Kaum eine Frau hat am Städel Museum in den 1910er- und 1920er-Jahren so viele Spuren hinterlassen wie Pauline Kowarzik: in enger Zusammenarbeit mit dem damaligen Direktor Georg Swarzenski engagierte sich die in Frankfurt und Paris ausgebildete Malerin mit geschultem Blick für die Förderung zeitgenössischer Kunst und Künstler.
Pauline Kowarzik, geborene Fellner, verwitwete von Guaita (1852–1930), wuchs in einem vermögenden, kunstsinnigen und bürgerschaftlich engagierten Umfeld auf. Ihr Vater, Christoph Michael Eduard Fellner (1803–1854), war Kaufmann und Bankier und verstarb früh. Pauline ehelichte im Juni 1871 den Frankfurter Bankier Louis Hermann von Guaita (1846–1878). Mit ihm hatte sie zwei Kinder: Emil Max von Guaita (1872–1957) und die spätere Henry-van-de-Velde-Schülerin und Buchkünstlerin Else von Guaita (verh. Lampe, 1875–1963). 1878 verstarb Louis Hermann von Guaita nach nur kurzer Ehe.
Erst als ihre beiden Kinder erwachsen waren, scheint Pauline Kowarzik ihre Selbstverwirklichung als Künstlerin intensiv vorangetrieben zu haben. Als bis dahin frühester Nachweis ihrer professionellen künstlerischen Ausbildung gilt eine um 1892/93 entstandene fotografische Aufnahme des „Damenateliers“ von Raphaël Collin in Paris. Zudem ist durch eine historische Fotografie dokumentiert, dass sie gemeinsam mit ihrer Tochter das Schülerinnenatelier der Malerinnen Ottilie W. Roederstein und Marie Sommerhoff in Frankfurt besuchte.
Pauline Kowarzik orientierte sich im Laufe ihres Lebens an verschiedenen Malschulen. 1896 heiratete sie den aus Wien stammenden Bildhauer Josef Kowarzik, der seit 1893 an der Kunstgewerbeschule in Frankfurt Ziselierkunst unterrichtete. Beide waren aktiv in der Frankfurter Künstlergesellschaft, die neben dem Kunstverein die wichtigste Vereinigung zeitgenössischer Künstler und Künstlerinnen sowie aller Kunstinteressierten war. Ein für beide wichtiges Netzwerk war zudem der Frankfurt-Cronberger Künstlerbund.
In einem Brief an Ottilie W. Roederstein aus dem Jahr 1910 erwähnt sie ihre Affinität für die „frischen Farben der Franzosen“ und deren Einfluss „auf unsere ganze Geschmacksrichtung“. Das vom Städel Museum neuerworbene Stillleben (1913) bezeugt mit seinen leuchtenden Kontrasten und der flächigen Komposition ihre Inspiration durch die französische Malerei.
Nach dem Tod ihres Ehemanns Josef im März 1911 folgte bei Pauline Kowarzik auf einen biografischen Umbruch wiederum eine Phase der künstlerischen Neuorientierung. Sie nahm wieder Unterricht und besuchte – in Berlin – das „Mal- und Zeichenatelier für Damen“ bei dem Secessionisten Curt Herrmann und reiste für mehrere Monate nach Japan. Auch bei Heinrich Campendonk nahm Kowarzik – wohl ab 1917 – Malunterricht. Doch obwohl die Schülerin Roedersteins zu Lebzeiten in nicht wenigen Gruppenausstellungen – in Frankfurt, aber auch in Wiesbaden, Berlin, Bremen, München und sogar New York – vertreten war, ist ihr Name wie auch der Verbleib der meisten ihrer Werke heutzutage kaum mehr bekannt.
Im September 1909 verfasste Kowarzik gemeinsam mit ihrem zu diesem Zeitpunkt unheilbar erkrankten Mann ein Testament, das mit dessen Ableben die Verwendung ihres Vermögens zu einer Stiftung verfügte. Der Name der Stiftung lautete „Josef und Pauline Kowarzik Hilfsfonds“ und hatte die Förderung zeitgenössischer deutscher Kunst zum Ziel. Die Stiftung sollte vor allem Künstlerinnen und Künstler berücksichtigen, die im Umkreis der Städte Frankfurt am Main, Darmstadt, Karlsruhe, Düsseldorf, Stuttgart und Straßburg wirkten, wobei Notleidende zu bevorzugen seien. Der Direktor des Städel Museums, Georg Swarzenski, mit dem das Ehepaar eng vertraut war, spielte bei der Ausgestaltung der Stiftung eine entscheidende Rolle. Im März 1911 verstarb Josef Kowarzik in Cannes, so dass die testamentarisch angeordnete Stiftung wenige Jahre vor Ausbruch des ersten Weltkriegs in Kraft trat. Das Städel Museum erhielt in den folgenden Jahren eine Reihe von Werken regionaler Künstler wie Karl Albiker, August Gebhard, Hermann Haller, August Häusser und Alexander Soldenhoff als Dauerleihgaben, die später in dessen Eigentum übergingen.
