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Ein Zeichen der Freundschaft

Gleich zweimal gelangte dieses Gemälde in die Sammlung des Städel. Wenn die Ausstellung Matisse – Bonnard in diesen Tagen endet, bleibt es in Frankfurt – als Zeuge einer weiteren bewegten Geschichte.

Iris Schmeisser — 12. Januar 2018

Knapp 100 Jahre ist es her, dass die Städtische Galerie Matisse’ Stillleben Blumen und Keramik (Fleurs et céramique) erwarb – mitten in den Turbulenzen des Ersten Weltkriegs. Es ist eines der zentralen Werke in der Ausstellung Matisse – Bonnard, die von der Freundschaft beider Maler erzählt. Dabei ist es auch ein Zeugnis einer ganz anderen Freundschaft, die zwischen Georg Swarzenski, dem damaligen Direktor des Museums, und Robert von Hirsch, dem Inhaber der Offenbacher Lederfabrik und einer der wichtigsten Förderer des Städel im frühen 20. Jahrhundert. Beide verband ihr Einsatz und ihre Liebe für die moderne französische Kunst.

Links: Georg Swarzenski (Porträt von Hugo Erfurth), rechts: Robert von Hirsch

Links: Georg Swarzenski (Porträt von Hugo Erfurth), rechts: Robert von Hirsch

Das Gemälde war über die Pariser Galerie Bernheim-Jeune in den deutschen Kunsthandel gelangt. Als „Überweisung des Direktors“ Georg Swarzenski fand es Eingang in die Sammlung der Städtischen Galerie. Finanziert wurde es von Robert von Hirsch (5000 Reichsmark).

Eine Tat von großer Weitsicht.

Das Gemälde kam ausgerechnet zu jenem Zeitpunkt in die Sammlung, als das Museum seine wichtigsten Werke aufgrund des Ersten Weltkriegs evakuieren ließ. „Die Erwerbung eines Werkes von Matisse zu diesem Zeitpunkt – 1917 – war eine Tat von großer Weitsicht, zugleich war es ein Zeugnis europäischer Gesinnung, im ersten Weltkrieg, in einer Zeit nationaler Leidenschaften, ein modernes französisches Bild zu erwerben,“ so treffend beschrieb der Frankfurter Journalist Benno Reifenberg Jahre später die kulturpolitische Bedeutung dieses Ankaufs.

Kurz nachdem die Städtische Galerie das Gemälde erworben hatte, war es in einer Ausstellung der progressiven „Vereinigung für Neue Kunst“ im Frankfurter Kunstverein zu sehen, die „einen Einblick in das Werden und in die Entwicklung der neuesten Kunstbestrebungen ermöglichen“ wollte. In den 1920er Jahren war Matisse’ Stillleben in den Räumen der zeitgenössischen Kunst zu sehen. 1931 war das Gemälde noch einmal in einer großen und bahnbrechenden Ausstellung hier in Frankfurt vertreten: Vom Abbild zum Sinnbild: Ausstellung von Meisterwerken moderner Malerei im Städelschen Kunstinstitut. Von diesen Wegbereitern der Moderne wie beispielsweise Cézanne, Matisse und van Gogh waren Swarzenski und von Hirsch beide fasziniert.

Henri Matisse, Blumen und Keramik, 1913, Öl auf Leinwand, 93,5 x 82,5 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main © Succession H. Matisse / VG Bild-Kunst, Bonn

Henri Matisse, Blumen und Keramik, 1913, Öl auf Leinwand, 93,5 x 82,5 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main © Succession H. Matisse / VG Bild-Kunst, Bonn

Systematische Zerstörung

All das, was Swarzenski einmal als das Gebiet der „freien Kunst“ bezeichnet hatte, wurde im Zuge des Nationalsozialismus jedoch systematisch zerstört: Die „Moderne“ wurde aus der Sammlung entfernt, die jüdischen Angestellten des Museums entlassen und auch die über Jahrzehnte aufgebauten Beziehungen zu jüdischen Privatsammlern und Stiftern zerbrachen.

Am 28. März 1933 „beurlaubte” man Swarzenski aus seinem Amt als Generaldirektor der städtischen Museen, ein halbes Jahr später wurde er in den Ruhestand versetzt. Der Grund: „Prof. Dr. Swarzenski ist jüdischer Abstammung.“ Auf Anklage einiger Vertreter der Frankfurter Künstlerschaft war es zuvor zu einem „Untersuchungsausschuß von Mißständen bei der Stadtverwaltung“ gekommen, der Swarzenski unter anderem vorwarf, den „guten Galeriebesitz des Städel mit einer Menge fremdrassiger und kulturbolschewistischer Machwerke“ „zersetzt“ zu haben. Im September 1933 entschloss sich von Hirsch, der seit 1930 auch als Administrator für das Städel tätig gewesen war, nach Basel zu emigrieren.

