Navigation menu

Dürers rätselhafte junge Frauen

Anlässlich der großen Dürer-Ausstellung, die seit dem 23. Oktober im Städel zu sehen ist, stellen wir Euch in diesem Monat gleich zwei Werke des deutschen Meisters vor: Die sogenannten „Fürlegerinnen“, die der Forschung seit ihrer Entdeckung Rätsel aufgegeben haben. Die offensichtlichste Frage ist bis heute ungeklärt: Wer sind die beiden jungen Damen eigentlich?

Vanessa Tron — 24. Oktober 2013
Dürers rätselhafte junge Frauen aus dem Jahr 1497: die Gemälde „Bildnis einer jungen Frau mit offenem Haar“ und „Bildnis einer jungen Frau mit aufgestecktem Haar“ (v.l.n.r.). Foto: Norbert Miguletz

Dürers rätselhafte junge Frauen aus dem Jahr 1497: die Gemälde „Bildnis einer jungen Frau mit offenem Haar“ und „Bildnis einer jungen Frau mit aufgestecktem Haar“ (v.l.n.r.). Foto: Norbert Miguletz

Wir befinden uns im Jahr 1497. Die stadtbekannte Schönheit Katharina Fürleger, Tochter einer reichen Nürnberger Patrizierfamilie, spaziert eines Tages in das Atelier des Meisters Albrecht Dürer (1471–1528). Dieser ist so begeistert von der jungen Frau, dass er sich entschließt sie gleich zweimal zu porträtieren – mit unterschiedlichen Kleidern und Frisuren, in verschiedenen Posen. So haben es sich zumindest die Dürer-Forscher des 19. Jahrhunderts vorgestellt. Einen Beleg dafür, dass es sich bei der Dargestellten auf den beiden in der Ausstellung gezeigten Gemälden um einen Spross der Familie Fürleger handelt, glaubte man in dem Wappen der Nürnberger Familie gefunden zu haben, das bei den Werken im Hintergrund zu erkennen ist. Das Blöde an der Sache ist nur: Eine Katharina Fürleger hat es sehr wahrscheinlich niemals gegeben. Heute weiß man, dass 1497 in der Familie Fürleger keine Tochter in entsprechendem Alter existierte, geschweige denn eine mit dem Namen Katharina. Und die Familienwappen wurden erst im frühen 17. Jahrhundert nachträglich angebracht, als sich die Gemälde im Besitz der Patrizierfamilie befanden. „Katharina Fürleger“ ist also ein Mythos der Dürer-Forschung, eine Legende.

So ähnlich und doch verschieden

Soweit die ursprüngliche Theorie. Fest steht, Albrecht Dürer malte 1497 die beiden Werke „Bildnis einer jungen Frau mit offenem Haar“ und „Bildnis einer jungen Frau mit aufgestecktem Haar“ auf Tüchlein als zusammengehöriges Diptychon. Erst 350 Jahre nach ihrer Entstehung wurden sie erstmals getrennt, seitdem befindet sich das „Bildnis einer jungen Frau mit offenem Haar“ im Frankfurter Städel, das Pendant ging über weitere Stationen 1977 schließlich an die Berliner Gemäldegalerie.

Unsere Bilder des Monats: Die "Fürlegerinnen" - so ähnlich und doch verschieden

Das Frankfurter Bild zeigt eine junge Frau, andächtig betend mit gesenktem Blick, weltabgewandt, vor einfarbigem Hintergrund. Die offenen langen Haare, zusammengehalten von einem geflochtenen Schmuckband, bedecken das einfache dunkelblaue Kleid. Man fühlt sich an eine Mariendarstellung erinnert, ein religiöser Charakter lässt sich nicht leugnen – das war nicht unbedingt üblich für eine Porträtdarstellung. Die fromme Beterin kommt sogar wie eine Verkündigungsmaria daher, dabei würde dem Betrachter die Rolle des Erzengels Gabriel zufallen.

Ein unverschämter Blick

Ganz anders bei der Berliner „Fürlegerin“: Die junge unverheiratete Frau blickt den Betrachter selbstbewusst und direkt an – für uns ist das heute nichts Außergewöhnliches, für die damalige Zeit war es unverschämt, man könnte sogar von einer schamlosen Anmache sprechen. Sie trägt ein aufwändiges Kleid, das Dekolleté ist betont, die Haare sind kunstvoll hochgesteckt. Statt dem einfarbigen Hintergrund erkennt man einen Innenraum, auf der linken Seite gibt ein Fenster den Blick auf eine weite Landschaft frei. In der Hand hält sie Pflanzen, denen nicht nur erotischer Symbolcharakter, sondern sogar sinnverwirrende Liebeszauberkräfte nachgesagt wurden: Sternkraut und Stabwurz. So vermittelt das Berliner Bild statt religiösem, eher einen werbenden, erotischen Charakter.

