Wer sich die neue Altstadt anschaut, sollte auch einen Blick auf die Frankfurt-Fotografien von Carl F. Mylius werfen: Sie gehören zu den ersten überhaupt. Eine Sensation ist sein acht Meter langes Panorama der Stadt.
Lange vor Bankenviertel, Skyline und Shoppingmeile: Im 19. Jahrhundert durchlebte Frankfurt am Main einen rasanten Wandel. Nach der Annexion durch Preußen im Jahr 1866 stieg die Stadt innerhalb weniger Jahrzehnte zu einer der wichtigsten Industriemetropolen Deutschlands auf. Mitte des 19. Jahrhunderts hatte Frankfurt 70.000 Einwohner, 1900 waren es 400.000. Wohin mit den vielen Menschen? Die alten, zu kleinen Fachwerkhäuser wurden kurzerhand abgerissen und durch neue, modernere Bauten ersetzt. Heute unvorstellbar. Das dachte sich auch Carl Friedrich Mylius (1827–1916) und fotografierte das alte Frankfurt vor den Veränderungen für die Nachwelt. Damit leistete er nicht nur als Stadtchronist Pionierarbeit, sondern trug auch erheblich zur Etablierung der Fotografie in Frankfurt bei.
Mylius’ Lebensgeschichte ist nicht nur eng mit Frankfurt, sondern auch mit dem Städel verbunden: Der gebürtige Frankfurter ließ sich zunächst zum Lithografen ausbilden, unterbrach seine Lehre dann aber für einen Weiterbildungskurs am Städelschen Kunstinstitut. Jakob Becker, der damalige Professor für Genremalerei, brachte ihm dort die Grundregeln harmonischer Bildkompositionen bei.
Nach seiner Ausbildung zog es ihn zunächst nach Karlsruhe, Nürnberg, Antwerpen und Elberfeld. In dieser Zeit lernte er auch den Umgang mit der Kamera. Die Fotografie war erst 1839, also wenige Jahre zuvor, erfunden worden und Mylius sah in dem Medium großes Potential. Wie viele seiner damaligen Kollegen hing er kurzerhand seinen Beruf als Lithograf an den Nagel. Als er 1854 in seine alte Heimat zurückkehrte, eröffnete er ein eigenes Fotografenatelier – und betrat damit in Frankfurt praktisch Neuland.
Mylius spezialisierte sich schon früh auf fotografische Stadtansichten Frankfurts. Sie zeigen die berühmtesten Sehenswürdigkeiten, vom Rathaus über die Nikolaikirche bis hin zum Gutenberg-Denkmal. Der Fotopionier profitierte dabei von dem aufkommenden Tourismus: Wer es sich im 19. Jahrhundert leisten konnte, unternahm Bildungsreisen. Frankfurt gehörte zu den wichtigsten Ausflugszielen, da es als Stadt der Kaiserkrönungen von historischer Bedeutung war.
Noch heute zählt die Nikolaikirche auf dem Römerberg zu den beliebtesten Motiven vieler Touristen. Auch die Aufnahmen von Mylius wurden als Erinnerungsstücke vor Ort für rund einen Gulden pro Stück gekauft – ein Preis, der heute 25 Euro entspricht. Seine Bilder signierte er meist im rechten unteren Bildviertel, was für sein künstlerisches Selbstverständnis spricht. „Für einen Frankfurt Abreisenden…kein schöneres und anziehenderes Geschenk.“, heißt es 1863 über Mylius’ Fotografien in den Frankfurter Nachrichten.
Eine wirkliche Sensation ist das 7,60 Meter lange Mainpanorama, welches Mylius in den Jahren 1860 und 1861 von beiden Uferpromenaden anfertigte. Beim Fotografieren verschob er auf einer Strecke von 2,5 Kilometern seine Kamera pro Bild um 100 Meter, um Verzerrungen zu vermeiden. Am Ende setzte er 31 Aufnahmen zusammen.
Bei der Ansicht des südlichen Mainufers sucht man das Städel Museum übrigens vergeblich, denn der heutige Bau wurde erst 1878 eröffnet. Mylius’ Mainansichten sind die ältesten bekannten Panoramen aus der Frühzeit der Fotografie und von großer Seltenheit. Lediglich ein weiteres Exemplar von Mylius mit 32 Aufnahmen, das sich im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg befindet, ist heute bekannt.
Mylius lag viel daran, dass seine Bilder nicht in Vergessenheit gerieten. Bis zu seinem Rückzug aus dem Geschäft 1891 hatte er dafür gesorgt, dass ein Großteil seiner Bilder im Historischem Museum Frankfurt untergebracht wurden. Daneben schenkte er seine Bilder auch anderen Institutionen, darunter dem Städel Museum. Heute tauchen Mylius’ Aufnahmen hauptsächlich für Dokumentationszwecke wieder auf.
Ein großes Revival seiner Leistungen erfuhr er durch Eberhard Mayer-Wegelin, der dem Fotopionier in einer großen Monographie ein Denkmal gesetzt hat. Eine Auswahl an Originalen sind nun in einer Kabinettpräsentation im Städel zu bewundern.
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