Veronika Dyckerhoff war in den 40ern ein gefragtes Modell. Heute ist sie 100 Jahre alt und erinnert sich noch sehr gut an die Zeit, als auch die Frankfurter Fotografin Marta Hoepffner sie nackt in Szene setzte.
Veronika Dyckerhoff, geb. von Eichhorn, sitzt in ihrem Wohnzimmer in Wiesbaden-Biebrich und betrachtet aufmerksam eine Kopie der Fotografie Akt Bewegung. „Da haben wir uns schon was getraut“, kichert die alte Dame. Das nackte Modell auf dem Bild ist sie selbst. Gerade einmal 23 war sie, als sie sich im Studio der bekannten Frankfurter Fotografin Marta Hoepffner (1912–2000) auszog. 2016 hat das Städel Museum das Original dieser Fotografie erworben, derzeit hängt es in den Sammlungsräumen der Kunst der Moderne. Als der Sohn von Frau Dyckerhoff von der Neuerwerbung hörte, schrieb er uns: Seine Mutter sei das Modell und lebe noch. Ob wir nicht mal zu einem Besuch kommen möchten? Hier sind wir.
Auch nach 78 Jahren findet Veronika Dyckerhoff ihren Bauchnabel immer noch zu groß geraten und ärgert sich, dass ihre Hände nicht zu sehen sind. Sie hatte sich an zwei Ringe gehangen, die im Studio Hoepffners von der Decke baumelten. Deswegen die gebogene Silhouette. Aber Hoepffner fand die Aufnahme perfekt. Während der Entwicklung belichtete sie den Abzug. Auf diese Weise entstand eine sogenannte Solarisation, eine teilweise Umkehr der Schatten und Lichtwerte. Dadurch wirkt der Akt abstrakt, ähnlich der Bilder des zeitgleich in Paris lebenden Fotografen Man Ray.
Die beiden Frauen hatten sich durch die Fotografin Anka von Braun, bei der Dyckerhoff selbst ihre Ausbildung als Fotografin absolvierte, kennengelernt und angefreundet. „Eines Tages meinte Marta: ,Eichhörnchen ich würde gerne Aktaufnahmen von dir machen‘“, erinnert sich Dyckerhoff. Ihre Eltern durften von den Nacktfotos nichts wissen. Deswegen bleibt das Gesicht auf dem Foto im Verborgenen.
„Man brauchte damals Mut“, ergänzt Dyckerhoff, denn der Nationalsozialismus brachte viele Repressalien mit sich. Auch wenn es keine Zensur auf stilistischer Ebene im Bereich der Fotografie gab, durfte in der Öffentlichkeit ohne offizielle Genehmigung nicht fotografiert werden. Sonst drohte eine Meldung bei der Gestapo. Kreativität fand nur im Atelier statt. Als im Zweiten Weltkrieg die Bomben über Frankfurt flogen, saßen die beiden Frauen stundenlang im Luftschutzkeller und diskutierten über Fotografie.
Marta Hoepffner hatte 1929 ein Studium an der Städelschen Kunstschule begonnen, unter dem bedeutenden abstrakten Maler Willi Baumeister. Sie bewegte sich in der Frankfurter Bohème, 1931 besuchte sie die bahnbrechende Ausstellung Vom Abbild zum Sinnbild: Ausstellung von Meisterwerken moderner Malerei im Städelschen Kunstinstitut. Begeistert von den ästhetisch experimentellen Werken der Avantgarde hatte sie ihr künstlerisches Leitbild gefunden. Als mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten ihr Lehrer Willi Baumeister seine Professur verlor, beendete Hoepffner bewusst ihr Studium. 1934 eröffnete sie das Atelier „Werkstätte für künstlerische Fotoaufnahmen“.
Aufträge für Werbeprospekte, das Illustrierte Blatt der Frankfurter Zeitung oder Porträtfotografien sicherten ihre Existenz. Trotz des von den NS-Machthabern mitbestimmten Kunstgeschmacks verlor sie nicht ihre Freude an der Fotografie. „Was das betrifft, war sie sehr leidenschaftlich.“, so Dyckerhoff. Und sicherlich war die Beschäftigung mit dem Medium eine Flucht aus den Kriegsgeschehnissen, um für einen Moment wieder den Blick auf die schönen Dinge zu lenken. Dyckerhoff selbst beendete ihre Fotografinnenlaufbahn, als sie als Schwesternhelferin vom Roten Kreuz einberufen wurde. Dort blieb sie bis zum Kriegsende.
Wie ging es aber mit Marta Hoepffner weiter? 1944 fällt ihr Atelier dem Bombenhagel zum Opfer. Sie macht trotzdem weiter, engagiert sich bis zu ihrem Lebensende mehr denn je für die Fotografie. Ihr ehemaliger Lehrer ist es auch, der Marta Hoepffner 1947 zur Herausgabe des Bildbandes Ausdruck und Gestaltung. Bilderbuch einer Fotografin ermuntert und das Vorwort verfasst. Stolz zeigt Frau Dyckerhoff auf das Aktbild in dem Buch, das vor ihr auf dem Tisch liegt. Das Exemplar erhielt sie von ihrer Freundin mit Widmung: „Der lieben Veronika mit herzlichen Grüssen von ihrer Marting“
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