Schaut man sich also den gegensätzlichen Aufbau und die Bildsymbolik an, die unterschiedlicher kaum sein könnte, liegt die Vermutung nahe, dass Dürer hier zwei Lebensentwürfe inszenieren wollte: Hier die eine, die für eine geistliche Laufbahn vorgesehen ist, dort die andere, die sich den weltlichen Genüssen widmen wird. So unterschiedlich dargestellt und doch einander zugewandt, offensichtlich zusammengehörend. In jedem Fall spielte Dürer mit den Sehgewohnheiten seiner Zeitgenossen und den damals gültigen Bildkonventionen. Der Betrachter erhält den Eindruck, es ginge nicht nur um die dargestellten Personen, sondern im Wesentlichen um die Art der Darstellung, also auch um Dürer als Künstler selbst und seinen bewussten Bruch mit Bild-Traditionen.

Des Rätsels Lösung?

Anlässlich einer Ausstellung  im Städel im Jahr 2006, die beide Werke erstmalig seit ihrer Trennung wieder zusammenführte, stellte der Kurator Bodo Brinkmann die Vermutung auf, bei den beiden Damen könne es sich um zwei Schwestern Dürers – er hatte immerhin sieben – handeln. Dürer hatte sich mit seinem Vater in ganz ähnlich gegensätzlicher Art dargestellt, zudem legte er großen Wert auf die Erinnerungen an Familienmitglieder. Diese Möglichkeit, also eine Arbeit ohne Auftraggeber, würde auch das Außerachtlassen der gängigen Porträtnormen erklären.

Detail aus dem Werk „Zwei Hexen“ (1523) von Hans Baldung Grien

Jochen Sander, Kurator der Ausstellung „Dürer. Kunst – Künstler – Kontext“ hält diese Theorie für ausgeschlossen. Ihn erinnert der un-„verschämte“ Blick der Berliner Fürlegerin an die schöne Hexe aus dem Gemälde der beiden „Hexen“ des Dürer-Schülers Hans Baldung Grien (ca. 1484–1545), das in der Sammlung des Städel zu sehen ist. „Ich glaube nicht, dass Dürer seine eigene Schwester auf eine so unmoralische, anzügliche Art dargestellt hätte.“ Sander sieht in den beiden jungen Frauen auch Dürers Spiel mit gegensätzlichen Frauenrollen und Moralvorstellungen.

Bisher blieb jede Theorie nur Spekulation. Ob sich einmal klären wird, wen Albrecht Dürer wirklich dargestellt hat, ist fraglich. Aber was wären die beiden „Fürlegerinnen“ ohne ihre Rätsel? Auf jeden Fall ein bisschen weniger spannend.


Die Autorin Vanessa Tron arbeitet in der Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Städel Museums. Sie war ganz erstaunt zu erfahren, dass die „Fürlegerinnen“ bis in die 1970er-Jahre für Kopien gehalten wurden. Erst dann nämlich wurden die vermeintlichen Originale als die eigentlichen Kopien entlarvt.

Die beiden Bildnisse der jungen Frauen sind, neben etwa 200 weiteren Werken Albrecht Dürers, noch bis zum 2. Februar 2014 in unserer großen Ausstellung Dürer. Kunst – Künstler – Kontext zu sehen.

 

Diskussion

Fragen oder Feedback? Schreiben Sie uns!

Mehr Stories

  • Dürers illustrierte Flugblätter

    Siamesische Schweine statt junger Hasen

    Fremdländische Tiere, zoologische Kuriosa und Menschen mit Fehlbildungen – auch solche Themen gehören zum Bildrepertoire Albrecht Dürers. Mit seinen Flugblättern demonstriert der findige Künstler nicht nur seinen geschickten Unternehmergeist als Sensationsjournalist, er beweist auch in dem kurzweiligen Medium eine Imaginationskraft, die ihresgleichen sucht. Noch bis zum 2. Februar sind diese in der großen Dürer-Ausstellung im Städel zu entdecken.

  • "AD" Dürers bekanntes Monogramm. Deteil aus: Albrecht Dürer (1471–1528); Mariens Verehrung, um 1502; Holzschnitt; Graphische Sammlung, Städel Museum Frankfurt am Main; Foto: Städel Museum - ARTOTHEK
    Der Unternehmer Albrecht Dürer

    Marke AD

    „AD“ – kein anderes Monogramm ist in der Kunstwelt so bekannt. Es ist ein Markenzeichen. Beste Qualität, Innovation, humanistischer Geist. Unser Blogartikel zeigt, wie Albrecht Dürer diese Marke aufbaute und, wenn nötig, auch gegen Kopisten verteidigte.

