Navigation menu

Utopie oder Dystopie?

Die im Städel Museum vertretenen Künstlerinnen Corinne Wasmuht und Amelie von Wulffen schaffen in ihren Arbeiten faszinierende, aber auch bedrohliche Architekturen. Menschen fehlen in den phantastisch anmutenden Bildwelten. Beide bedienen sich der Technik der Collage, jedoch auf völlig unterschiedliche Weise.

Anna Fricke — 13. März 2014
Corinne Wasmuht (*1964); Barrier, 2008; 214 x 548 cm; Öl auf Holz; Städel Museum, Frankfurt am Main; Foto: Städel Museum - ARTOTHEK; © Corinne Wasmuht

Corinne Wasmuht (*1964); Barrier, 2008; 214 x 548 cm; Öl auf Holz; Städel Museum, Frankfurt am Main; Foto: Städel Museum - ARTOTHEK; © Corinne Wasmuht

Der Weg in die Verbotene Stadt

Der „Weg ins Bild“ lautet Corinne Wasmuhts (*1964) Thema für das im Städel zu sehenden Gemälde „Barrier“ (2008). Für die Arbeit hat Wasmuth zunächst eine digitale Collage angefertigt, für die sie auf selbst gemalte Bilder ebenso zurückgriff wie auf vorgefundene Fotografien, bevor sie sich an die Umsetzung in Ölmalerei machte. Dafür hat sie Bildfragmente der Verbotenen Stadt neu zusammengesetzt und erzeugt so eine extreme Raumtiefe. Die Verbotene Stadt war bis ins 20. Jahrhundert hinein der Sitz der chinesischen Kaiser in Peking, gebaut um dessen Macht und Weltsicht zu repräsentieren.

Wasmuht rückt auf „Barrier“ profane Mülleimer und Absperrungen, welche heute die Denkmäler vor den Touristenscharen schützen, und die auf unsicheren Grund gebauten Wege ins Blickfeld. Das Eigentliche aber, die Verbotene Stadt, zeigt sie nicht. So gibt ihr Gemälde den Blick auf das einstmals „verbotene“, für die Öffentlichkeit nicht zugängliche, kaiserliche Terrain auch heute nicht frei. Bietet also Wasmuhts über fünf Meter breite Gemälde überhaupt einen Weg ins Bild an? Trotz seiner Raumtiefe möchte man es kaum betreten, es fehlt das verheißungsvolle Ziel. In bunten Ornamenten und Farbfetzen löst sich in der Tiefe des Bildes jegliche Gegenständlichkeit auf, die anfänglich digitale zusammengesetzte Collage erscheint im Ölbild fast als Décollage: Also eine negative Collage, für die Künstler, wie der im Städel mit einem Werk vertretene Raymond Hains (1926–2005), die unteren Bildschichten einer vielfach überklebten Plakatwand in einem Akt der gleichzeitigen Zerstörung und Neuerschaffung freigelegten. Der künstlich wirkende Farbendschungel auf dem Gemälde „Barrier weist jedoch auch auf die Genese des Bildes am Computer zurück: Erinnert er doch an die digitalen Welten der allgegenwärtigen Bildschirme unserer Gegenwart – bunt, anziehend, aber unbetretbar.

Schöner wohnen: Cooler Plattenbau oder stuckverzierter Altbau?

Die Künstlerin Amelie von Wulffen (*1966) hingegen fertigt analoge Collagen an: Fragmente der von ihr selbst fotografierten Häuser setzt sie neu zusammen und erweitert sie malerisch. Die Malerei verleibt sich auf von Wulffens Collagen die Fotografie ein und überführt sie in ein Realität kaum mehr abbildendes Bild. Es entstehen vielmehr unwirkliche „Neubauten“ – mal schweben sie im Bildraum, mal sind sie Ausschnitt eines größeren Ganzen. Schon lange begeistert sich von Wulffen für die Architektur der untergegangenen Sowjetunion, vermutlich ein Grund, warum sie für ihre „Stadtcollagen“, die sich in der Sammlung des Städel befinden, von diesem Stil beeinflusste zumeist Ostberliner Bauten auswählte, deren modernistisch-utopistischen Charakter sie in den Collagen zusätzlich betont. Deren einst auf Funktion ausgerichtete Bauweise erscheint nun vielmehr funktionslos: Entweder sind die Fenster der Gebäude verspiegelt, sie weisen in einen anderen gemalten utopischen Raum – wer würde hier gerne wohnen?

