Der Künstler Julian Schnabel hat einen Film über den Künstler Vincent van Gogh gedreht. Eine gute Idee?
Was können wir von einer filmischen Monografie eines Künstlers über einen andern Künstler erwarten? Wahrscheinlich eine emotionale und von einem künstlerischen Standpunkt aus geprägte Betrachtung – vermutlich jedoch keine Darstellung, die sich an faktischen und wissenschaftlichen Gesichtspunkten orientiert. Diese Annahme bestätigt sich im aktuellen Van-Gogh-Film Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit von Julian Schnabel.
Der medienwirksame Regisseur, Drehbuchautor, Künstler und kreative Tausendsassa Schnabel wollte keine Künstlerdokumentation über van Gogh drehen, sondern vielmehr anhand des Künstlerdaseins von van Gogh einen Film über Malerei an sich. Szenisch reiht er Begebenheiten aus dem Leben des Künstlers aneinander. Dabei beruft er sich zwar auf Briefe, die van Gogh im Laufe seines Lebens geschrieben hat, davon abgesehen überwiegt allerdings die Fiktion. Denn Schnabel will das Wesen des Künstlergenies van Gogh greifen und für die Kinobesucher emotional erfahrbar machen. Der van Gogh seines Films entspricht unmittelbar Schnabels persönlicher Reaktion auf dessen Bilder. Wer von dem Film eine lehrreiche Künstlerdokumentation erwartet, wird ganz sicher enttäuscht werden. Das sollte wissen, wer sich 111 Minuten lang in das emotionsgeladene filmische Abenteuer Vincent van Gogh begibt.
Auch für die Augen ist der Film ein Abenteuer, denn Schnabels Kameramann Benoît Delhomme ist ebenfalls Maler und das spürt man. Oftmals wird die Kamera schnell hin- und hergeschwenkt, als ob Delhomme mit wilden Pinselstrichen über die Leinwand führe. Immer wieder verändert er die Perspektive, dreht die Kamera unvermittelt, sodass man als Zuschauer unwillkürlich den Kopf zu neigen beginnt. Manchmal sieht man nur van Goghs Füße, wie sie die Felder und Wiesen durchlaufen – immer auf der Suche nach einem geeigneten Motiv. Dabei fängt Delhomme auf eine ungewöhnliche, aber dennoch ausgesprochen sinnliche und unmittelbare Weise die Natur ein: die wiegenden, goldenen Weizenfelder und Sonnenblumen, die Blätter der Bäume, durch die der Wind rauschend bläst und das Licht, das alles durchflutet und durchdringt. Schnabel will den Zuschauern die Möglichkeit geben, mit den Augen van Goghs zu sehen und wie van Gogh zu fühlen – ganz eins zu werden mit dem Künstlergenie.
Unter den Schauspielern überzeugt Mads Mikkelsen als Priester. Etwas hölzern und blass wirkt hingegen Oscar Isaac als Paul Gauguin. Die Hauptfigur Vincent van Goghs hätte jedoch nicht stimmiger und überzeugender besetzt werden können: Willem Dafoe ist ein Glücksfall für den Film. Blickt man auf die bisherigen Van-Gogh-Darsteller wie etwa Kirk Douglas oder Tim Roth, so überzeugt Defoe zweifelsohne durch seine authentische und unprätentiöse Darstellungsweise, die ohne jegliches künstliches Pathos auskommt. Vollkommen zu Recht wurde Dafoe als bester Hauptdarsteller für den Oscar 2019 nominiert und bei den Filmfestspielen von Venedig ausgezeichnet. Die Bilder, die Dafoe als leidender und in seiner Zeit unverstandener Vincent van Gogh schafft, bleiben nachhaltig im Gedächtnis haften.
Schnabel gelingt es, auf einer ästhetischen und emotionalen Ebene zu überzeugen. Den Mythos „Van Gogh“ entschärft er mit seinem Film jedoch nicht, im Gegenteil, er erhärtet ihn sogar.
Ab kommendem Oktober zeigt das Städel Museum die Ausstellung MAKING VAN GOGH, sie soll einen wichtigen Beitrag zur Klärung des Mythos „Van Gogh“ leisten. Die bis dato größte Präsentation des Museums beleuchtet die besondere Rolle, die Galeristen, Sammler, Kritiker und Museen in Deutschland für die Erfolgsgeschichte van Goghs hatten, aber auch die Bedeutung van Goghs für die Kunst des deutschen Expressionismus.
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