In den Räumen des Städel Museums wanderte die „Neue Kunst“ nun ins Depot. Im Sommer 1937 begann im Auftrag des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda die Beschlagnahme der modernen Werke, der sogenannten „entarteten Kunst.“ 680 Kunstwerke wurden dabei aus dem Städel entfernt, darunter auch Matisse’ Stillleben. Swarzenski musste mitansehen, wie seine moderne Sammlung, die er unter jahrelangem Einsatz aufgebaut hatte, aufgelöst und zerstört wurde. Im November 1938 floh er schließlich in die USA.

Entartete-Kunst-Nummer 387

Doch wie ging es mit dem Matisse weiter? Mittlerweile hatte man die beschlagnahmten Gemälde nach Berlin gebracht und dort inventarisiert, das heißt mit einer sogenannten EK („Entartete Kunst“)-Nummer versehen. Das Stillleben von Matisse erhielt die EK-Nr. 387. Es gehörte zu dem Bestand, der für eine besondere Art der „Verwertung“ vorgesehen war, der Versteigerung in der Schweiz. Denn ausländische Devisen waren den Nazis willkommen – so ließen sich die verfemten Modernen auch noch zu Geld machen.

Insgesamt 125 Gemälde kamen schließlich in der Auktion „Gemälde und Plastiken Moderner Meister aus Deutschen Museen“ bei der Galerie Theodor Fischer in Luzern unter den Hammer. Der Matisse war also auf schicksalhafte Weise seinem ehemaligen Förderer von Hirsch in die Schweiz gefolgt. Gekauft hat es dort allerdings ein amerikanischer Geschäftsmann namens Le Ray Berdeau. Und so war die nächste Station des Werkes die USA. Mittlerweile hatte sich Swarzenski dort als Kurator am Boston Museum of Fine Arts etabliert.

Suche nach den verschwundenen Werken

Die Frankfurter Herkunft des Gemäldes und die Verbindung zu Swarzenski war zumindest in New Yorker Kunstkreisen bekannt. Noch als man es im Jahr 1951 im Museum of Modern Art ausstellte, lautete seine Bildunterschrift: „Mr. and Mrs. LeRay Berdeau (ex Georg Swarzenski, Städtisches Museum, Frankfurt-a-M).“

Zur selben Zeit hatte im Frankfurter Städel der Neuaufbau der modernen Sammlung begonnen. Aber wo befanden sich nun all die Werke der „entarteten Kunst“? Das erste Gemälde, das zurückerworben werden konnte, war Franz Marcs Liegender Hund im Schnee. Matisse’ Blumen und Keramik war das zweite.

Große Spendenaktion

Die Verhandlungen für den Wiederankauf des Matisse dauerten jedoch fast vier Jahre: 1958 sollte das Gemälde im Auktionshaus Parke-Bernet in New York zur Versteigerung kommen. Durch einen Glücksfall wusste das Städel schon Monate vorher davon. Ein ehemaliger Mitarbeiter, Oswald Goetz, der ebenfalls aufgrund seiner jüdischen Herkunft 1938 entlassen worden war, in die USA fliehen musste und nun für das amerikanische Auktionshaus arbeitete, hatte das Museum in einem Brief auf das Gemälde aufmerksam gemacht: „I have to catalogue a Matisse Still Life, which the Städtische Galerie once owned, and which was among the paintings the Nazi’s had confiscated.“ Doch gelang es damals nicht, die nötigen Gelder für die Kaufsumme aufzubringen – das Gemälde ging schließlich an einen weiteren amerikanischen Privatsammler, G. David Thompson.

Erst 1962 sollte der Rückkauf schließlich glücken, über die Galerie Beyeler in Zürich. Ein halbe Million Mark kam dank Hilfe der Frankfurter Sparkasse AG und des Kuratoriums Kulturelles Frankfurt zusammen, es war eine der größten Spendenaktionen der Nachkriegszeit.

Nach 25 Jahren war Matisse’ Fleurs et céramique nun wieder in den Räumen des Städel Museums zu bewundern. Es bleibt bis heute ein stiller Zeitzeuge des Schicksals Georg Swarzenskis und Robert von Hirschs und ihres gemeinsamen Engagements für die Moderne.


Iris Schmeisser leitet am Städel die Provenienzforschung und das historische Archiv.

Matisse – Bonnard. „Es lebe die Malerei!“ läuft noch bis 14. Januar 2018. Wer sie verpasst hat, dem empfehlen wir das Digitorial zur Ausstellung.

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