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Call me Giorgio… Giorgio Sommer

Viele Fotografen wagten als Auswanderer in Italien einen Neustart. Auch der Frankfurter Georg Sommer – und wurde als „Giorgio Sommer“ zu einem der erfolgreichsten Fotografen Italiens.

Kristina Lemke — 14. April 2023

Eigentlich hieß er ja Georg und kam aus Frankfurt. Dort wurde er auch zunächst 1853 als Kaufmann ausgebildet, ehe er sich mit der Fotografie beschäftigte. Als sein Vater eines unglücklichen Abends das gesamte Familienvermögen verspielte und das gesamte Hab und Gut der Sommers damit verloren ging – dazu gehörte eine sehr erfolgreiche Bierwirtschaft –, wagte Georg Sommer als Fotograf einen Neustart in Italien.

Giorgio Sommer, Golf von Neapel: Blick auf Sorrent, ca. 1880 - 1890

Giorgio Sommer, Sorrent: Blick auf die Stadt aus westlicher Richtung, um 1880–1890, Albuminpapier auf Karton, Städel Museum, Frankfurt am Main, Public Domain

Aus Georg wird Giorgio

Fortan nannte er sich „Giorgio“ und wohnte ab 1856/1857 zunächst in Rom, ein Jahr später in Neapel. In seinen florierenden Studios bot er alle erdenklichen Aufnahmen in jedweder Größe und Aufmachung an: Pittoreske Landschaftsansichten, bekannte Baudenkmäler und Kunstwerke, aber auch Genreaufnahmen der italienischen Bevölkerung.

Zeitweise arbeitete er mit dem aus Stuttgart stammenden Edmund beziehungsweise Edmondo Behles zusammen. Die beiden waren auf ihrer Suche nach immer neuen Motiven: Die Konkurrenz war schließlich groß. Die antiken Ausgrabungen in Paestum mit den besonders gut erhaltenen griechischen Tempeln beispielsweise waren ein Highlight, das nur wenige Touristen mit eigenen Augen sehen konnten. In der sumpfigen und menschenleeren Gegend um Sele galt die Ansteckungsgefahr von Malaria als besonders hoch. Damalige Fotografen wie Sommer und Behles nahmen für gute Aufnahmen so manche Gefahr in Kauf – und stellten sich mangels geeigneter Komparsen, die die Größenverhältnisse der Bauten veranschaulichten, gleich selbst vor die Kamera.

Fotografien für das Städelsche Kunstinstitut

Solche Fotografien gelangten dank einem ausgeklügeltem Vertriebsnetz via Versandhandel auch nach Frankfurt. Gerhard Malß, der 1861 Johann David Passavants Nachfolge als Direktor des Städelschen Kunstinstituts angetreten hatte, engagierte sich während seiner Amtszeit für den weiteren Ausbau der fotografischen Sammlung, deren Anfänge bereits um 1852 zu datieren sind. 1864 übergab er dem Städelschen Kunstinstitut Fotografien aus eigenem Besitz, darunter genau diese Ansichten des Neptuntempels in Paestum. Ob sich Malß und der ausgewanderte Fotograf kannten, ist nicht überliefert. Zumindest befinden sich besonders viele Aufnahmen von Sommer im heutigen Bestand des Städel Museums: In der aktuellen Ausstellung „Italien vor Augen“ zeigen wir gleich 36 Fotografien.

Der brodelnde Vesuv: Naturspektakel und Touristenmagnet

Der immer wieder brodelnde Vesuv war schon seit langer Zeit eine regelrechte Touristenattraktion und dank des neu ausgebauten Schienenverkehrs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts innerhalb einer Stunde von Neapel aus zu erreichen. Umso spektakulärer sind Sommers Aufnahmen vom Ausbruch des Vesuvs: Aus sicherer Entfernung hielt er im Halbstundentakt die gewaltigen Eruptionen von bis zu 1.300 Metern Höhe auf.

Giorgio Sommer;   zugeschrieben, Neapel: Der Ausbruch des Vesuvs am 26. April 1872, 15 Uhr, 1872

Giorgio Sommer, Neapel: Der Ausbruch des Vesuvs am 26. April 1872, 15 Uhr, 1872, Albuminpapier auf Karton, Städel Museum, Frankfurt am Main, Public Domain

Giorgio Sommer;   zugeschrieben, Neapel: Ruine in San Sebastiano al Vesuvio, 1872 - 1873

Giorgio Sommer, Neapel: Ruinen in San Sebastiano al Vesuvio, 1872/73, Albuminpapier auf Karton, Städel Museum, Frankfurt am Main, Public Domain

Giorgio Sommer, Neapel: Der Ausbruch des Vesuvs am 26. April 1872, 15:30 Uhr, 1872

Giorgio Sommer, Neapel: Der Ausbruch des Vesuvs am 26. April 1872, 15.30 Uhr, 1872, Albuminpapier auf Karton, Erworben 2011 mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und der Hessischen Kulturstiftung, Eigentum des Städelschen Museums-Vereins e.V., Public Domain

Giorgio Sommer;   zugeschrieben, Neapel: Ruinen in San Sebastiano al Vesuvio, 1872 - 1873

Giorgio Sommer, Neapel: Ruinen in San Sebastiano al Vesuvio, 1872/73, Albuminpapier auf Karton, Städel Museum, Frankfurt am Main, Public Domain

Das Naturschauspiel hatte aber auch verheerende Folgen: Die Ortschaften Masse und S. Sebastiano wurden unter den Lavamassen zerstört und forderten auch zahlreiche Todesopfer. Die Aufnahmen Sommers können sogar als erste Reportagefotografien angesehen werden.

