Maria Sibylla Merian war Künstlerin, Forscherin, Unternehmerin und Abenteurerin – und das vor 300 Jahren. Wie das möglich war, erklärt die Biografin Barbara Beuys.
Maria Sibylla Merians Bücher über Der Raupen wunderbare Verwandlung und die Verwandlung der surinamesischen Insekten brachten ihr vor fast 300 Jahren Ansehen und Ruhm in der Gelehrtenwelt. Ihre Zeichnungen von Blumen, Insekten und Früchten waren bei Sammlern in ganz Europa begehrt. Mit ihrer Tochter machte sie sich auf eine gefährliche Forschungsreise nach Südamerika. Und auch als Unternehmerin war Merian erfolgreich.
Wie ist das möglich? Musste sich eine Frau damals nicht ausschließlich um Mann und Kinder kümmern? Wie konnte sie als Malerin ausgebildet werden und als Ehefrau berufstätig sein?
Maria Sibylla Merian führte ein besonderes Leben. Aber es fällt in ihrer Zeit nicht aus dem Rahmen. Lange haben Historiker verdrängt, dass das Mittelalter und die Zeit danach keineswegs finster waren, sondern Frauen wesentlich mehr Chancen boten als das 19. Jahrhundert. Noch keine 150 Jahre ist es her, da durften Bürgertöchter nicht aufs Gymnasien, nicht auf Universitäten gehen und konnten kein Handwerk erlernen. Sie mussten auf einen Ehemann warten, damit sie finanziell versorgt waren. Die Familie war ihr einziger Arbeitsplatz.
Im Hohen Mittelalter und bis ins 18. Jahrhundert war das ganz anders. Frauen waren Unternehmerinnen und Handwerkerinnen, auch wenn sie verheiratet waren und Kinder hatten. 1647 in Frankfurt geboren, lebte Maria Sybilla Merian in einem Jahrhundert, in dem selbstbewusste Frauen Karriere machen konnten, ohne Anstoß zu erregen. Sie hatte Vorbilder wie Anna Maria van Schurman, die als erste Frau in Europa an der Universität Utrecht studierte und 1636 den Doktortitel erhielt. Als Merian in Amsterdam lebte, begegnete sie Rachel Ruysch, die zu den berühmtesten BlumenmalerInnen ihrer Zeit gehörte.
Eine wichtige Facette ihres Selbstverständnisses als Forscherin und Künstlerin ist geprägt durch ihren calvinistischen Glauben. Die große Mehrheit der Bürger in Frankfurt waren lutherische Protestanten. Die Merians dagegen gehörten zur Minderheit der reformierten Gläubigen, die sich zur Konfession des Genfer Predigers Johannes Calvin bekannten. Sie waren als Religionsflüchtlinge aus Frankreich und Flandern an den Main gekommen. Dass die Reformierten hier geduldet wurden, war damals eine große Ausnahme, denn es gab in Deutschland keine Religionsfreiheit.
Frankfurt schützte die Reformierten nicht zuletzt, weil viele von ihnen erfolgreiche Unternehmer waren und ihre Geschäfte der Stadt Wohlstand und Ansehen brachten. Matthäus Merian, der Vater von Maria Sybilla, führte einen großen, erfolgreichen Verlag.
Ein eigenes Kirchengebäude war den Calvinisten in Frankfurt zwar nicht erlaubt, doch sie schafften es, den Glauben in ihren Familien lebendig zu halten. Die Kinder wurden dazu erzogen, sich selbstbewusst auf ihre Talente zu besinnen und tatkräftig Verantwortung zu übernehmen, um in der lutherischen Mehrheit nicht unterzugehen. Diese Überzeugungen hat Merian mit auf den Lebensweg bekommen.
Entscheidend für Merian war auch, dass es für Calvinisten keinen Widerspruch zwischen dem Glauben an einen Schöpfergott und der menschlichen Wissbegierde gab. In ihren Büchern beschreibt die Forscherin ihre Experimente mit Raupen und Schmetterlingen, ohne sich auf theologische Überlegung zu berufen. Glaube und Wissenschaft sind in Merians Büchern strikt getrennt.
Was Merian auszeichnet, ist ihr Mut zu Veränderung und immer neuen Aufbrüchen in ihrem Leben. Alle sind zielstrebig, nüchtern geplant und erfolgreich.
Meine erste Begegnung mit Maria Sibylla Merian führt zurück in die Kindheit. Im Wohnzimmer meiner Tante hingen vier Bilder in schönen Rahmen, die mich bei jedem Besuch faszinierten. Sie zeigten die Welt der Raupen und Schmetterlinge. Die feinen Härchen der Raupen, die bunten Flügel der Schmetterling waren aufs Feinste gezeichnet. Ich weiß nicht mehr, was ich damals alles gefragt habe. Aber der Name der Malerin ist fest in meiner Erinnerung geblieben.
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