Anlässlich der großen Dürer-Ausstellung, die seit dem 23. Oktober im Städel zu sehen ist, stellen wir Euch in diesem Monat gleich zwei Werke des deutschen Meisters vor: Die sogenannten „Fürlegerinnen“, die der Forschung seit ihrer Entdeckung Rätsel aufgegeben haben. Die offensichtlichste Frage ist bis heute ungeklärt: Wer sind die beiden jungen Damen eigentlich?
Wir befinden uns im Jahr 1497. Die stadtbekannte Schönheit Katharina Fürleger, Tochter einer reichen Nürnberger Patrizierfamilie, spaziert eines Tages in das Atelier des Meisters Albrecht Dürer (1471–1528). Dieser ist so begeistert von der jungen Frau, dass er sich entschließt sie gleich zweimal zu porträtieren – mit unterschiedlichen Kleidern und Frisuren, in verschiedenen Posen. So haben es sich zumindest die Dürer-Forscher des 19. Jahrhunderts vorgestellt. Einen Beleg dafür, dass es sich bei der Dargestellten auf den beiden in der Ausstellung gezeigten Gemälden um einen Spross der Familie Fürleger handelt, glaubte man in dem Wappen der Nürnberger Familie gefunden zu haben, das bei den Werken im Hintergrund zu erkennen ist. Das Blöde an der Sache ist nur: Eine Katharina Fürleger hat es sehr wahrscheinlich niemals gegeben. Heute weiß man, dass 1497 in der Familie Fürleger keine Tochter in entsprechendem Alter existierte, geschweige denn eine mit dem Namen Katharina. Und die Familienwappen wurden erst im frühen 17. Jahrhundert nachträglich angebracht, als sich die Gemälde im Besitz der Patrizierfamilie befanden. „Katharina Fürleger“ ist also ein Mythos der Dürer-Forschung, eine Legende.
Soweit die ursprüngliche Theorie. Fest steht, Albrecht Dürer malte 1497 die beiden Werke „Bildnis einer jungen Frau mit offenem Haar“ und „Bildnis einer jungen Frau mit aufgestecktem Haar“ auf Tüchlein als zusammengehöriges Diptychon. Erst 350 Jahre nach ihrer Entstehung wurden sie erstmals getrennt, seitdem befindet sich das „Bildnis einer jungen Frau mit offenem Haar“ im Frankfurter Städel, das Pendant ging über weitere Stationen 1977 schließlich an die Berliner Gemäldegalerie.
Das Frankfurter Bild zeigt eine junge Frau, andächtig betend mit gesenktem Blick, weltabgewandt, vor einfarbigem Hintergrund. Die offenen langen Haare, zusammengehalten von einem geflochtenen Schmuckband, bedecken das einfache dunkelblaue Kleid. Man fühlt sich an eine Mariendarstellung erinnert, ein religiöser Charakter lässt sich nicht leugnen – das war nicht unbedingt üblich für eine Porträtdarstellung. Die fromme Beterin kommt sogar wie eine Verkündigungsmaria daher, dabei würde dem Betrachter die Rolle des Erzengels Gabriel zufallen.
Ganz anders bei der Berliner „Fürlegerin“: Die junge unverheiratete Frau blickt den Betrachter selbstbewusst und direkt an – für uns ist das heute nichts Außergewöhnliches, für die damalige Zeit war es unverschämt, man könnte sogar von einer schamlosen Anmache sprechen. Sie trägt ein aufwändiges Kleid, das Dekolleté ist betont, die Haare sind kunstvoll hochgesteckt. Statt dem einfarbigen Hintergrund erkennt man einen Innenraum, auf der linken Seite gibt ein Fenster den Blick auf eine weite Landschaft frei. In der Hand hält sie Pflanzen, denen nicht nur erotischer Symbolcharakter, sondern sogar sinnverwirrende Liebeszauberkräfte nachgesagt wurden: Sternkraut und Stabwurz. So vermittelt das Berliner Bild statt religiösem, eher einen werbenden, erotischen Charakter.
Schaut man sich also den gegensätzlichen Aufbau und die Bildsymbolik an, die unterschiedlicher kaum sein könnte, liegt die Vermutung nahe, dass Dürer hier zwei Lebensentwürfe inszenieren wollte: Hier die eine, die für eine geistliche Laufbahn vorgesehen ist, dort die andere, die sich den weltlichen Genüssen widmen wird. So unterschiedlich dargestellt und doch einander zugewandt, offensichtlich zusammengehörend. In jedem Fall spielte Dürer mit den Sehgewohnheiten seiner Zeitgenossen und den damals gültigen Bildkonventionen. Der Betrachter erhält den Eindruck, es ginge nicht nur um die dargestellten Personen, sondern im Wesentlichen um die Art der Darstellung, also auch um Dürer als Künstler selbst und seinen bewussten Bruch mit Bild-Traditionen.
Anlässlich einer Ausstellung im Städel im Jahr 2006, die beide Werke erstmalig seit ihrer Trennung wieder zusammenführte, stellte der Kurator Bodo Brinkmann die Vermutung auf, bei den beiden Damen könne es sich um zwei Schwestern Dürers – er hatte immerhin sieben – handeln. Dürer hatte sich mit seinem Vater in ganz ähnlich gegensätzlicher Art dargestellt, zudem legte er großen Wert auf die Erinnerungen an Familienmitglieder. Diese Möglichkeit, also eine Arbeit ohne Auftraggeber, würde auch das Außerachtlassen der gängigen Porträtnormen erklären.
Jochen Sander, Kurator der Ausstellung „Dürer. Kunst – Künstler – Kontext“ hält diese Theorie für ausgeschlossen. Ihn erinnert der un-„verschämte“ Blick der Berliner Fürlegerin an die schöne Hexe aus dem Gemälde der beiden „Hexen“ des Dürer-Schülers Hans Baldung Grien (ca. 1484–1545), das in der Sammlung des Städel zu sehen ist. „Ich glaube nicht, dass Dürer seine eigene Schwester auf eine so unmoralische, anzügliche Art dargestellt hätte.“ Sander sieht in den beiden jungen Frauen auch Dürers Spiel mit gegensätzlichen Frauenrollen und Moralvorstellungen.
Bisher blieb jede Theorie nur Spekulation. Ob sich einmal klären wird, wen Albrecht Dürer wirklich dargestellt hat, ist fraglich. Aber was wären die beiden „Fürlegerinnen“ ohne ihre Rätsel? Auf jeden Fall ein bisschen weniger spannend.
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