Der Ankauf französischer Kunst der Moderne sorgte im wilhelminischen Deutschland für Diskussionen, die in der NS-Kulturpolitik gipfelten. Über den Versuch, eine Museumssammlung international auszurichten.
Das Gemälde Nach dem Mittagessen (1879) von Auguste Renoir, das in der Ausstellung „RENOIR. ROCOCO REVIVAL“ zu sehen ist, zählt zu den Glanzstücken der französischen Moderne des Städel Museums. Der damalige Städel-Direktor Georg Swarzenski (1876–1957) hatte diesen Bestand um hochkarätige Werke des Impressionismus erweitert. Seit April 1906 war er Leiter des Städelschen Kunstinstituts und damals zugleich Gründungsdirektor der neuen Galerie der Stadt Frankfurt für die Bildenden Künste der Gegenwart, die dem Museum angegliedert wurde.
Den entscheidenden Impuls für die Entstehung einer städtischen Kunstsammlung gab eine Stiftung: Der aus Worms stammende Kaufmann Ludwig Josef Pfungst (1842–1905) hatte in seinem Testament verfügt, seine Sammlung und sein Vermögen der Stadt Frankfurt zu übereignen. Die Erträge aus dieser Stiftung sollten jährlich dazu verwendet werden, um lebenden Künstlern „künstlerisch gut gelungene Werke abzukaufen und in den öffentlichen Sammlungen der Stadt auszustellen“.
„1910 vom Künstler durch Vermittlung von Durand-Ruel (Paris)“ lautet der Eintrag zur Herkunft des Renoir-Gemäldes im Inventarbuch des Museums. Eigentümer wie auch der Verkäufer des Werks war jedoch nicht der Künstler, sondern der Galerist Paul Durand-Ruel (1831–1922). Da laut Satzung der Städtischen Galerie Erwerbungen mit Mitteln der Pfungst Stiftung von den Künstlern selbst oder deren Vertretern erfolgen mussten, ließ Swarzenski sich durch Vermittlung Durand-Ruels kurzerhand ein Schriftstück vom Künstler ausstellen, das den Kunsthändler entsprechend legitimierte – und den Weg für den Ankauf ebnete.
Zu Beginn des Jahres 1910 betrieb Swarzenski eine intensive Akquise französischer Impressionisten mit städtischen Mitteln. Es sei ihm gelungen, schrieb er im Februar 1910 an den Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt Franz Adickes, „mit den letzten noch lebenden Hauptmeistern der Französischen Malerei des 19. Jahrhunderts in Verbindung zu treten,“ um „einige Werk von Ihnen noch zu bekommen.“ Um seinen Plan zu verwirklichen, das Museum „in die vorderste Reihe der modernen Gallerien aufzurücken,“ so Swarzenski, ließ er sich dazu zeitgleich Renoir-Ansichtssendungen von dem Berliner Galeristen Paul Cassirer wie auch von Durand-Ruel aus Paris schicken.
Das Gemälde Nach dem Mittagessen kannte Swarzenski bis zu seinem Eintreffen in Frankfurt nur als Foto, denn es befand sich zuvor in der New Yorker Dependance der Galerie. Am 29. April 1910 bestätigte er den Eingang der Ansichtssendung von insgesamt vier Werken Renoirs und bemerkte: „‘Le „déjeuner‘“ de Renoir est vraiment superbe ... “ Durand-Ruel wolle es nur an ein Museum und an sonst niemanden abgeben, versicherte er Swarzenski. Cassirer schickte im April 1910 gleich sieben Gemälde des Künstlers nach Frankfurt. Und auch er schien sich für Renoirs „Nach dem Mittagessen“ zu interessieren. Er wolle wissen, „wie es mit den Renoirs steht“, denn er habe „einen Reflektanten“, also einen Interessenten.
Schließlich entschied Swarzenski sich für Durand-Ruels Angebot. Cassirer gratulierte und schrieb anerkennend zurück: „Sie haben Bilder erworben, wie sind nicht mehr in der Welt zu finden sind.“ Dank Swarzenskis Beharrlichkeit und seines klugen Verhandlungsgeschicks gelang es ihm, einen Ankauf „en bloc“ auszuhandeln und die Bilder Nach dem Mittagessen und Lesendes Mädchen (1888) von Renoir sowie La Madeleine (vor 1870) von Puvis de Chavannes – mittels eines über fünf Jahre laufenden Zahlungsplans zum Gesamtpreis von 160.000 francs – ans Städel zu holen.
Das Erwerben von französischer Kunst galt in diesen Jahren durchaus als kulturpolitisches Statement. Die Ankäufe zahlreicher Museen lösten im wilhelminischen Deutschland einen konservativen Protest gegen die internationale Ausrichtung der Sammlungen aus. Das diese Debatte beherrschende Gedankengut – die Grenzziehung zwischen deutscher und ausländischer Kunst und die Forderung nach einem nationalen Sammlungsschwerpunkt der öffentlichen Museen – stellten Vorläufer der späteren NS-Kulturpolitik dar.
Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme im Januar 1933 wurden die deutschen Museen staatlicher Kontrolle und damit dem Diktat einer völkisch-nationalen und antisemitischen Kunst- und Kulturpolitik unterworfen. Dies hatte auch Konsequenzen für die Sammlung der französischen Moderne des Städel Museums. Swarzenski musste sich umgehend für seine Erwerbungen „ausländischer Kunst“ rechtfertigen. Er habe, so der Vorwurf eines städtischen Untersuchungsausschusses, „mehr Geld für Franzosen als für Deutsche“ ausgegeben. Als Jude verfolgt wurde er im April 1933 aus seinem Amt als mittlerweile Generaldirektor der städtischen Museen entlassen.
Im Herbst 1937 entließ ihn auch das Städelsche Kunstinstitut aus seiner Position. Im Mai 1939 wurde auf Anordnung des Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt die Stiftung des jüdischen Kaufmanns Josef Pfungst aus deren Mitteln nahezu sämtliche Impressionisten erworben worden waren, umbenannt. Sie hieß fortan „Stiftung für bildende Kunst“ und diente der NS-Ideologie folgend den Erwerbungen deutscher Kunst.
Renoirs Gemälde Nach dem Mittagessen und weitere Kunstwerke des französischen Impressionismus gerieten in den Fokus perfider Begehrlichkeiten. Am 21. November 1935 richtete das Reichspropagandaministerium auf Anweisung der Reichskanzlei ein Schreiben der Städtischen Galerie mit der Bitte um Eilbotenzusendungen von ‚Lichtbildern’ des Renoir sowie Vincent van Goghs Bildnis des Dr. Gachet (1890)und Die Krocketpartie (1873) von Édouard Manet, da man einen Verkauf der Bilder „ins Ausland“ beabsichtige. Hinter dem „ausländischen Interessenten“ steckte die in Zürich ansässige Fides-Treuhand-Vereinigung.
Der Grund für die staatliche Aufforderung zur Abgabe französischer Impressionisten aus öffentlichem Besitz war die Beschaffung von Devisen für das Deutsche Reich, die zugleich mit dem indirekten Appell an die Museen verknüpft war, durch den Verkauf französischer Kunst deutsche Kunst zu erwerben. Der Druck auf das Museum, insbesondere den Renoir abzugeben, vollzog sich über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr – doch man widersetzte sich. Der Direktor der Städtischen Galerie Alfred Wolters schrieb am 24. Dezember 1936 mit wenigen, aber deutlichen Worten an die Fides: „Ich habe nicht die Absicht, französische Bilder der mir unterstellten Sammlung abzustossen.“
Wenn auch keine freiwilligen „Abstoßungen“ aus dem Bestand der französischen Moderne erfolgten, so gab es jedoch schwerwiegende Verluste im Zuge der Beschlagnahmeaktion „Entartete Kunst“ im Juli, August und Dezember des Jahres 1937, darunter auch van Goghs Bildnis des Dr. Gachet sowie Gemälde von Braque, Rouault, Cross, Gauguin, Matisse, Picasso und Vivin.
Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und in den Jahren der deutschen Besatzung Frankreichs tätigte das Museum umfangreiche Ankäufe von Gemälden, Skulpturen und Papierarbeiten auf dem Pariser Kunstmarkt. Man berief sich dabei auf fragwürdige Weise auch auf den historischen Sammlungsfokus der französischen Moderne und die vermeintliche Kompensation der durch Beschlagnahme erlittenen Verluste.
Bereits im September 1940 hatte die Stadt Frankfurt erste Mittel – 5000 RM – für Ankäufe in Frankreich zur Verfügung gestellt. Im „Kriegsjahr 1941“ verzeichnete die Städtische Galerie – wie dem von Alfred Wolters verfassten Abschlussbericht zu entnehmen ist – „in Paris und in Holland mit beträchtlichen Mitteln“ vorgenommene Ankäufe. Die dem Städel angegliederte städtische Kunstsammlung wurde so um über hundert aus dem besetzten Paris bezogene Werke erweitert: 18 Gemälde mehrheitlich moderner französischer Kunst von u.a. Courbet, Corot, Delacroix, Géricault und Millet , aber auch einige alte Meister wie Poussin; neun zeitgenössische Skulpturen von Despiau, Maillol, und Rodin sowie über 80 Arbeiten auf Papier.
Nach Ende des Krieges mussten die in den besetzten Gebieten erworbenen Kunstwerke an die jeweiligen Länder zurückgegeben werden. Die für die unrechtmäßigen Ankäufe in Paris verantwortlichen Sammlungsleiter reagierten jedoch zwiespältig und mit blinden Flecken in Bezug auf das eigene Handeln. Man habe – so der Direktor der Städtischen Galerie Alfred Wolters – sich in der Tradition Swarzenskis gesehen, „die französische Abteilung weiterauszubauen“. Es habe sich daher um eine Aufgabe gehandelt, die „vielmehr im Sinne einer europäischen geistigen Gemeinschaft gedacht“ gewesen sei. Das Erbe des während der NS-Zeit verfolgten Gründungsdirektors der Städtischen Galerie, an das man im Zuge des Wiederaufbaus der zerschlagenen modernen Abteilung anzuknüpfen suchte, diente so als Mittel einer fragwürdigen Vergangenheitsbewältigung.
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