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Selbstinszeniert

Auguste Rodin hinterließ einige Tausend Skulpturen – und 7000 Fotografien, davon viele Aufnahmen seiner Werke. Sie veränderten deren Wahrnehmung und wurden als eigene Kunstwerke präsentiert. Zeigen die Fotografien den „wahren Rodin“?

Juliane Betz — 26. August 2020

Auguste Rodin sammelte von 1860 bis zu seinem Tod mit großer Leidenschaft Fotografien. Die meisten Aufnahmen hatte er selbst in Auftrag gegeben. Sie zeigen den Entstehungsprozess seiner Skulpturen, halten Ausstellungsinstallationen fest oder dienten zur Dokumentation von verkauften Arbeiten. Außerdem benutzte er die Fotos, um auszuprobieren, wie er ein Werk weiterbearbeiten könnte oder um seinen Mitarbeitern zu zeigen, wie sie vorgehen sollten. Rodin fotografierte niemals selbst, sondern beauftragte bereits ab den 1870er-Jahren eine Reihe von Fotografen. Deren Aufnahmen zeichnen sich durch eine sehr unterschiedliche fotografische Ästhetik aus.

Rodins wohl wichtigster Fotograf war Eugène Druet. Er besaß eine Bar an der Place de l’Alma in Paris, in der Rodin regelmäßig zu Mittag aß, und war zudem Amateurfotograf. Rasch entwickelte sich eine äußerst erfolgreiche Zusammenarbeit, aus der zwischen 1896 und 1900 mehrere Hundert Aufnahmen von allen bis dahin entstandenen Skulpturen Rodins hervorgingen.

Eugène Druet, Eva vor Fragmenten des Apollo-Relief im Atelier du Dépôt des marbres,  neben der Plinthe Bildhauerwerkzeuge, 1896–1900 © Foto Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz / CC BY-NC-SA 3.0 DE

Eugène Druet, Eva vor Fragmenten des Apollo-Relief im Atelier du Dépôt des marbres, neben der Plinthe Bildhauerwerkzeuge, 1896–1900 © Foto Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz / CC BY-NC-SA 3.0 DE

Eugène Druet, Eva vor dem Höllentor im Atelier du Dépôt des marbres, 1896–1900 © Foto Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz / CC BY-NC-SA 3.0 DE

Eugène Druet, Eva vor dem Höllentor im Atelier du Dépôt des marbres, 1896–1900 © Foto Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz / CC BY-NC-SA 3.0 DE

Druets Fotografien entstanden in enger Absprache mit dem Bildhauer. Das Bemerkenswerte an Druets Schwarz-Weiß-Fotografien ist die Atmosphäre, die sich aus der Anordnung der Werke und deren Beleuchtung ergibt. Die meisten Arbeiten sind – anders als damals üblich – nicht isoliert vor einem weißen oder schwarzen Hintergrund abgebildet. Druet zeigt fast immer auch die Umgebung der Skulpturen, etwa Ausstellungsräume oder Rodins Atelier. Deswegen sind hinter der eigentlich abgebildeten Skulptur immer wieder andere Arbeiten Rodins zu sehen, gelegentlich auch Werkzeuge. Durch die oft von der Seite einfallende Beleuchtung und die Wahl des Blickwinkels gelang es Druet, Rodins Skulpturen lebendiger, visionärer und weniger naturalistisch erscheinen zu lassen. Seine Abbildungen sind keine nüchternen Dokumente, sondern regelrechte Interpretationen. Sie geben den besonderen Blick des Fotografen wider, entsprachen aber auch Rodins eigenen Vorstellungen.

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Ein Kritiker ging sogar so weit zu behaupten, Druets Fotos würden den „wahren Rodin“ zeigen. In gewisser Weise stimmt dies wohl: Ein wichtiges Merkmal von Rodins Skulpturen ist schließlich das belebende Lichtspiel auf den unebenen Oberflächen. Und genau dieses fangen die Fotografien ein. Hinzu kommt, dass Druet manche Skulpturen von mehreren Seiten aufnahm, entsprechend Rodins Wunsch, der Betrachter solle um die Werke herumgehen.

