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In Marmor gemeißelter Fortschritt

Kann man Geschwindigkeit in Stein hauen? Jules Dalou nahm die Herausforderung 1898 an und zeigt mit seinem radikalen Entwurf für das erste Rennfahrer-Denkmal, wie sich Dynamik und Skulptur erstaunlich gut ergänzen.

Eva Mongi-Vollmer — 13. Juli 2023

Ausstellungsansicht „Herausragend! Das Relief von Rodin bis Picasso“, Städel Museum, Foto: Norbert Miguletz

Der französische Bildhauer Jules Dalou war 1898 bereits sechzig Jahre alt. Doch mitnichten ein betulicher, selbstzufriedener Künstler, sondern vielmehr wie sein Freund und Kollege Auguste Rodin ein Veränderungen mitgestaltender Kopf. Dennoch war er einem Auftrag vom französischen Automobilklub zunächst deutlich abgeneigt, ging es doch um ein Denkmal für seinen 1897 verstorbenen Landsmann Émile Levassor, dem ersten tödlich verunglückten Rennfahrer der Automobilgeschichte. Dalou fand für seinen Abscheu drastische Worte: Automobile seien unästhetische Maschinen, die Paris verpesten und die Passanten auf Fleischpasteten reduzieren würden.

Dalous radikaler Entwurf in Gips

Den Schlüssel zu Dalous Umdenken in dieser verzwickten Denkmalsangelegenheit fand der Architekt Gustave Rives: Die Bildhauerei wäre besiegt, wenn sie nicht in der Lage wäre, den Fortschritt zu symbolisieren – in welcher Form der Fortschritt auch immer in Erscheinung trete. Damit hatte er Dalou gepackt. Dalou fand in seinem Denkmalentwurf – eine Version aus Gips ist in der aktuellen Ausstellung „Herausragend! Das Relief von Rodin bis Picasso“ zu sehen – eine radikale Lösung.

Entwurf für das Denkmal des Rennfahrers Émile Levassor, 1898-1902, Gips bronziert, 109 x 75 x 25 cm, Petit Palais, Musée des Beaux-Arts de la Ville de Paris, Inv. Nr. PPS376

Ein Relief wie ein Film

Er ließ das Auto aus der Fläche heraus frontal auf den Betrachter zurasen. Das im Hochrelief gearbeitete Vehikel ist geschickt in die Umgebung eingebettet, nämlich das jubelnde Publikum unter Bäumen, das sich sukzessive aus dem Flachrelief des Hintergrunds bis ins Hochrelief herausschält. Nicht zuletzt die schräg auf den Betrachter zukippende Bodenplatte unterstreicht die Rasanz des Augenblickes. Dalou verlieh so den technischen Neuerungen seiner beschleunigten Zeit einen wahrhaftig erlebbaren Ausdruck. Der Effekt seiner dynamischen Komposition erinnert an das damals noch junge Medium Film. Drei Jahre zuvor hatten die Gebrüder Lumière einen Kurzfilm gedreht, mit dem sie die Zuschauer durch eine auf sie zubrausende Lokomotive in Staunen und Panik versetzt hatten. Meisterhaft vermittelt auch Jules Dalou in seinem Relief die Illusion großer Geschwindigkeit. Tatsächlich hatte Émile Levassor 1895 sein berühmtestes Rennen Paris – Bordeaux - Paris mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 24 Kilometern pro Stunde gewonnen.

Émile Levassor und Louise Sarazin-Levassor beim Start des Rennens Paris – Bordeaux – Paris 1895

Marmor für die Ewigkeit?

Trotz der Versöhnung mit dem Auftrag blieb Dalou bewusst, dass das Denkmal der Werbung für Automobile diene. Und er sah unter diesem Aspekt in seinem Werk einen großen Vorteil: der dauerhafte Marmor hielte im Gegensatz zum einfachen Werbeplakat dem Regen stand. Wie recht er hatte. Die erst nach seinem Tod vollendete Arbeit wurde am 26. November 1907 an der Pariser Porte Maillot feierlich eingeweiht, den Zeitungsberichten folgend bei feinem Regen. Das Denkmal steht bis heute dort.

Camille Lefèvre nach Jules Dalou, Denkmal für Émile Levassor, 1907, Marmor, Porte Maillot, Paris

Übrigens hätte der traditionell-akademisch ausgebildete, aber eben doch sehr aufgeschlossene Dalou für seine Darstellung des Fortschritts nicht viel später vielleicht seine Wahl für Marmor doch wieder in Frage gestellt: Gerade gegen den klassischen Marmor wurde von avantgardistischen Künstlern rebelliert. Neue Materialien wie Blech, Leder, Pappe, überhaupt Fundstücke aller Art zogen seit den 1910er-Jahren als Ausdruck eines neuen Zeitalters in die Kunst ein, wie es in unserer Ausstellung beispielsweise die Werke von Pablo Picasso und Kurt Schwitters belegen.


Eva Mongi-Vollmer ist Kuratorin für Sonderprojekte am Städel Museum und hat die Ausstellung zusammen mit Alexander Eiling und Friederike Schütt kuratiert.

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