  • Dreimal der heilige Hieronymus, aber nur der mittlere Gelehrte ist von Albrecht Dürer.
    Bild des Monats

    „Der heilige Hieronymus im Studierzimmer“ von Albrecht Dürer

    Dreimal der heilige Hieronymus, aber nur einmal Albrecht Dürer: Unser erstes Bild des Monats im Jahr 2014 verdeutlicht ein zentrales Thema der aktuellen Dürer-Ausstellung im Städel Museum – den Einfluss des Nürnberger Künstlers in Europa.

  • Entstand bei der Überquerung der Alpen: Albrecht Dürer (1471–1528); Brennerstraße im Eisacktal, um 1495; Wasserfarbe- und Deckfarbenmalerei, 20,5 x 29,5 cm; © Patrimonio Nacional
    Dürer als Reisender

    Auf dem Weg zum Deutschen Meister

    Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen: Auch Albrecht Dürer kam um eine gründliche Ausbildung nicht herum. Seine Künstlervita beginnt in Nürnberg, doch seine Reisen führten ihn in verschiedenste Länder Europas. Welche Einflüsse sich im Œuvre des umtriebigen, stetig an seiner Perfektion feilenden Meisters niedergeschlagen haben und welchen Einfluss er als reifer Maler und Grafiker schließlich selbst ausübte, erfahrt Ihr in unserem Blogbeitrag.

  • Albrecht Dürer (1471–1528), Maria das Kind stillend, 1503, Lindenholz, 24,1 cm x 18,3 cm, Kunsthistorisches Museum, Wien.
    Bild des Monats

    „Maria das Kind stillend“ von Albrecht Dürer

    Im Weihnachtsmonat Dezember ist „Maria das Kind stillend“ (1503) von Albrecht Dürer aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien unser Bild des Monats. Zu sehen ist es bis 2. Februar 2014 in der Dürer-Ausstellung im Städel.

Newsletter

Wer ihn hat,
hat mehr vom Städel.

Aktuelle Ausstellungen, digitale Angebote und Veranstaltungen kompakt. Mit dem Städel E-Mail-Newsletter kommen die neuesten Informationen regelmäßig direkt zu Ihnen.

Beliebt

  • Honoré Daumier

    Zur Ernsthaftigkeit der Komik

    Wie Karikaturen funktionieren und warum Daumier für sie ins Gefängnis kam.

  • Der Film zur Ausstellung

    Honoré Daumier. Die Sammlung Hellwig

  • Die Ausstellungen im Städel

    Highlights 2024

    Unser Ausblick auf 2024: Freut euch auf faszinierende Werke von Honoré Daumier und Käthe Kollwitz, lernt die Städel / Frauen kennen, entschlüsselt die Bildwelten von Muntean/Rosenblum, erlebt die Faszination italienischer Barockzeichnungen und reist zurück in Rembrandts Amsterdam des 17. Jahrhunderts.

  • Städel Mixtape

    #34 Jan van Eyck – Lucca-Madonna, ca. 1437

    Ein ruhiger Moment mit Kerzenschein, ihr seid so vertieft, dass ihr alles um euch herum vergesst: Vor rund 600 Jahren ging es den Menschen ähnlich, wenn sie vor Jan van Eycks „Lucca-Madonna“ gebetet haben. In diesem STÄDEL MIXTAPE geht es um das Andachts-Bild eines raffinierten Geschichtenerzählers. 

  • Städel | Frauen

    Louise Schmidt: Bildhauerin!

    Teil 2 der Porträt-Reihe „Städel | Frauen“.

  • ARTEMIS Digital

    Digitales Kunsterlebnis trifft wegweisende Demenz-Forschung

    Wie sieht eine digitale Anwendung aus, die Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen zeit- und ortsungebunden einen anregenden Zugang zur Kunst ermöglicht? Ein Interview über das Forschungsprojekt ARTEMIS, über Lebensqualität trotz Krankheit und die Kraft der Kunst.

  • Gastkommentar

    Kunst & Schwarze Löcher mit Astrophysikerin Silke Britzen

    Was sieht eine Astrophysikerin in den Werken der Städel Sammlung? In diesem Gastkommentar eröffnet Silke Britzen (Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn) ihre individuelle Sichtweise auf die Kunstwerke im Städel Museum.