Jeder Museumsbesucher ist anders: Er bringt verschiedene Vorkenntnisse und Lebenserfahrung mit, hat individuelle Wünsche und Erwartungen an die Kunst. Was passiert wenn Kinder, Jugendliche und Erwachsene auf die Kunst von Erwin Wurm treffen? Ein Erfahrungsbericht nach neun Wochen „Erwin Wurm: One Minute Sculptures“.
Erfrischend humorvoll gestaltete sich die Arbeit mit Kindern zu Erwin Wurms „One Minute Sculptures“ im Städel. Noch bevor das Museum am Morgen öffnete nahmen die Schüler schon die erste Skulptur des österreichischen Künstlers in Augenschein und standen – inbrünstig bellend – auf allen Vieren mit Leine um den Hals auf dem Podest. Von Berührungsängsten keine Spur. Ihr Resümee nach einer Stunde Wurm-Führung? „Ausgefallen“ – „Verrückt“ – „Lustig“, und in jedem Fall ganz anders als das, was sie sich unter einem klassischen Museumsbesuch vorgestellt hatten.
Einen Tag intensiv mit den „One Minute Sculptures“ verbringen – das hatten sich unter anderem Jan, Clara und Hanna vorgenommen und folgten unserem Ruf zum Atelierkurs „Action mit Erwin“. Voller Motivation stürmten sie das Museum und stellten zunächst fest, dass ihnen die Gemälde der Sammlung etwas langweilig erscheinen. „Das ändern wir!“ beschloss Yannis und schon malten sich die jungen Teilnehmer aus, wie Vogeldreck auf dem Kopf der Waldnymphe landet und der Baum neben Hans Thoma umknickt. Für Stimmung war also gesorgt – Zeit zum Austesten von Erwin Wurms „One Minute Sculptures“. Ob Balancieren auf einem Holzbalken, mit der Stirn Tennisbälle balancieren oder zu zweit einen Pullover tragen – alle Handlungsanweisungen wurden auf den Prüfstand gestellt und getestet. Schnell mussten die Kinder jedoch feststellen, dass auch das Scheitern dazu gehört und nicht jede Anweisung so einfach zu befolgen ist, wie sie anfangs erscheint: „Das Hinfallen habe ich mit Absicht gemacht. Das gehört dazu!“ Stillhalten und Balancieren ist eben nicht jedermanns Sache.
Zu besonderen Körpererfahrungen fordern Erwin Wurms „One Minute Sculptures“ auf. Eine Minute in angespannter Position zu verharren, birgt die eine oder andere Herausforderung. Dem hat sich auch Michelle gestellt. Mit einer gehörigen Portion „Zehenspitzengefühl“ konnte schließlich auch die Achtjährige der Handlungsanweisung „Wirf dich weg“ am orangefarbenen Mülleimer Folge leisten. Wie war es, Michelle? „Ein bisschen verrückt ist das schon…,“ musste sie lachend zugeben.
„Psssst – ich muss stillhalten,“ quiekt es aus einer Ecke des Museums. Doch mit viel Konzentration und Ruhe haben auch Hanna und Michelle es schließlich geschafft, die Flaschen und Besen zwischen ihren Körpern zu balancieren und so der Anweisung des Künstlers zu folgen. „Organisation von Liebe“ hat Erwin Wurm auf dem dazugehörigen Sockel notiert. „Man kann sich dabei auf jeden Fall gut kennen lernen,“ lautet Hannas Empfehlung dazu.
Und welche Erfahrungen machten Erwachsene mit Erwin Wurms „One Minute Sculptures“? Nach anfänglicher Skepsis und Zurückhaltung, sowie der deutlichen Aufforderung eines Kunstvermittlers traute sich der erste Besucher der Überblicksführung auf das Podest. „Ich darf es wirklich anfassen?“ versicherte er sich, bevor er sich Erwin Wurms Anweisung folgend die WC-Ente auf den Kopf stellte. Erleichterung und Zufriedenheit waren deutlich abzulesen, als es sofort funktionierte. „Das hat ja schon einmal gut geklappt. Aber nun sollen Sie bitte noch an die Verdauung denken,“ gibt der Kunstvermittler mit einem Blick auf den Sockel zu bedenken. Ein lautes Lachen ist aus dem Saal zu vernehmen, als im gleichen Moment die WC-Ente vor Schrecken vom Kopf fällt. Die Stimmung ist gelöst, eine anregende Stunde Erwin Wurm kann beginnen!
Zu „Erwin macht Ernst“ luden die gemeinsamen Veranstaltungen Art after Work und die Members‘ Lounge des Städel Club ein. Ein Cocktail in der Abendsonne im Städel Garten wartete, doch zunächst sollte die Kunst entdeckt werden. Über 100 Menschen waren gekommen, um nach Feierabend gemeinsam dem österreichischen Künstler auf die Spur zu kommen. Die Kunstvermittlerin führte ihre Gäste zunächst zu den Sockeln im Garten. Von Wurms Beziehungen zum Wiener Aktionismus wollte sie gerade erzählen, als die ersten beiden Besucher bereits in Aktion traten: Die beiden jungen Männer entledigten sich ihrer Hosen und platzierten sie – der Arbeit „Hose lüften, Hände hoch“ (2014) entsprechend – auf dem Kopf. Mit ihrer überraschenden Tat brachten sie sogar die eloquente und schlagfertige Kunstvermittlerin aus dem Konzept: „So schnell konnte ich ja gar nicht reden, da standen sie schon in Shorts vor mir!“ Den Cocktail auf dem Städel Hügel hatten sich die beiden Erwin Wurm-Besucher redlich verdient.
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