Katja Hilbig hält am Städel die organisatorischen Fäden in der Hand: Sie plant Ausstellungen und koordiniert Leihgaben – teils Jahre im Voraus und über Kontinente hinweg. Wie nimmt sie diese unplanbare Zeit wahr? Ein Gespräch.
Sarah Omar: Wie hast du diese Woche Anfang März 2020 erlebt, als der Pandemie-Ausbruch in Deutschland alles auf den Kopf stellte?
Katja Hilbig: Wir waren gerade dabei, die Ausstellung EN PASSANT aufzubauen, da wurde es in einigen Ländern schon brenzlig. Italien war einer der größten Leihgeber der Ausstellung. Wir merkten, dass wir die Vorbereitungen für den Transport der Kunstwerke beschleunigen, also den italienischen Kolleginnen und Kollegen die Chance geben mussten, die Werke früher nach Frankfurt zu schicken, schließlich wurden dort einzelne Ortschaften geschlossen. Wir haben in der Zeit täglich mehrmals mit unseren Partnern besprechen müssen, ob die Grenzen noch offen sind und ob Transporte stattfinden können. Und natürlich haben wir sofort auch Vorsichtsmaßnahmen in unseren Teams getroffen, aber eigentlich war das Problem erst mal „woanders“.
Mit jedem Tag wurde aber klarer, dass das eine trügerische Gewissheit war. Ich erinnere mich, dass getroffene Entscheidungen wenige Stunden später schon wieder hinfällig waren und Szenarien mehrfach überprüft werden mussten. Morgens nahm ich an, eine Kollegin aus einem italienischen Museum steigt als Kurierin mit einer Skulptur in den Flieger, zwei Stunden später war klar: Sie kommt noch nicht mal aus ihrer Wohnung raus. Letztlich ist es uns aber geglückt, alle Werke bis auf fünf im Städel versammeln zu können. Zwei Tage, bevor die Museen in Deutschland schließen mussten, war die Ausstellung fertig aufgebaut.
Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus diesem „Corona-Crashkurs“?
Wie wichtig es ist, im Team zu arbeiten. Entscheidungen gemeinsam erörtern zu können, im eigenen Haus, aber auch mit externen Kolleginnen und Kollegen. Wir haben relativ früh die Erfahrung gemacht, wie unterschiedlich Regionen und Länder auf Situationen reagieren, weil ja auch die pandemischen Einschränkungen überall anders sind. Dass es nicht die eine Lösung gibt, sondern viele Wege dahin, dieses Verständnis ist mittlerweile zur Normalität geworden. Aber grundsätzlich lässt sich sagen, dass in der Pandemie auf die Spitze getrieben wird, was unseren Job ausmacht: Alles ist genau geplant, meistens Jahre im Voraus, aber am Ende geht es ums Improvisieren, darum, Risiken abzuwägen und kurzfristig neue Lösungen zu finden. Auf eine Pandemie bist du natürlich trotzdem nicht vorbereitet. Aber die Einstellung, sich neu zu fokussieren und die Scheuklappen immer wieder aufzumachen – was muss ich an Impulsen von außen berücksichtigen? – diese Flexibilität setzt unser Job voraus. Genauso wie der Druck, unter sich ständig ändernden Situationen zu arbeiten.
Was hilft dir in solchen Situationen?
Ich habe in dieser Woche oft an den Vulkanausbruch in Island 2010 gedacht, da war die Situation ähnlich, wenn auch nicht potenziell bedrohlich für die Gesundheit: Wir waren seinerzeit gerade dabei, unsere Kirchner-Retrospektive aufzubauen. Und auch hier gab es Kollegen, die festsaßen: einer drei Tage mit einem der wertvollsten Werke der Ausstellung in den USA am Flughafen. Da gab’s kein vor und zurück. Eine weitere Referenz war das Fukushima-Unglück. Zu dieser Zeit hatten wir eine Ausstellung in Japan. Auf internationalen Tagungen in unserem Bereich spricht man über solche Katastrophenszenarien – Flut, Hochwasser, Feuer, Attentate, Erdbeben. Aber über eine Pandemie wurde da noch nie gesprochen. Ich habe mich in dieser besagten Woche aber an die Kolleginnen und Kollegen erinnert, die in solchen Ausnahmesituationen klar kommuniziert haben. Ich dachte: Wir müssen für uns klar sein. Welche Ausleihen und Transporte sind möglich, wo muss aufgrund der Pandemie neu verhandelt werden? Welche Rahmenbedingungen können wir garantieren? An welchen Stellen müssen Grenzen definiert werden?
Wie klar war dir damals, wie langfristig und schwerwiegend sich der Ausstellungsbetrieb ändert?
