbränden und Skelette, aber auch Supermarktregale oder Aufnahmen aus Hollywoodklassikern – beispielsweise eine Kussszene aus Alfred Hitchcocks „Über den Dächern von Nizza“ (1955) – blitzen collagenhaft hervor. Porträts von Schauspielern wie Grace Kelly und Cary Grant oder das perfekte Werbelächeln wandeln sich auf fast morbider Art und Weise zum Hinweis für den Grund der bröckelnden Illusion einer vollkommenen Natur – den Menschen.

Der Mensch und sein Verhalten beeinflusst seit Beginn der Industrialisierung seinen Lebensraum, die Erde, so stark wie nie zuvor. So sehr, dass Wissenschaftler seit 2016 von einem neuen geologischen Erdzeitalter sprechen – dem „Anthropozän“ –, um den menschengeschaffenen Einfluss auf die Erde und die globale Umwelt aufzuzeigen. Andeutungen dazu finden sich auch in Fürhofers Malerei in Form des vertrauten Kontrasts zwischen Kultur und Natur, Konsum und Vollkommenheit wieder. So ragen auch in den Baumkronen zwischen romantischen Nebelschleiern keine fragilen Äste hervor. Stattdessen bilden typische Werbeversprechen wie „natural beauty“, „hot and sexy“ und „forever young“ die gen Himmel gerichteten Blätter. Anstelle der Mystik einer möglichen transzendenten, göttlichen Präsenz in der Natur ist die kapitalistische Alltagsrealität getreten. Der Konsum als neue, höchste Religion? Fürhofer überlässt uns diese persönliche Auslegung, wenn wir durch seinen Bilderkosmos flanieren. Während uns in einem Moment einladende Wald- und Seenlandschaft entgegenblitzen, finden wir uns im nächsten Moment mit der Fragilität der Natur und damit unserer eigenen Existenzgrundlage konfrontiert. Mit den nur vermeintlich romantischen Bildern, die sich vor uns aufbauen und wieder verschwinden, führt uns Fürhofer die sich zuspitzende Dualität von Mensch und Natur in seiner Landschaftsmalerei vor Augen.


Maja Lisewski ist wissenschaftliche Volontärin in der Abteilung Gegenwartskunst am Städel Museum und war Projektleiterin der Ausstellung.

Philipp Fürhofer. Phantominseln“ ist noch bis 5. November 2023 im Städel Museum zu sehen.

Diskussion

Fragen oder Feedback? Schreiben Sie uns!

Mehr Stories

  • St presse schmueckle portraet c Tobias Kappel
    Interview mit Künstler

    Miron Schmückle

    Seine surrealen Mischwesen aus Pflanzen- und Tierwelt entspringen einer intensiven Naturbeobachtung und Fantasie. Im Interview spricht der Künstler Miron Schmückle über seine Liebe zu Pflanzen und warum der Mensch nicht das Maß aller Dinge sein muss.

  • SM 23 Mixtape Visual Middendorf Social Media 1080x1080
    Städel Mixtape

    #33 Helmut Middendorf – Electric Night (1979)

    Pulsierende Beats, durchtanzte Nächte, Exzess und der Rausch der Freiheit: Das alles transportiert sich in dem überlebensgroßen Gemälde „Electric Night“ von Helmut Middendorf aus dem Jahr 1979. 

  • St presse Ausstellungsansicht Victor Man 1 web
    Interview mit Kuratorin

    Abtauchen in eine ganz eigene Welt

    Die Porträts von Victor Man entführen uns in eine geheimnisvolle Welt. Welche verblüffenden Bezüge es zur Literatur und zur Kunstgeschichte gibt und warum diese zeitgenössischen Kunstwerke in der Dauerausstellung Alte Meister ausgestellt sind, verrät Kuratorin Svenja Grosser im Interview.

  • Staedel gastkommentar britzen kunst und schwarze loecher
    Gastkommentar

    Kunst & Schwarze Löcher mit Astrophysikerin Silke Britzen

    Was sieht eine Astrophysikerin in den Werken der Städel Sammlung? In diesem Gastkommentar eröffnet Silke Britzen (Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn) ihre individuelle Sichtweise auf die Kunstwerke im Städel Museum.

  • SM 23 Mixtape Visual Lasnig Social Media 1080x1080
    Städel Mixtape

    #31 Maria Lassnig – Selbstporträt mit Affen (Geliebte Vorväter), 2001

    Im Inneren wirbeln die Gefühle und Emotionen umher, während das Äußere völlig unberührt bleibt. Warum also nicht bei einem Selbstporträt das eigene Innenleben in Vordergrund rücken?

Newsletter

Wer ihn hat,
hat mehr vom Städel.

Aktuelle Ausstellungen, digitale Angebote und Veranstaltungen kompakt. Mit dem Städel E-Mail-Newsletter kommen die neuesten Informationen regelmäßig direkt zu Ihnen.

Beliebt

  • Giorgio Sommer, Amalfi Uferpromenade, ca 1860-1870, Städel Museum, Public Domain
    Mitmachen auf Instagram

    Wann hatten Sie #italienvoraugen?

    Egal ob die nächste Reise nach Bella Italia in Kürze ansteht, ihr euch an tolle Trips erinnert oder zuhause Italien-Feeling aufkommen lasst: Macht mit und zeigt uns Italien durch eure Augen!

  • Unbekannter Fotograf, Roederstein zwischen zwei Selbstporträts, 1936
    Das Roederstein-Jughenn-Archiv

    Aus dem Leben einer Künstlerin

    2019 erhielt das Städel Museum als großzügige Schenkung aus Privatbesitz ein umfangreiches Konvolut des Nachlasses von Ottilie W. Roederstein. Seitdem wird der Archivschatz nach und nach gehoben. Wir stellen ihn vor.

  • Sammlungsbereich Kunst der Moderne, Ausstellungsansicht, Foto Städel Museum Norbert Miguletz
    Fünf Fragen zur Umgestaltung

    Neue Nachbarschaften

    Wie wirken die Publikumslieblinge aus dem Sammlungsbereich Kunst der Moderne durch die neuen Wandfarben und was sind die persönlichen Highlights der Kuratoren? Alexander Eiling, Juliane Betz und Kristina Lemke geben Einblicke.

  • Umbau 2021 Alte Meister Katrin Binner 5
    Philipp Demandt im Interview

    Neue Farben für Alte Meister

    Da tut sich was! Wieso die Alten Meister gerade jetzt geschlossen sind und auf was wir uns freuen können, wenn der Sammlungsbereich im Herbst wieder öffnet, verrät Direktor Philipp Demandt im Interview.

  • Erich Salomon, Lugano, Dezember 1928, 1928, Silbergelatine-Abzug auf Barytpapier, © Erich Salomon
    Zeitschriften der letzten 100 Jahre

    Was uns das Gestern über das Heute sagt

    Was gute Pressefotografie ausmacht haben wir einen gefragt, der es wissen muss: Kommunikationswissenschaftler Patrick Rössler sammelt seit über 30 Jahren Zeitschriften als Zeugnisse der Alltagskultur.