Im Kriegsjahr 1916 wurde Pauline Kowarzik – wohl auf Empfehlung Swarzenskis – im Alter von 64 Jahren als erste Frau zum Mitglied der Ankaufskommission für die dem Städel Museum angegliederte städtische Kunstsammlung berufen. Aufgrund der gesetzlichen Vorgaben, die nur stimmfähigen Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zu Verwaltungsdeputationen gewährten, konnten Frauen jedoch nur in beratender Funktion in städtischen Kommissionen mitwirken. Als erstes weibliches Mitglied begleitete Kowarzik während ihrer Amtszeit einige der spektakulärsten Ankäufe moderner Kunst, die der Städel Direktor Swarzenski vorantrieb: So wurden Kunstwerke von August Gaul, Oskar Moll, Wilhelm Lehmbruck, Franz Marc, Henri Matisse, Max Beckmann, Karl Hofer, Ernst Ludwig Kirchner und Georg Kolbe erworben.
Schon wenige Monate nach ihrer Aufnahme als Mitglied der Galerie-Deputation gründete Kowarzik im März 1917 zusammen mit den Kunsthistorikern Walter Müller-Wulckow und Eduard von Bendemann, der Kunsthistorikerin Sascha Schwabacher, dem Literaturwissenschaftler Julius Petersen sowie den Künstlern August Babberger und Hermann Lismann die „Vereinigung für Neue Kunst“. Die Gruppe hatte sich zum Ziel gesetzt, zeitgenössische Kunst durch Ausstellungen, Vorträge und Erwerbungen zu fördern. Die im Programm explizit erwähnten wegweisenden Künstler waren Marc, Heckel, Albert Weisgerber, Oskar Kokoschka, Rudolf Großmann, Bernhard Hoetger, Wilhelm Lehmbruck, Henri Matisse, Emil Nolde, Edvard Munch und Marc Chagall. Ihre Werke wurden auch in der ersten Ausstellung der Vereinigung in Frankfurt gezeigt – und sie waren bis auf wenige Ausnahmen gleichfalls in der Privatsammlung Kowarziks vertreten.
Über die qualitätvolle Sammlung moderner deutscher und französischer Kunst Pauline Kowarziks ist bisher wenig bekannt. Die wenigen bis jetzt identifizierten Quellen deuten darauf hin, dass sich die intensive Phase des Sammelns wohl von der Zeit kurz nach der Jahrhundertwende bis zur Inflation Anfang der 1920er-Jahre erstreckte. Kowarzik bezog ihre Werke primär aus dem Frankfurter Kunsthandel, unter anderem vom Kunstsalon Ludwig Schames, aber auch aus dem Berliner und Münchner Kunsthandel – und aus Paris. Während ihres Engagements als Präsidentin der Kowarzik-Stiftung kaufte sie besonders intensiv zeitgenössische deutsche Kunst, denn sie stand dabei stets in direktem Kontakt mit den Künstlerinnen und Künstlern.
Aufgrund der Inflation musste sie jedoch im Juni 1926 aus finanziellen Gründen ihre nahezu gesamte Privatsammlung moderner Kunst gegen eine monatliche Leibrente an die Städtische Galerie verkaufen. Georg Swarzenski bewertete damals die insgesamt 34 Stücke der Sammlung, darunter Gemälde von Henri Edmond Cross, Kees van Dongen, Maurice Denis, Paul Gauguin, Henri Rousseau und Paul Sérusier und Paula Modersohn-Becker, mit einer Summe von 56.300 Reichsmark. Sie ging nur drei Jahre vor Pauline Kowarziks Tod gegen Zahlung einer Leibrente von jährlich rund 6.000 Reichsmark und Erlass der auf ihrer Wohnung ruhenden städtischen Steuern und Abgaben in das Eigentum der Stadt Frankfurt über. Durch die regelmäßige Auszahlung konnte Kowarzik nun ihre eigene Existenz sichern – und weiterhin künstlerisch aktiv sein. Bis zuletzt arbeitete sie an einer Serie von Pastellzeichnungen des IG Farben Baugeländes, das sie von ihrem Fenster aus beobachten konnte.
Dass Pauline Kowarziks Erbe in Vergessenheit geraten ist, ist teils auch dem Schicksal ihrer Sammlung im Städel Museum geschuldet. Denn während der NS-Zeit wurde die Sammlung Kowarzik der Städtischen Galerie durch die Beschlagnahmeaktion „Entartete Kunst“ größtenteils zerschlagen. Insgesamt 18 Werke mit Provenienz Pauline Kowarzik wurden im Auftrag des Reichspropagandaministeriums entfernt. Sie sind heute entweder verschollen oder befinden sich in Museen in Deutschland, Belgien, Irland und in der Schweiz.
Einige Glanzstücke ihrer Sammlung sind dem Städel jedoch erhalten geblieben, darunter Meisterwerke wie Henri Rousseaus „Die Allee im Park von Saint-Cloud“ und Paul Sérusiers „Kleine Landschaft mit Tangfischern“. Sie alle hingen einst im privaten Salon von Pauline Kowarzik und zeugen heute im Städel von ihrem Einsatz für die Moderne.
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