Der Vorläufer von Reportagefotografie

Die Leipziger Illustrierte Zeitung berichtete ausführlich über das Ereignis. Da zu jener Zeit Fotografien technisch noch nicht reproduziert werden konnten, wurden Holzschnitte der Ansichten angefertigt. Hier lässt sich bereits die Tendenz zur emotionalisierenden Bildberichterstattung beobachten: In der Zeitungsaufnahme wird die fotografische Vorlage noch um den Golf von Neapel im Vordergrund erweitert. So erscheint die Wolkenformation umso bedrohlicher.

Der Ausbruch des Vesuvs am Nachmittag des 26 April, Illustrierte Zeitung, 1872

Der Ausbruch des Vesuvs: Am Nachmittag des 26. April. Nach einer photographischen Aufnahme von G[iorgio] Sommer in Neapel, Holzschnitt, in: Illustrierte Zeitung, Heft 1507, 18.5.1872, S. 361

Wie erfolgreich die Serie gewesen sein muss, veranschaulicht auch die Rückseitenansicht einer Fotografie: Statt einer schlichten Adressanschrift wählte Sommer neben seinen gewonnenen Auszeichnungen ausgerechnet das Motiv des rauchenden Vesuvs, vor dem ein Fotograf mit aufgebauter Kameraausrüstung steht.

Rückseite einer Carte-de-visite des Ateliers Giorgio Sommer, Neapel, 1868–1873, Münchner Stadtmuseum, Sammlung Fotografie, München

Rückseite einer Carte-de-visite des Ateliers Giorgio Sommer, Neapel, 1868–1873, Münchner Stadtmuseum, Sammlung Fotografie, München

Das passende Motiv für jeden Geschmack

Sogar das bekannte Reisehandbuch Baedeker verwies auf das Studio Sommers in Neapels Largo Vittorio wegen der „grossen Auswahl von Ansichten aus ganz Italien“. Der Fotograf konnte durch ein riesiges Motiv-Repertoire mit den größten Sehenswürdigkeiten Italiens aufwarten, die er aus den unterschiedlichsten Perspektiven festhielt und so für immer neue Blickachsen sorgte. Die Gegend am Golf von Salerno nahm insbesondere in der Angebotspalette großen Raum ein. Auch die liebliche Küstengegend um Amalfi wurde maßgeblich durch die Fotografien des Frankfurter popularisiert. Noch heute finden sich fast identische Ansichten in der Tourismuswerbung. Giorgio Sommer war eben nicht nur Fotograf, sondern auch Kaufmann.

Giorgio Sommer;   zugeschrieben, Neapel: Blick auf Capri von Massa Lubrense aus, ca. 1860 - 1865

Giorgio Sommer, Sorrent: Blick auf Capri von Massa Lubrense aus, um 1860–1865, Albuminpapier auf Karton, Städel Museum, Frankfurt am Main, Public Domain

Giorgio Sommer, Amalfi: Grand Hôtel, vormals Convento dei Cappuccini, ca. 1880 - 1890

Giorgio Sommer, Amalfi: Grand Hôtel, vormals Convento dei Cappuccini, um 1880–1890, Albuminpapier auf Karton, Städel Museum, Frankfurt am Main, Public Domain

Giorgio Sommer, Neapel: Der Ausbruch des Vesuvs am 26. April 1872, 15:30 Uhr, 1872

Giorgio Sommer, Amalfi: Blick von der Küste, um 1860–1870, Albuminpapier auf Karton, Städel Museum, Frankfurt am Main, Public Domain

Giorgio Sommer;   zugeschrieben, Amalfi: Uferpromenade, ca. 1860 - 1870

Giorgio Sommer, Amalfi: Uferpromenade, um 1860–1870, Albuminpapier auf Karton, Städel Museum, Frankfurt am Main, Public Domain

Giorgio Sommer, Amalfi: Valle dei Mulini, ca. 1860 - 1870

Giorgio Sommer, Amalfi: Valle dei Mulini, um 1860–1870, Albuminpapier auf Karton, Städel Museum, Frankfurt am Main, Public Domain


Kristina Lemke ist seit 2021 Leiterin des Sammlungsbereichs Fotografie am Städel Museum.

Das Album zur Ausstellung in der Digitalen Sammlung hilft, die Sehnsucht nach Italien zu stillen.

Die Ausstellung „Italien vor Augen. Frühe Fotografien ewiger Sehnsuchtsorte“ ist bis 3. September 2023 in der Ausstellungshalle der Graphischen Sammlung zu sehen.

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