Eugène Druet, Johannes der Täufer im Musée du Luxembourg, am linken Bildrand der Schatten eines Kamerastativs, 1896–1900 © Foto Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz / CC BY-NC-SA 3.0 DE

Eugène Druet, Johannes der Täufer im Musée du Luxembourg, am linken Bildrand der Schatten eines Kamerastativs, 1896–1900 © Foto Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz / CC BY-NC-SA 3.0 DE

Eugène Druet, Johannes der Täufer im Musée du Luxembourg, am linken Bildrand der Schatten eines Kamerastativs, 1896–1900 © Foto Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz / CC BY-NC-SA 3.0 DE

Eugène Druet, Johannes der Täufer im Musée du Luxembourg, am linken Bildrand der Schatten eines Kamerastativs, 1896–1900 © Foto Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz / CC BY-NC-SA 3.0 DE

Eugène Druet, Johannes der Täufer im Musée du Luxembourg, am linken Bildrand der Schatten eines Kamerastativs, 1896–1900 © Foto Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz / CC BY-NC-SA 3.0 DE

Druets Fotografien prägten die Wahrnehmung von Rodins Skulpturen schon bald ganz entscheidend: Ab 1897 wurden sie in Zeitschriften und Büchern abgedruckt, wenig später auch verkauft und in Ausstellungen gezeigt. In der großen Einzelausstellung im Pavillon de l’Alma, die Rodin im Jahr 1900 selbst ausrichtete, hingen 71 Fotografien von Druet direkt neben Skulpturen und Zeichnungen Rodins. Die Ausstellung bildete den Höhepunkt der Zusammenarbeit – und deren Ende. Da sich Rodin und Druet während der Vorbereitungen zerstritten, war das Fotografieren von Rodins bildhauerischem Schaffen schon bald Aufgabe eines anderen: Jacques-Ernest Bulloz übernahm 1903 als professioneller Vertragsfotograf die Herstellung der Aufnahmen, deren Vermarktung und die Verwaltung der Bildrechte. Seine Fotografien sind konventioneller als diejenigen Druets. Sie zeigen die Figuren meist von vorne oder schräg von der Seite. Der Hintergrund ist in der Regel leer, sodass die Umrisse betont werden und die Größe der Skulpturen nicht erkennbar ist.

Edward J. Steichen, Auguste Rodins „Honoré de Balzac“. The Silhouette – 4 A.M., Meudon, 1908, The Metropolitan Museum of Art, New York

Edward J. Steichen, Auguste Rodins „Honoré de Balzac“. The Silhouette – 4 A.M., Meudon, 1908, The Metropolitan Museum of Art, New York

Parallel zu Bulloz gingen etliche Fotografen in Rodins Atelier ein und aus, vor allem Edward Steichen, Stephen Haweis & Henry Coles. Sie alle arbeiteten nicht im eigentlichen Sinne für Rodin. Vielmehr wollten sie – wie viele andere Künstler und Kunstbegeisterte – den ausgesprochen berühmten Bildhauer und sein Werk kennenlernen. Und sie wollten selbst Kunst schaffen, mit der Fotografie. Das war damals noch nicht selbstverständlich, weil die Technik von vielen als Handwerk angesehen wurde. Die dem sogenannten Piktorialismus zugerechneten Fotografen wollten die Fotografie der Malerei annähern. Deswegen sind ihre Aufnahmen meist grobkörnig und geben kaum Auskunft über die Skulpturen: Die Werke Rodins dienten vor allem als Motiv für das künstlerische Schaffen der Fotografen. Die Aufnahmen – heute zum Teil selbst sehr bekannt– waren aber auch Ausdruck ihrer Verehrung für Rodin. So wie jene, die Steichen von Rodin schuf. Sie inszeniert den Bildhauer – in einer Kombination von Porträt- und Skulpturenfotografie – als Genie.

Edward Steichen, Rodin - Le Penseur, 1905, Städel Museum, Frankfurt am Main

Edward Steichen, Rodin - Le Penseur, 1905, Städel Museum, Frankfurt am Main


Juliane Betz ist seit 2018 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Moderne und Teil des kuratorischen Teams der Ausstellung „EN PASSANT“. Sie interessiert sich schon lange für die Frage, welchen Einfluss Abbildungen von Gemälden oder Skulpturen auf die Wahrnehmung der Kunstwerke haben.

In der Ausstellung „EN PASSANT. Impressionismus in Skulptur“ sind bis zum 25. Oktober 2020 Rodins Skulpturen neben Fotografien, unter anderem von Druet, zu sehen.

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