Es war schon relativ schnell klar, dass sich etwas substanziell ändert. Aber wie lange das sein wird, das war und ist nicht absehbar. Trotzdem haben wir vorausschauend reagiert. Nun hatten wir ja diese wunderschöne und wichtige Ausstellung für unsere Besucherinnen und Besucher aufgebaut. Deswegen sind wir gleich im März auf die Leihgeber zugegangen und haben um Verlängerungen der Leihdauer gebeten. Das Verständnis und die Großzügigkeit war fantastisch. So konnte EN PASSANT vier Monate länger als geplant laufen.
Während wir hier sprechen, hätte das Städel – so der ursprüngliche Plan – eine große Rembrandt-Ausstellung aufbauen sollen, eine internationale Kooperation mit Ottawa, mit Leihgaben aus aller Welt. Zu welcher Lösung seid ihr bei diesem Projekt gekommen und wie?
Wir haben uns schon im Juni, als das Städel gerade erst wieder fürs Publikum geöffnet war, zusammengesetzt und überlegt, ob die Planungen unter den aktuellen oder schärferen Bedingungen noch standhalten würden? Es war klar, dass wir im Dezember in eine sehr unsichere Situation hinein eröffnet hätten – und wie wir nun wissen, hätte die Ausstellung diesen Dezember gar nicht eröffnen können. Es war uns wichtig, in allen Bereichen und unter Berücksichtigung verschiedener Interessen, vor allem mit Blick auf unser Publikum, verantwortungsvoll zu handeln. Also haben wir gemeinsam mit unseren Kolleginnen und Kollegen in Ottawa eine andere Planung aufgesetzt.
Du bist im Vorstand eines internationalen Netzwerks von Ausstellungsorganisatoren, den International Exhibition Organizers. Wie läuft dieser Austausch?
Ja, in diesem Netzwerk kommen Kolleginnen und Kollegen unter anderem aus Hong-Kong, Melbourne, Washington, Seattle, Bilbao, Paris, Zürich, London, L.A. und Tokio zusammen. Wir sprechen derzeit einmal im Monat, um Erfahrungen auszutauschen und voneinander zu lernen. Die ganzen Hygienepläne zum Beispiel. Oder: Was schließt die Police deines Landes aus? Für solche Fragen gibt es keine Hotline, der Austausch ist essenziell. In dieser Runde sieht man auch, dass alle vor gleichen Schwierigkeiten stehen. Strukturell sind die Herausforderungen für uns zwar gleich, aber die Lösungen individuell und doch ganz unterschiedlich. Manche Kolleginnen und Kollegen arbeiten seit März im Homeoffice, auch wenn die Museen zwischenzeitlich wieder geöffnet waren. Die gesamte Museumswelt hat ihre Prozesse ad hoc anpassen müssen.
Wie beurteilst du nach einem Dreivierteljahr Pandemie den Austausch mit anderen Museen?
Tatsächlich ist mir erst dieses Jahr wirklich bewusst geworden, wie international unsere Realität bisher war, wie außergewöhnlich das ist und als wie selbstverständlich wir das wahrgenommen haben. Während wir hier sprechen, gibt es etwa keine Flugverbindung mehr nach Madrid, die auf große Kunsttransporte ausgelegt ist. Uns bleibt also nur noch eine fast viertägige LKW-Fahrt. Im Februar wäre dieses Szenario für mich undenkbar gewesen. Noch absurder war ein Erlebnis, bei dem wir Kollegen aus Brasilien unterstützen mussten: Es ging um einen Transport substanzieller Werke von Mexiko nach Brasilien – und die einzig mögliche Flugverbindung lief nur über Frankfurt! Wir haben dann das Umladen hier am Flughafen begleitet. Mit dieser Ausstellung hatten wir nichts zu tun, aber so läuft das gerade nun mal und wir unterstützen einander. Und das ist wahrscheinlich die positivste Erkenntnis dieses Jahres: Zu sehen, wie groß die Solidarität der Museen untereinander ist. Wir müssen flexibel sein und verständnisvoll reagieren bei Verschiebungen und neuen Ausstellungsplänen.
Du hast bei unserem letzten Gespräch erzählt, dass du mit jeder Ausstellung was Neues lernst. Was hast du dieses Jahr vor allem mitgenommen?
(lacht) Das stimmt, diese Krise hat alles getoppt. Ich mache diesen Job ja schon seit knapp 20 Jahren. Im Moment kann ich nur lernen, einen kühlen Kopf zu bewahren. Angst, Sorge, Hysterie sind keine guten Ratgeber. Ich habe oft nicht lange Zeit nachzudenken. Daher geht es noch stärker als sonst darum, die richtigen Fragen zu stellen, um schneller zu einer Antwort zu kommen. Und letztlich sollte man auch die Frage nicht ausblenden, wie es dem Gegenüber in dieser Krise gehen könnte, egal wo auf der Welt er oder sie sich befindet.
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