Die im Städel Museum vertretenen Künstlerinnen Corinne Wasmuht und Amelie von Wulffen schaffen in ihren Arbeiten faszinierende, aber auch bedrohliche Architekturen. Menschen fehlen in den phantastisch anmutenden Bildwelten. Beide bedienen sich der Technik der Collage, jedoch auf völlig unterschiedliche Weise.
Der „Weg ins Bild“ lautet Corinne Wasmuhts (*1964) Thema für das im Städel zu sehenden Gemälde „Barrier“ (2008). Für die Arbeit hat Wasmuth zunächst eine digitale Collage angefertigt, für die sie auf selbst gemalte Bilder ebenso zurückgriff wie auf vorgefundene Fotografien, bevor sie sich an die Umsetzung in Ölmalerei machte. Dafür hat sie Bildfragmente der Verbotenen Stadt neu zusammengesetzt und erzeugt so eine extreme Raumtiefe. Die Verbotene Stadt war bis ins 20. Jahrhundert hinein der Sitz der chinesischen Kaiser in Peking, gebaut um dessen Macht und Weltsicht zu repräsentieren.
Wasmuht rückt auf „Barrier“ profane Mülleimer und Absperrungen, welche heute die Denkmäler vor den Touristenscharen schützen, und die auf unsicheren Grund gebauten Wege ins Blickfeld. Das Eigentliche aber, die Verbotene Stadt, zeigt sie nicht. So gibt ihr Gemälde den Blick auf das einstmals „verbotene“, für die Öffentlichkeit nicht zugängliche, kaiserliche Terrain auch heute nicht frei. Bietet also Wasmuhts über fünf Meter breite Gemälde überhaupt einen Weg ins Bild an? Trotz seiner Raumtiefe möchte man es kaum betreten, es fehlt das verheißungsvolle Ziel. In bunten Ornamenten und Farbfetzen löst sich in der Tiefe des Bildes jegliche Gegenständlichkeit auf, die anfänglich digitale zusammengesetzte Collage erscheint im Ölbild fast als Décollage: Also eine negative Collage, für die Künstler, wie der im Städel mit einem Werk vertretene Raymond Hains (1926–2005), die unteren Bildschichten einer vielfach überklebten Plakatwand in einem Akt der gleichzeitigen Zerstörung und Neuerschaffung freigelegten. Der künstlich wirkende Farbendschungel auf dem Gemälde „Barrier“ weist jedoch auch auf die Genese des Bildes am Computer zurück: Erinnert er doch an die digitalen Welten der allgegenwärtigen Bildschirme unserer Gegenwart – bunt, anziehend, aber unbetretbar.
Die Künstlerin Amelie von Wulffen (*1966) hingegen fertigt analoge Collagen an: Fragmente der von ihr selbst fotografierten Häuser setzt sie neu zusammen und erweitert sie malerisch. Die Malerei verleibt sich auf von Wulffens Collagen die Fotografie ein und überführt sie in ein Realität kaum mehr abbildendes Bild. Es entstehen vielmehr unwirkliche „Neubauten“ – mal schweben sie im Bildraum, mal sind sie Ausschnitt eines größeren Ganzen. Schon lange begeistert sich von Wulffen für die Architektur der untergegangenen Sowjetunion, vermutlich ein Grund, warum sie für ihre „Stadtcollagen“, die sich in der Sammlung des Städel befinden, von diesem Stil beeinflusste zumeist Ostberliner Bauten auswählte, deren modernistisch-utopistischen Charakter sie in den Collagen zusätzlich betont. Deren einst auf Funktion ausgerichtete Bauweise erscheint nun vielmehr funktionslos: Entweder sind die Fenster der Gebäude verspiegelt, sie weisen in einen anderen gemalten utopischen Raum – wer würde hier gerne wohnen?
Die menschenleeren Architekturutopien erinnern daran, dass in unserer recht utopiefreien Gegenwart die moderne Architektur noch immer nicht der bevorzugte Wohnraum ist. Das Bürgertum zieht den stuckverzierten ‚Altbau’ vor und in Spielfilmen wohnt bis heute im modernen Haus der Bösewicht, wie prototypisch Dr. No.
Mit der Collage greift Amelie von Wulffen eine in den Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts entwickelte Technik auf, besonders die Futuristen und Dadaisten brachten collagierend ihre politische Haltung zum Ausdruck. Die teilweise extreme Perspektivierung und angedeutete Untersicht in von Wulffens „Stadtcollagen“ (1999) erinnert ästhetisch aber besonders an die Arbeiten der russischen Avantgardisten, etwa an die konstruktivistischen Fotografien von Alexander Rodchenko (1891–1956).
Seit den 1970er Jahren arbeiten sich die Künstler mit dem Medium der Collage nicht mehr vorrangig am Bildfundus ihrer Gegenwart ab, sondern greifen bevorzugt auf historisches Bildmaterial zurück. So auch von Wulffen und Wasmuht, die aber den historischen Aspekt deutlich mit der Gegenwart verschränken: Sie zeigen, dass Architekturen die Geschichte aktualisieren und sie in ihnen erfahrbar bleibt. Vorraussetzung für die Realisierung visionärer Bauten wie der gigantischen Verbotenen Stadt und den megalomanen, wie etwa in den 1970er und 1980er Jahren entstandenen Ostberliner Gebäuden, waren totalitäre Systeme. Heute ist in der westlichen Welt die Architektur meist privatwirtschaftlich finanziert und weniger politisch-repräsentativ als marktwirtschaftlich ausgerichtet, vielleicht sind die ideologisch aufgeladenen Architekturutopien für uns gerade deswegen so faszinierend.
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