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Von Russland nach Frankfurt

Das Städel hat geboten, gebangt und gewonnen – und ist nun um eine Ikone der Fotogeschichte reicher: Alexander Rodchenkos „Pionier mit Trompete“. Ein diskreter Blick hinter die Kulissen der Auktion.

Kristina Lemke — 22. März 2019

Oktober 2018. Draußen wird es bereits dunkel und der Wind fegt die ersten Herbstblätter an die Büroscheibe. Gebannt schaue ich auf das Telefon. Es klingelt. „Guten Abend, hier spricht das Auktionshaus Grisebach. Gleich kommt Ihr Los 2028 an die Reihe.“ Ich bleibe am Hörer, lausche der kräftigen Auktionatorstimme im Hintergrund, die Aufregung steigt. „Es geht los, bieten Sie mit?“

Es folgt ein fünfminütiger Schlagabtausch mit anderen Bietern, im Berliner Auktionsraum geht es turbulent zu. Neben Telefonbietern wie mir gibt es schriftliche Gebote und auch Saalbieter. Der Preis wird nach und nach um zehn Prozent erhöht, bei jedem Schritt halte ich die Luft an. Und dann der erlösende Hammerschlag. Die freundliche Person am Telefon bestätigt es: „Wir gratulieren Ihnen, Sie haben die Fotografie soeben erworben.“ Die Freude und Erleichterung sind groß.

Aleksandr Michajlovič Rodčenko, Pionier mit Trompete, 1930

Alexander Rodchenko, Pionier mit Trompete, 1930, 19,6 x 17,2 cm, Silbergelatine-Abzug, Städel Museum, Frankfurt am Main

Das Werk, das das Städel soeben erworben hat, ist eine wahre Ikone der Fotografiegeschichte: Pionier mit Trompete (1930) des russischen Künstlers Alexander Rodchenko (1891–1956). Durch ungewöhnliche, kühne Perspektiven wollte Rodchenko mit allen Sehgewohnheiten brechen. Fotografie hatte bei ihm stets einen illustrativen Mehrwert, weshalb seine Bilder zunächst in Zeitschriften wie der Nowy LEF erschienen. Er war im In- und Ausland bekannt, unter anderem vertreten auf der bedeutenden internationalen Ausstellung des Deutschen Werkbundes Film und Foto 1928 in Stuttgart. Seine Bilder sollten einen Beitrag zum kulturellen Aufbau der Sowjetunion leisten, wie er öffentlich bekannte: „Das Objektiv des Fotoapparats ist die Pupille des gebildeten Menschen in der sozialistischen Gesellschaft.“ Mit dem Trompeter spannte er den Bogen jedoch weiter, als es dem Regime recht war.

Rodchenko nahm den Musiker von unten und in Nahansicht auf, sodass die Komposition ins Bizarre kippt. Damit entsprach er bereits 1930 nicht mehr den ästhetischen Konventionen der Sowjetunion. An dem Bild entzündete sich der berühmte sogenannte Formalismus-Streit, der schließlich zum Ausschluss Rodchenkos aus der Künstlergruppe October und allen offiziellen Ämtern als Professor führte. Das Bild gehört heute zu den Klassikern der russischen Avantgarde. Sein Erwerb war eine seltene Gelegenheit, denn Rodchenko hat nicht viele Abzüge hinterlassen.

Bis die Fotografie in die Sammlungsräume des Museums einzieht, hat sie einen langen Weg hinter sich: „Der Abzug stammt aus einer privaten Sammlung in Russland und wurde uns, wie so oft, angeboten. Mehr lässt sich zur Herkunft an dieser Stelle nicht erzählen, denn wir sagen unseren Kunden absolute Diskretion zu.“, so Diandra Donecker, leitende Geschäftsführerin und Partnerin von Grisebach. Das Auktionshaus hat in der Vergangenheit schon öfter Fotografien der russischen Avantgarde verkauft.

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Diandra Donecker vom Auktionshaus Griesebach, Foto: Franziska Sinn

Meist handelt es sich um Anfragen per E-Mail. Verkäufer und Auktionshaus einigen sich zunächst auf eine erste Einschätzung in Euro, der finale Schätzpreis erfolgt nach der Besichtigung des Originals. „Sobald wir einen Abzug in den Händen halten, wird das Blatt gemessen, unter UV-Licht betrachtet und sein Alter bestimmt. Zeigt es Aufheller, so ist das zum Beispiel ein Indiz für Papier ab den 1950er-Jahren. Das Foto wird von uns auch fotografisch aufgenommen und dokumentiert, mögliche Knicke, Ausfilterungen, Fehlstellen oder bestoßene Ecken in einem Zustandsbericht festgehalten.“

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So sieht es im Auktionssaal vor Ort aus, Foto: Amélie Losier

Der Zustand der Rodchenko-Fotografie war sehr gut. Somit bekam es eine Losnummer und erschien im Katalog, der vor jeder Auktion an mögliche Käufer gesendet wird – unter anderem an das Städel Museum. Dass das Bild dann letztlich auch seinen Weg nach Frankfurt fand, freute auch Diandra Donecker: „Ein Museum ist ein schöner Ort für die Fotografie, ist doch sichergestellt, dass sich hier noch viele, viele Generationen mit staunendem Blick über dieses Blatt beugen werden.“


Die Autorin Kristina Lemke kümmert sich als Wissenschaftlerin um die fotografische Sammlung des Städel. Neuerwerbungen sind für sie immer wie Weihnachten und Ostern zusammen.

Die Fotografie ist ab jetzt in den Räumen der Kunst der Moderne zu sehen.

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