Eine Zeichnungen von Max Beckmann und Richard Serras „Taraval Beach II“ laden in der Ausstellung „Dialog der Meisterwerke“ dazu ein, beider Künstler Sicht auf Horizonte zu vergleichen. Es sind in ihrer Radikalität verwandte Sinnbilder einer geistigen Erfahrung von Unendlichkeit.
Im Sommer 1927 reiste der aus Leipzig stammende Maler, Zeichner und Bildhauer Max Beckmann (1884–1950) mit seiner Ehefrau Mathilde, genannt Quappi, nach Rimini. Bereits ihre Hochzeitsreise im Jahre 1925 führte sie nach Italien. Im selben Jahr erhielt der Künstler eine Anstellung an der Frankfurter Städelschule und entsprechend sorgenfrei konnte das Paar 1926 an die italienische Riviera fahren und auch im folgenden Jahr über zwei Wochen im Grand Hotel an einem der ältesten Badeorte der Adria verbringen.
Beckmann schildert in der Zeichnung den Blick über eine Balustrade auf das Meer. Im Mittelgrund überspannt eine Fußgängerbrücke einen Wasserarm, der in die Adria mündet und den Sandstrand teilt. Nur Kabinen und Boote auf dem linken, menschenleeren Strandabschnitt verweisen auf den üblichen Badebetrieb. Die Gäste scheinen sich im Abendlicht nunmehr auf die Brücke begeben zu haben. Schatten der kleinen, silhouettenhaft beschriebenen Figuren, die gehen oder verweilend auf das Meer hinausblicken, spiegeln sich in einer Stille ausstrahlenden, ruhigen Wasseroberfläche. Auf dem offenen Meer, in weiter Ferne, sind einige Segler angedeutet. Die enorme Tiefenerstreckung der Komposition gipfelt in der hoch angesetzten Horizontlinie. Mit ihrer leichten Wölbung lässt sie an die Krümmung der Erdkugel denken und übertrifft jedwede messbare Dimension. Diese erhabene Stimmung der ausbalancierten, mit schwarzer Kreide gezeichneten Komposition unterstreicht Beckmann mit zurückhaltend eingesetzter Pastellkreide. „Sein Leben lang“, erinnert sich seine Witwe, „hat es Max Beckmann ans Meer gezogen. Immer wieder hat er die See gemalt, die für ihn viel bedeutete, das Meer war für ihn ein Symbol der Ewigkeit.“
Das in der derzeitigen Ausstellung präsentierte Pastell „Rimini“ wurde 1929 in der Galerie Flechtheim in Berlin sowie im Frankfurter Kunstverein ausgestellt, wo es durch die Städtische Galerie im Städelschen Kunstinstitut schließlich erworben wurde. 1937 wurde es jedoch wie unzählige weitere moderne Werke in deutschen Museumssammlungen durch die Reichskammer der Bildenden Künste als „entartet“ beschlagnahmt. Es ist ein Glück, das Kunstwerk heute wohlbehalten in einer Privatsammlung zu wissen und im Kontext der Jubiläumsausstellung – gemeinsam neben der Zeichnung von Richard Serra – im Städel Museum zeigen zu können.
Auf den ersten Blick scheinen die beiden grafischen Meisterwerke im Dialog sehr unterschiedlich – genau 50 Jahre liegen zwischen der Entstehung von Max Beckmanns „Rimini“ und Richard Serras „Taraval Beach II“. Doch auch der US-amerikanische Bildhauer Richard Serra (*1939) hat mit seiner Zeichnung „Taraval Beach II“ weit mehr als seiner Erinnerung an einen konkreten Ort Ausdruck verschafft Serra, der in San Francisco an der Küste des Pazifiks aufwuchs, widmete der vertrauten Gegend um die 47th Avenue und Taraval am Ocean Beach 1977 gleich mehrere Zeichnungen. Mit dieser Arbeit gelingt es ihm, wenngleich auf einem hohen Abstraktionsniveau, die zwiespältige Anmutung von Anziehung und Bedrohung der unendlich erscheinenden Weite des Meeres umzusetzen. Ein mit dem Paintstick, einer Mischung aus Öl- und Wachskreide in Schichten aufgetragenes Rechteck lagert tiefschwarz auf der hellen Fläche des Papiers. Die Form wird nicht vom Umriss her festgelegt, sondern wurde von innen nach außen im zeichnerischen Prozess entwickelt. Vor allem die feine, horizontale Strukturierung der homogenen Oberfläche verweist direkt auf den Zeichner Serra. Und es ist diese physische Handlung des Zeichnens, die dem vor allem als Bildhauer bekannten Künstler im grundsätzlichen Unterschied zur präzise kalkulierten Arbeit an seinen Stahlskulpturen den unmittelbaren Anlass zur Reflexion bietet.
Die strenge Beschränkung auf Schwarz und Weiß betont die dichte Materialität der gezeichneten Form in ihrer Wechselwirkung zur Grundfläche. Durch ihre geradezu schwebende und aus der Mittelachse gerückte Positionierung wird der Eindruck eines schweren, unverrückbaren Blocks verhindert. Deutlich wird die Wahrnehmung des Betrachters gelenkt und animiert, undurchdringliche Schwere und ferne Tiefe, sichtbare Grenze und unbestimmbare Weite zu erfahren.
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