Die menschenleeren Architekturutopien erinnern daran, dass in unserer recht utopiefreien Gegenwart die moderne Architektur noch immer nicht der bevorzugte Wohnraum ist. Das Bürgertum zieht den stuckverzierten ‚Altbau’ vor und in Spielfilmen wohnt bis heute im modernen Haus der Bösewicht, wie prototypisch Dr. No.

Amelie von Wulffen (*1966); Ohne Titel (Stadtcollagen, I), 1999; 65,50 x 94 cm; Ölfarbe, Fotos auf Papier; Städel Museum, Frankfurt am Main; Eigentum des Städelschen Museums-Verein e.V.; Foto: Städel Museum - ARTOTHEK; © Amelie von Wulffen

Amelie von Wulffen (*1966); Ohne Titel (Stadtcollagen, I), 1999; 65,50 x 94 cm; Ölfarbe, Fotos auf Papier; Städel Museum, Frankfurt am Main; Eigentum des Städelschen Museums-Verein e.V.; Foto: Städel Museum - ARTOTHEK; © Amelie von Wulffen

Mit der Collage greift Amelie von Wulffen eine in den Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts entwickelte Technik auf, besonders die Futuristen und Dadaisten brachten collagierend ihre politische Haltung zum Ausdruck. Die teilweise extreme Perspektivierung und angedeutete Untersicht in von Wulffens „Stadtcollagen“ (1999) erinnert ästhetisch aber besonders an die Arbeiten der russischen Avantgardisten, etwa an die konstruktivistischen Fotografien von Alexander Rodchenko (1891–1956).

Der Gegenwart die Geschichte aufgeklebt – die Collage in der zeitgenössischen Kunst

Seit den 1970er Jahren arbeiten sich die Künstler mit dem Medium der Collage nicht mehr vorrangig am Bildfundus ihrer Gegenwart ab, sondern greifen bevorzugt auf historisches Bildmaterial zurück. So auch von Wulffen und Wasmuht, die aber den historischen Aspekt deutlich mit der Gegenwart verschränken: Sie zeigen, dass Architekturen die Geschichte aktualisieren und sie in ihnen erfahrbar bleibt. Vorraussetzung für die Realisierung visionärer Bauten wie der gigantischen Verbotenen Stadt und den megalomanen, wie etwa in den 1970er und 1980er Jahren entstandenen Ostberliner Gebäuden, waren totalitäre Systeme. Heute ist in der westlichen Welt die Architektur meist privatwirtschaftlich finanziert und weniger politisch-repräsentativ als marktwirtschaftlich ausgerichtet, vielleicht sind die ideologisch aufgeladenen Architekturutopien für uns gerade deswegen so faszinierend.


Die Autorin Anna Fricke hat am Städel Museum die Präsentation der Gegenwartskunst im Erweiterungsbau mit vorbereitet, im letzten Jahr die Ausstellung Fassbinder – JETZT am Deutschen Filmmuseum kuratiert und bereitet sich aktuell auf die Verteidigung ihrer Dissertation vor.

Diskussion

Fragen oder Feedback? Schreiben Sie uns!

Mehr Stories

  • „Malen Sie mit Hilfe der Schablone ein blaues Dreieck über eine Tür. Verschenken Sie dann das Original Blatt“  - gemäß der Anleitung Blinky Palermos wird das Dreieck im Städel über einem Durchgang in den Gartenhallen angebracht.
    Blinky Palermo im Städel

    Was soll bloß dieses blaue Dreieck über der Tür?

    Der deutsche Maler Blinky Palermo (1943–1977) wäre dieses Jahr 70 Jahre alt geworden. Seit Ende November ist eine Auswahl seiner minimalistischen Druckgrafiken aus den 60er und 70er Jahren im Städel Museum zu sehen. Besonders auffällig ist dabei die Installation und Wandmalerei „Blaues Dreieck“, ein mit Farbe und Schablone aufgemaltes Dreieck, das nun in der Sammlung Gegenwartskunst in den Gartenhallen seinen Platz gefunden hat.

  • In den Sammlungsräumen der Kunst der Moderne lassen sich viele Frauen als Bildmotiv finden. Max Klinger (1857–1920), Bildnis einer Römerin auf einem flachen Dach in Rom, 1891; Öl auf Leinwand, Städel Museum, Frankfurt am Main.
    Frauen & Kunst

    Die Frauen im Blick – der Blick der Frauen

    Frauen und Kunst – das ist ein großes Thema. Nur ein Schritt in die Bibliothek, ein Klick im Netz und schon findet man sich in einem Meer von Publikationen wieder. Weitaus leichter und lohnender ist der Weg in die Sammlungspräsentation der modernen und zeitgenössischen Kunst im Städel Museum. Wer hier nach den Frauen – in der Kunst und als Künstlerin – Ausschau hält, kann einiges entdecken.

Newsletter

Wer ihn hat,
hat mehr vom Städel.

Aktuelle Ausstellungen, digitale Angebote und Veranstaltungen kompakt. Mit dem Städel E-Mail-Newsletter kommen die neuesten Informationen regelmäßig direkt zu Ihnen.

Beliebt

  • Städel | Frauen

    Marie Held: Kunsthändlerin!

    Teil 5 der Porträt-Reihe „Städel | Frauen“.

  • Fantasie & Leidenschaft

    Eine Spurensuche

    Bei der Untersuchung von über 100 italienischen Barockzeichnungen kamen in der Graphischen Sammlung bislang verborgene Details ans Licht.

  • Städel Mixtape

    Kann man Kunst hören?

    Musikjournalistin und Moderatorin Liz Remter spricht über Ihre Arbeit und den Entstehungsprozess des Podcasts.

  • Städel | Frauen

    Künstlerinnen-Netzwerke in der Moderne

    Kuratorin Eva-Maria Höllerer verdeutlicht, wie wichtig Netzwerke für die Lebens- und Karrierewege von Künstlerinnen um 1900 waren und beleuchtet deren Unterstützungsgemeinschaften.

  • Muntean/Rosenblum

    Nicht-Orte

    Anonyme Räume, flüchtige Begegnungen: Kuratorin Svenja Grosser erklärt, was es mit Nicht-Orten auf sich hat.

  • Städel Mixtape

    #42 Albrecht Dürer - Rhinocerus (Das Rhinozeros), 1515

    Ein Kunstwerk – ein Soundtrack: Der Podcast von Städel Museum und ByteFM.

  • Alte Meister

    Sammler, Stifter, Vorbild

    Sammlungsleiter Bastian Eclercy und Jochen Sander im Interview zum neuen Stifter-Saal.

  • ARTEMIS Digital

    Digitales Kunsterlebnis trifft wegweisende Demenz-Forschung

    Wie sieht eine digitale Anwendung aus, die Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen zeit- und ortsungebunden einen anregenden Zugang zur Kunst ermöglicht? Ein Interview über das Forschungsprojekt ARTEMIS, über Lebensqualität trotz Krankheit und die Kraft der Kunst.

  • Städel Dach

    Hoch hinaus

    Die Architekten Michael Schumacher und Kai Otto sprechen über Konzept, Inspirationen und die Bedeutung des Städel Dachs für Besucher und die Stadt.

  • Gastkommentar

    Kunst und die innere Uhr mit Chronobiologe Manuel Spitschan

    Was sieht ein Chronobiologe in den Werken der Städel Sammlung?

  • Städel Digital

    Städel Universe: Von der Idee zum Game

    Im Interview gibt Antje Lindner aus dem Projektteam Einblicke in die Entstehung der hybriden Anwendung.

  • Engagement

    Die „Causa Städel“

    Was an Städels letztem Willen so besonders war und worauf man heute achten sollte, wenn man gemeinnützig vererben möchte.